Die Landesgeschichte oder historische Landeskunde als historische Disziplin betreibt Geschichtswissenschaft in einer besonders ausgeprägten landeskundlichen Perspektive. Im Mittelpunkt des Interesses stehen neben politischer und Ereignisgeschichte unter anderem Siedlungsgeschichte sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte von historischen Landschaften. Als Ansatz handelt es sich um eine typisch deutschsprachige Forschungstradition, die an die föderativen Strukturen des Alten Reiches anknüpft. Neuerdings wird jedoch eine Annäherung an vergleichbare regionalgeschichtliche Ansätze in anderen Teilen Europas angestrebt.

Abgrenzung

Im Gegensatz zur Landesgeschichte kann sich die Regionalgeschichte auch mit nicht durch staatliche oder teilstaatliche Einheiten definierten geographischen Räumen beschäftigen. Jedoch ist auch die Landesgeschichte aufgrund von im Lauf der Jahrhunderte wechselnden Landesgrenzen („historische Landschaft“) nicht zwingend an aktuelle teilstaatliche Grenzen gebunden. In der DDR war der Begriff „Territorialgeschichte“ gebräuchlich, weil die Länder durch Bezirke abgelöst worden waren, so dass ein Begriff zwischen Landes- und Regionalgeschichte entstand.

Die Ortsgeschichte (bzw. Stadtgeschichte) befasst sich mit der Vergangenheit einer Ortschaft, eines Dorfes, einer Stadt oder eines regional definierten Gebietes.

Deutschland

In Deutschland sind Länder im Sinne der Landesgeschichte vor allem größere politische Einheiten unterhalb der obersten staatlichen Ebene. Dies sind in Deutschland heute die Bundesländer. Landesgeschichtliche Objekte früherer Zeiten sind beispielsweise die Gliedstaaten des Deutschen Reiches oder die Territorien des Heiligen Römischen Reiches, aber auch die Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes. Die Landesgeschichte arbeitet demzufolge methodisch vergleichend und stellt für die jeweilige Epoche die Verbindungen zur übergeordneten politischen Bezugsebene her.

Institutionen

Die Landesgeschichte mit ihren Unterdisziplinen wird in Deutschland besonders von den Historischen Kommissionen der Länder und zahlreichen, oftmals schon im 19. Jahrhundert gegründeten landes- und regionalgeschichtlichen Vereinen betrieben, darunter einige länderübergreifend, wie der Harzverein für Geschichte und Altertumskunde für Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, oder der Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung für Hessen und Rheinland-Pfalz. Zudem entstanden vor und nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche universitätsnahe Forschungsinstitute für Landesgeschichte wie das Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, das Institut für Geschichtliche Landeskunde Rheinland-Pfalz (IGL), das Institut für Historische Landesforschung für das Land Niedersachsen, das Institut für Bayerische Geschichte oder das LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte. Die einzige Neugründung in den neuen Bundesländern nach dem Fall der Mauer war das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden. Wichtig ist auch das 1995 gegründete Geisteswissenschaftliche Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO), das sich mit der jeweiligen Landesgeschichte der historischen Landschaften in der Germania Slavica beschäftigt.

Wichtigste Institution ist jedoch der 1852 gegründete Gesamtverein der Deutschen Geschichts- und Altertumsvereine mit zurzeit über 200 Mitgliedsvereinen (über 150.000 Mitglieder), der die Blätter für deutsche Landesgeschichte herausgibt und jährlich einen „Tag der deutschen Landesgeschichte“ an wechselnden Orten mit Themen der vergleichenden Landesgeschichte (Deutschland und Nachbarstaaten) durchführt.

Literatur

  • Brage Bei der Wieden: Gegenstände und Perspektiven der Landesgeschichte. Tagung vom 26. bis 27. November 2009 in Braunschweig. In: H-Soz-Kult. 11. Dezember 2009, (Tagungsbericht).
  • Werner Buchholz (Hrsg.): Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven. Schöningh, Paderborn/München/Wien/Zürich 1998, ISBN 3-506-71802-9 (Digitalisat).
  • Enno Bünz: Deutsche Landesgeschichtsforschung im 19. und 20. Jahrhundert. In: Anke John (Hrsg.): Köpfe. Institutionen. Bereiche. Mecklenburgische Landes- und Regionalgeschichte seit dem 19. Jahrhundert. Schmidt-Römhild, Lübeck 2016, ISBN 3-7950-3757-3, S. 17–39.
  • Werner Freitag, Michael Kißener, Christine Reinle, Sabine Ullmann (Hrsg.): Handbuch Landesgeschichte. De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2018, ISBN 3-11-035411-X.
  • Heinz Dopsch: Vergleichende Landesgeschichte in Österreich. Realität, Vision oder Utopie? In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark. 91–92, 2000/2001, S. 53–92.
  • Pankraz Fried (Hrsg.): Probleme und Methoden der Landesgeschichte. WBG, Darmstadt 1978, ISBN 3-534-07080-1.
  • Peter Claus Hartmann: Landes- und Regionalgeschichte in Europa in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte. 148, 2012, S. 277–286.
  • Carl-Hans Hauptmeyer (Hrsg.): Landesgeschichte heute. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1987, ISBN 3-525-33526-1 (Digitalisat).
  • Sigrid Hirbodian, Christian Jörg, Sabine Klapp (Hrsg.): Methoden und Wege der Landesgeschichte. Thorbecke, Ostfildern 2015, ISBN 3-7995-1380-9.
  • Ludwig Holzfurtner: Landesgeschichte. In: Michael Maurer (Hrsg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften. Band 2: Räume. Reclam, Stuttgart 2001, ISBN 3-15-017028-1, S. 348–414.
  • Manfred Jessen-Klingenberg, Jörn-Peter Leppien, Hans F. Rothert: Gedanken zu Aufgaben und Verantwortung des Landeshistorikers. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Nr. 12, 1982, ISSN 2196-3428, S. 34–38.
  • Mirjam Krönig: Landesgeschichte mit und ohne Land. Historische Kommissionen in West und Ost nach 1945. Tagung vom 26. bis 28. Oktober 2017 in Tübingen. In: H-Soz-Kult. 21. Februar 2018, (Tagungsbericht).
  • Michael Matheus: Bleiben wir „In Grenzen unbegrenzt“? Eine (persönliche) Standortbestimmung zur vergleichenden Landesgeschichte in europäischer Perspektive, in: Sigrid Hirbodian, Christian Jörg, Tjark Wegner (Hrsg.), Zwischen Region, Nation und Europa. Deutsche Landesgeschichte in europäischer Perspektive (Landesgeschichte 4), Ostfildern 2022, S. 169–186. (PDF)
  • Volker Rödel: Von der Landesgeschichte zur Geschichtlichen Landeskunde. Herausbildung und Werdegang einer historischen Spezialdisziplin. In: Enno Bünz (Hrsg.): 100 Jahre Landesgeschichte (1906–2006). Leipziger Leistungen, Verwicklungen und Wirkungen. Universitätsverlag, Leipzig 2012, ISBN 3-86583-618-6, S. 449–461.
  • Andreas Rutz: Deutsche Landesgeschichte europäisch. Grenzen – Herausforderungen – Chancen. In: Rheinische Vierteljahrsblätter. 79 Jg., 2015, S. 1–19. (Digitalisat)
  • Andreas Rutz: Landesgeschichte in Europa. Traditionen – Institutionen – Perspektiven. In: Werner Freitag u. a. (Hrsg.): Handbuch Landesgeschichte. De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2018, S. 102–126 (Digitalisat).
  • Tjark Wegner: Zwischen Region, Nation und Europa. Deutsche Landesgeschichte in europäischer Perspektive. Tagung vom 26. bis 28. November 2015 in Tübingen. In: H-Soz-Kult. 30. März 2016, (Tagungsbericht).
  • Matthias Werner: Die deutsche Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert. Aufbrüche, Umbrüche, Perspektiven. In: Manfred Groten, Andreas Rutz (Hrsg.): Rheinische Landesgeschichte an der Universität Bonn. Traditionen – Entwicklungen – Perspektiven. V&R unipress, Göttingen 2007, ISBN 3-89971-410-5, S. 157–178.
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