Als Lappenbaum, auch Lumpenbaum, bezeichnet man einen mit Stofffetzen behängten Baum. Die Lappen können angebracht werden, weil man sich ein Wunder erhofft, meist Heilung von einer Krankheit, oder als Erinnerung an ein bereits erfolgtes Wunder. Oft stehen sie an einem besonderen Ort wie einer heiligen Quelle, einer Kirche oder Kapelle oder einem islamischen Heiligtum.

Merkmale

Lappenbäume sind unter anderem aus Bayern, Ungarn, Siebenbürgen, Griechenland, Zypern, Kleinasien, Palästina, Algerien und Indonesien bekannt.

Lappenbäume können bei heiligen Quellen (in Irland werden diese manchmal, nach dem Baum, als Clootie Wells bezeichnet), Kapellen, Kirchen, Wallfahrtsorten, Heiligtümern oder Grabmalen stehen. ten Kate berichtet von Lappenbäumen bei Qubbas und heiligen Brunnen in Algerien. Sie waren mit Tuch- und Leinwandstreifen, manchmal auch Wachskerzen behängt. Der Brunnen bei Médéa schenkte Frauen Kindersegen. Auf Zypern sind Lappenbäume an Katakomben, auf Friedhöfen bekannt, bei einem Lochstein und vor Höhlen bekannt. In Kleinasien finden sich Lappenbäume ebenfalls in der Nähe von Heiligengräbern.

In Palästina wurden vor allem grüne und weiße Lappen verwendet, in Syrien und auf Zypern weiße. Auch Heilige Bäume wurden genutzt, in Nordafrika oft verkrüppelte Bäume (Marabutbäume). Neben Lappen kommen vereinzelt Haare vor. Durch die Verwendung synthetischer Textilien, die nicht oder nur teilweise verrotten, entstehen zunehmend Umweltprobleme.

Lappenbäume können lebend oder tot sein. Es wurden meist Bäume genutzt, die einzeln stehen und weithin sichtbar sind. In Irland wird oft ein Weißdorn ausgewählt,. Auf Zypern werden nur Laubbäume als Lappenbäume genutzt zum Beispiel Platanen und Terebinthen, aber auch Sträucher wie Brombeeren.

Deutung

Gustav Jungbauer kennt folgende Gründe, Lappen in einen Baum zu hängen:

  • Übertragung von Krankheiten
  • Opfer an Baumgötter (Baumkult)
  • Schutz vor Schadmagie
  • Totenbrauchtum
  • Regenzauber
  • Erinnerung an Verstorbene

Übertragung von Krankheiten

Mit den Lappen sollte eine Krankheit von dem Menschen auf den Baum übertragen werden. Es kann sich dabei um Kleidungsstücke des Kranken, Tuchstücke, die mit ihm in Berührung gebracht wurden, oder Pflaster und Verbände handeln. Die Ungarn wickelten bei Kopfweh ein mit Essig getränktes Stoffstück um den Kopf, welches dann vor Sonnenaufgang an Baum gebunden wurde, wobei Segen oder Zauberformeln gesprochen wurden. Auch aus Irland sind Segenssprüche überliefert Solche Bräuche sind auch gegen Hodenschmerzen, Blatternnarben und chronischen Krankheiten belegt. Alternativ kann ein Kleidungsstück des Kranken am Kreuzweg vergraben werden. Es handelt sich dabei um sympathetische Magie: Wie der Stoff sich zersetzt, so vergeht auch die Krankheit.

Der Baum kann auch aktiv zur Heilung von Krankheiten beitragen, im Kaukasus wurde dem Kranken ein Holzstück eines heiligen Baumes um den Hals gehängt.

Opfer

Das Aufhängen von Kinderkleidern an einem Baum wird als Ersatz für ein ursprüngliches Menschenopfer gedeutet. Ludolf Malten sieht im Schmücken von Bäumen im alten Griechenland, etwa durch Aigisthos oder die spartanischen Jungfrauen, eine Erinnerung an einen ursprünglichen Baumkult. Für Fabridge zeigt das Opfer eines Teils der Kleidung die Bereitschaft an, sich selbst der Gottheit darzubringen.

Totenbrauchtum

Die Kleidungsstücke von Menschen, die in der Fremde verstoben waren, konnten von den Ungarn an Bäume gehängt oder in den Bergen vergraben werden, damit der zurückkehrende Tote nicht bis zu den Lebenden vordringen konnte. Es scheint sich hier um eine Sonderform des Vampirglaubens zu handeln.

Die Mari vermieden es, Kleidungsstücke eines Toten zu vergraben, und hängten sie stattdessen an Bäume.

Geschichte

Das Behängen von Bäumen mit Gewebe, Schmuck und Blumenkränzen ist aus der griechischen Überlieferung bekannt. Ovid berichtet, dass Lappen und Votivtafeln an die Hecke um den heiligen Hain der Diana in Ariccia (Heiligtum der Diana Nemorensis) gehängt wurden.

Stellung der Kirche

Wie viele abergläubische Bräuche werden auch Lappenbäume durch den orthodoxen Klerus oft geduldet. In Episcopi Kurion wurde ein Lappenbaum aber 1980 im Auftrag der Kirche umgehackt, um den heidnischen Brauch zu beenden.

Siehe auch

Commons: Clootie trees – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Folk-Lore/Volume 4/Pin-Wells and Rag-Bushes – Quellen und Volltexte (englisch)

Einzelnachweise

  1. Meyers Konversationslexikon von 1888, Lemma Lappenbaum
  2. L. V. Grinsell, Some Sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. Folklore 101/2, 1990, 227-228
  3. Ludolf Malten, Motivgeschichtliche Untersuchungen zur Sagenforschung. Hermes 74/2, 1939, 202, Anm. 1. Stable URL: JSTOR:4474582, abgerufen am 15. Juni 2021.
  4. Mehrere Lappenbäume bei Tlemcen, ten Kate, mohammedanische Bruderschaften in Algerien. Sitzung vom 18. Juni 1887. Zeitschrift für Ethnologie 19, 1887, 371. Stable URL: JSTOR:23028351371, abgerufen am 15. Juni 2021.
  5. F. D. E. Van Ossenbruggen, Het primitieve Denken: zooals dit zich uit voornamelijk in pokkengebruiken op Java en elders. Bijdrage tot de prae-animistische Theorie. Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-Indië 71/1-2, 1916, 198. Stable URL: JSTOR:20769804, abgerufen am 15. Juni 2021.
  6. ten Kate, Mohammedanische Bruderschaften in Algerien. Sitzung vom 18. Juni 1887. Zeitschrift für Ethnologie 19, 1887, 371. Stable URL: JSTOR:23028351371
  7. Paphos, Katakombe von Ayia Solom, Belvedere in Throni, Leslie V. Grinsell, Some Sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. Folklore 101/2, 1990, 227
  8. Kedhuret zwischen Paphos und Limmasol, Leslie V. Grinsell, Some Sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. Folklore 101/2, 1990, 228
  9. Chryssocava bei Girne, L. V. Grinsell, Some Sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. Folklore 101/2, 1990, 228
  10. Ludolf Malten, Motivgeschichtliche Untersuchungen zur Sagengeschichte: II. Noch einmal Philemon und Baukis. Hermes 75/2, 1940, 174. Stable URL: JSTOR:4474609, abgerufen am 15. Juni 2021.
  11. Amots Dafni, Why are Rags tied to the Sacred Trees of the Holy Land? Economic Botany 56/4, 2002, 317 f.
  12. Gustav Jungbauer, Lemma Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Band 5, Berlin, De Gruyter 1933, unveränderter Nachdruck 1986, 909
  13. Katophiyotissa im Troodos, Leslie V. Grinsell, Some sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. Folklore 101/2, 1990, 228
  14. Libby Brooks, It’s upset a lot of people’: outrage after tidy-up of Scottish sacred well. The Guardian Newspaper, 30. Januar 2022. https://www.theguardian.com/uk-news/2022/jan/30/upset-a-lot-of-people-outrage-tidy-up-of-scottish-sacred-well-clootie-offerings
  15. Meyers Konversationslexikon von 1888, Lemma Lappenbaum
  16. Gustav Jungbauer, Lemma Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Band 5, Berlin, De Gruyter 1933, unveränderter Nachdruck 1986, 910
  17. Rag Offerings and primitive Pilgrimages in Ireland. The Athenaeum 341, 1893, S. 415.
  18. Leslie V. Grinsell, More Rag-Trees in Cyprus. Folklore 102/1, 1991, 110
  19. Kedhuret, Leslie V. Grinsell, Some Sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. Folklore 101/2, 1990, 228
  20. Larnaka, Artemis Avenue; Leslie V. Grinsell, Some sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. Folklore 101/2, 1990, 228
  21. Gustav Jungbauer, Lemma Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Band 5, Berlin, de Gruyter 1933, unveränderter Nachdruck 1986, 908-912
  22. Ludolf Malten, Motivgeschichtliche Untersuchungen zur Sagenforschung. Hermes 74/2, 1939, 202. Stable URL: JSTOR:4474582, abgerufen am 15. Juni 2021.
  23. Gustav Jungbauer, Lemma Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Band 5, Berlin, De Gruyter 1933, unveränderter Nachdruck 1986, 908
  24. Gustav Jungbauer, Lemma Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Band 5, Berlin, De Gruyter 1933, unveränderter Nachdruck 1986, 908
  25. Rag Offerings and primitive Pilgrimages in Ireland. The Athenaeum 1. April 1893, 341, S. 415.
  26. Gustav Jungbauer, Lemma Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Band 5, Berlin, de Gruyter 1933, unveränderter Nachdruck 1986, 908
  27. Gustav Jungbauer, Lemma Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Band 5, Berlin, De Gruyter 1933, unveränderter Nachdruck 1986, 909
  28. Gustav Jungbauer, Lemma Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Band 5, Berlin, de Gruyter 1933, unveränderter Nachdruck 1986, 909
  29. Gustav Jungbauer, Lemma Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Band 5, Berlin, De Gruyter 1933, unveränderter Nachdruck 1986, 909
  30. Ludolf Malten, Motivgeschichtliche Untersuchungen zur Sagenforschung. Hermes 74/2, 1939, 202. Stable URL: JSTOR:4474582, abgerufen am 19. Juni 2021.
  31. M. H. Fabridge, Studies in biblical and Semitic symbolism. Ktav Publishing House, New York 1970, zitiert nach Amots Dafni, Why are Rags tied to the Sacred Trees of the Holy Land? Economic Botany 56/4, 2002, 315. Stable URL: JSTOR:4256604
  32. Gustav Jungbauer, Lemma Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Band 5, Berlin, De Gruyter 1933, unveränderter Nachdruck 1986, 912
  33. Gustav Jungbauer, Lemma Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Band 5, Berlin, De Gruyter 1933, unveränderter Nachdruck 1986, 912
  34. Ludolf Malten, Motivgeschichtliche Untersuchungen zur Sagenforschung. Hermes 74/2, 1939, 202. Stable URL: JSTOR:4474582, abgerufen am 19. Juni 2021.
  35. Fasti III, 267 (Übersetzung von Frazer=)
  36. D. Soren, J. James, Kourion: The Search for a lost Roman City, New York 1988, zitiert nach Leslie V. Grinsell, More Rag-Trees in Cyprus. Folklore 102/1, 1991, 110
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