Arthur Leslie Nicholson (* 1902; † 1969) (Pseudonym John Whitwell) war ein britischer Nachrichtendienstler.
Leben und Tätigkeit
In den 1920er Jahren gehörte Nicholson der britischen Besatzungsarmee in Wiesbaden an, wo er erstmals mit nachrichtendienstlichen Fragen befasst wurde. Kurz nach der Auflösung der Besatzungsarmee im Jahr 1929 wurde er, damals im Rang eines Captains stehend, vom britischen Secret Intelligence Service (SIS, auch bekannt als MI 6) als Agent angeworben. In der Folge leitete Nicholson – der die deutsche und französische Sprache beherrschte – von 1930 bis 1934 in der Nachfolge von Harold Gibson als station chief das geheime Büro des SIS in Prag: Zur Tarnung wurde ihm der Rang eines Bearbeiters für Passangelegenheiten (Passport Control Officer) bei der dortigen britischen diplomatischen Vertretung übertragen. Die von ihm organisierten Geheimdienstoperationen waren hauptsächlich auf die Zielländer Deutschland und Ungarn gerichtet. 1934 wechselte Nicholson auf den Posten des Leiters (Station chief) des SIS-Büros in Riga, wo er bis 1940 blieb.
Seine nachrichtendienstliche Tätigkeit brachte Nicholson Ende der 1930er Jahre ins Visier der nationalsozialistischen Polizeiorgane, die ihn als wichtige Zielperson einstuften: Im Frühjahr 1940 setzte das Reichssicherheitshauptamt in Berlin ihn auf die Sonderfahndungsliste G.B., ein Verzeichnis von Personen, die der NS-Überwachungsapparat als besonders gefährlich oder wichtig ansah, weshalb sie im Falle einer erfolgreichen Invasion und Besetzung der britischen Inseln durch die Wehrmacht von den Besatzungstruppen nachfolgenden Sonderkommandos der SS mit besonderer Priorität ausfindig gemacht und verhaftet werden sollten.
Nach der Auflösung der SIS-Dienststelle in Riga aufgrund der damaligen militärischen Situation im Herbst 1940 kehrte Nicholson über Russland, Japan, den Pazifischen Ozean, Amerika und den Atlantik nach Großbritannien zurück, wo er von November 1940 bis Kriegsende im Hauptquartier des SIS in London tätig war. Ende 1945 wurde Nicholson nach Bukarest geschickt, wo er ein neues geheimes SIS-Büro aufbaute, um das sich dort nach dem Ende des Krieges entwickelnde kommunistische Regime zu beobachten.
1966 veröffentlichte Nicholson seine Erinnerungen an seine geheimdienstliche Karriere unter dem Pseudonym John Whitwell. Hintergrund der Veröffentlichung dieses Werkes – das direkt gegen eine Dienstvorschrift des Secret Service verstieß, die es Agenten und ehemaligen Agenten verbot, Memoiren und Berichte über ihre Aktivitäten im SIS zu veröffentlichten – war, dass Nicholson nach einer schweren Erkrankung seiner Ehefrau aus dem SIS ausgeschieden war und in der Folge eine nach seiner Auffassung nur unzulängliche Pension von seinem ehemaligen Dienstherren erhielt, so dass er sich entschied, diese durch die Veröffentlichung seines Buches – den ersten publizierten Memoiren eines Angehörigen des MI6 – aufzubessern.
In seinen letzten Lebensjahren lebte Nicholson, zu diesem Zeitpunkt Alkoholiker und selbst an Krebs erkrankt, in ärmlichen Verhältnissen über einem Café in Ostlondon. Aufsehen erregten 1967 Zeitungsberichte die auf Informationen basierten, die der Journalist Philip Knightley – der Nicholson aufgrund seines Buches aufgespürt und befragt hatte – durch die Befragung Nicholsons erhalten hatten, aus denen hervorging, dass der damals im Fokus der britischen Öffentlichkeit stehende SIS-Agent Kim Philby, der als Doppelagent im Dienst der Sowjetunion enttarnt worden und nach dort geflohen war, in den 1940er Jahren zeitweise sogar Leiter der mit der Spionage in der Sowjetunion befassten Abteilung des SIS gewesen war (d. h., dass der Leiter der antisowjetischen Spionage des SIS selbst ein Sowjetspion gewesen war), was bis zu diesem Zeitpunkt erfolgreich vor der Öffentlichkeit geheim gehalten worden war.
Schriften
- British Agent, William Kimber, London 1966. (Nachdruck 1997) (unter dem Pseudonym Leslie Nicholson)
Literatur
- Wesley K. Wark: "Our Man in Riga: Reflections on the SIS Career and Writings of Leslie Nicholson", in: Intelligence and National Security, 11. Jg., Heft 4, Oktober 1996, S. 625–644.