Klassifikation nach ICD-10
A04.9 Bakterielle Darminfektion, nicht näher bezeichnet
Bakterielle Enteritis o.n.A.
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Als Dysenterie (veraltete Bezeichnung Dissenterie; lateinisch Dysenteria) oder Ruhr (von mittelhochdeutsch ruorBauchfluss, Ruhr, verschiedene Formen der Dysenterie“, von althochdeutsch ruora „Strömung, schnelles Fließen; schnelle Bewegung, schnell fließendes Wasser“ und verwandt mit den Gewässernamen „Ruhr“ und „Rur“) wird in engerem Sinn eine entzündliche Erkrankung des Dickdarms bei einer bakteriellen Infektion bezeichnet (Bakterienruhr). In weiterem Sinn wird unter Dysenterie auch eine Durchfallerkrankung verstanden, die bei Infektionen mit Parasiten wie Amöben (Amöbenruhr) oder Lamblien auftritt oder bei Virusinfektionen.

Mit dem veralteten Ausdruck Dysenteria catarrhalis wird dagegen die Zöliakie-Erkrankung bei Gluten-Unverträglichkeit bezeichnet.

Entstehung und Symptome

Die Krankheitszeichen der Dysenterie wurden bereits im Altertum von Hippokrates beschrieben. Später trat die Erkrankung vor allem als Kriegsseuche in Erscheinung. Einen Erreger der Ruhr entdeckte Kiyoshi Shiga 1897 in Japan, den gleichen beschrieben etwa zeitgleich in Europa auch Walter Kruse, Angelo Celli und André Chantemesse: ein gramnegatives Stäbchenbakterium. Diese Shigellen sind Auslöser der bakteriellen Ruhr, auch Bakterienruhr bzw. Shigellose genannt; sie werden meist durch Kontakt mit infektiösem Kot oder verunreinigtem Essen verbreitet. Daneben ist auch eine durch Protozoen, Amöben, hervorgerufene Dysenterie bekannt, Amöbenruhr bzw. Amöbiasis genannt, bei der verunreinigtes Wasser die häufigste Ursache der Infektion ist.

Als erste Anzeichen einer Dysenterie treten nach einer Inkubationszeit von ca. 2–3 Tagen kolikartige Bauchschmerzen und Diarrhö auf. Die Stuhlentleerung ist mit 8–30 Mal am Tag sehr häufig und zudem schmerzhaft (Tenesmen). Der Stuhl ist meist schleimig und hell (weiße Ruhr, „Lienterie“, lateinisch Lienteria), seltener blutig (rote Ruhr, historisch als Blutgang und Roter Schaden bezeichnet). Auch Fieber ist möglich, aber uncharakteristisch. Normalerweise kommt es nach einem Verlauf von 4 bis maximal 14 Tagen zur Erholung. Die Erkrankung kann jedoch infolge des starken Flüssigkeits- und Elektrolytverlustes zu einer lebensbedrohlichen Dehydratation und vor allem bei Kleinkindern zu zentralnervösen Symptomen, Nierenversagen und Kreislaufkollaps führen. Die schwersten Verläufe werden bei Infektionen durch die 1897 entdeckte Spezies Shigella dysenteriae beobachtet, die neben den darmschädigenden Enterotoxinen noch weitere Giftstoffe, Shiga-Toxine genannt, bilden kann. Infektionen mit Shigella sonnei verlaufen dagegen in milderer Form.

Krankheitsfolgen

Als Nachkrankheit kann sich ein Reiter-Syndrom entwickeln: Die Reiter-Trias besteht aus entzündlichen Prozessen am Auge (Konjunktivitis, Iritis, Lidschwellungen), an der Harnröhre und an Gelenken (Arthritis, Bursitis, Synovitis).

Therapie

Neben der symptomatischen Therapie sind Chinolon-Antibiotika, Aminopenicilline, Cephalosporine und Cotrimoxazol Mittel der Wahl, aber auch Tetracycline und Sulfonamide können eingesetzt werden. Für die optimale Therapie unverzichtbar ist die Empfindlichkeitsprüfung.

Siehe auch

Literatur

  • Roche Lexikon Medizin. 5. Auflage, Elsevier, Urban & Fischer Verlag, München/Jena 2003, ISBN 3-437-15072-3 (Online-Version).
  • Medizinische Mikrobiologie (= Duale Reihe). 3. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2000/2005, ISBN 3-13-125313-4.
  • Karl Wurm, A. M. Walter: Infektionskrankheiten. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 9–223, hier: S. 136–140 (Bakterienruhr) und 140–142 (Amöbenruhr).
  • Stefan Winkle: Geißeln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen. Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 1997, ISBN 3-538-07049-0; 3., verbesserte und erweiterte Auflage. Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 2005, ISBN 978-3-538-07159-9 (Neudruck unter dem Titel Die Geschichte der Seuchen. Anaconda, Köln 2021, ISBN 978-3-7306-0963-7), S. 339–421 (Ruhr und Typhus).
Wiktionary: Ruhr – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Max Höfler: Deutsches Krankheitsnamen-Buch. München 1899, S. 530 f.
  2. Werner Köhler: Dysenterie. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 330 f., hier: S. 330.
  3. Matthias Kreienkamp: Das St. Georgener Rezeptar. Ein alemannisches Arzneibuch des 14. Jahrhunderts aus dem Karlsruher Kodex St. Georgen 73. Teil II: Kommentar (A) und textkritischer Vergleich. Medizinische Dissertation Würzburg 1992, S. 67 (Durchfall).
  4. Johann Lucas Schönlein: Allgemeine und specielle Pathologie und Therapie. Band 1. Würzburg 1832, S. 385. Digitalisat
  5. Florian Stader: Geschichte der Parasitologie an der Universität Bonn. Bonn 1986, S. 17f.
  6. Andrea Jessen: Ein gefährlicher Fluss: Die Rothe Ruhr. In: Heilberufe. Band 70, Nr. 74, 2018, S. 2626.
  7. Schweizerisches Idiotikon, Band VI, Spalte 1744/45 (Digitalisat).
  8. Thomas Gleinser: Anna von Diesbachs Berner ‚Arzneibüchlein‘ in der Erlacher Fassung Daniel von Werdts (1658), Teil II: Glossar. (Medizinische Dissertation Würzburg), jetzt bei Königshausen & Neumann, Würzburg 1989 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 46), S. 235.

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