Der Fall der Louise Lateau (* 1850 in Bois-d’Haine, Gemeinde Manage bei La Louvière, Belgien; † 25. August 1883 ebenda) ist einer der am besten dokumentierten Stigmatisationsfälle. Sie wurde in den 1860er Jahren wegen ihrer Visionen und Stigmata so bekannt, dass sie im Verlauf von drei Jahren von mehr als hundert Ärzten und zweihundert Theologen untersucht wurde.
Leben
Louise Lateau war die Tochter einer belgischen Arbeiterfamilie aus Bois-d’Haine. Ihr Vater starb, als Louise noch ein Kleinkind war. Ihre Mutter gab sie bereits mit elf Jahren als Hausmädchen fort. Kurz darauf wurde sie von ihrer Mutter wieder zurückgeholt und musste als Damenschneiderin arbeiten. Während einer Choleraepidemie in Bois D’Haine im Jahre 1866 pflegte die sechzehnjährige Louise Lateau sechs der Epidemieopfer. In dem darauffolgenden Jahr erkrankte sie selbst schwer. Die Erkrankungen währten bis 1868. Am 15. April 1868 war sie so schwer krank, dass sie die Sterbesakramente erhielt. Sechs Tage darauf wies sie die ersten Stigmata auf. Dem seien Ekstasen, Visionen und schließlich 1871 das Einstellen der Nahrungsaufnahme gefolgt. Kirchliche und weltliche Mediziner untersuchten Lateau in ihrem Haus, wobei die einen geltend machten, „dass es sich um einen experimentell überprüften, wunderbaren Eingriff Gottes in die Naturordnung“ handle, andere verwiesen auf die Geltung der Naturgesetze, die absolut zu setzen seien. Rudolf Virchow, der 1874 die angebliche, mittlerweile dreijährige Nahrungsenthaltsamkeit Lateaus für „absolut unerhört“ hielt und Betrug vermutete, erklärte, dass er keine Bedenken hätte, diese in seinen „Gewahrsam zu nehmen und das Experiment zu veranstalten“, „allerdings“, so Virchow unter Verweis auf seine langjährigen Erfahrungen mit oft kaum erkennbaren „Simulationen“, „Schlichen und Winkelzügen“, die er als Arzt einer Abteilung für kranke Gefangene gesammelt habe, „werde ich es immer ablehnen, mich in das Haus zu Bois d’Haine hinzusetzen und unter Bedingungen, welche andere Personen aufstellen, Beobachtungen über diese Simulation zu machen.“ Mit Nachdruck wiederholte er: „Ich bin sehr gern bereit, unter den von mir gestellten Bedingungen eine Observation zu veranstalten, halte mich aber nicht verpflichtet, mich in Verhältnisse zu begeben, deren Besonderheiten ich nicht zu übersehen vermag.“ Auch Theodor Schwann, der am 26. März 1869 bei einer Sitzung mit Lateau in Bois-d’Haine nach eigener Angabe „mehr als Zuschauer, denn als Experimentator“ beigewohnt hatte, betonte später, dass dabei „die unerläßlichen Bedingungen zu einer wissenschaftlichen Prüfung […] ganz und gar nicht erfüllt waren“.
Louise Lateau starb am 25. August 1883. Das Begehren, ein Seligsprechungsverfahren voranzutreiben, wurde im März 2009 vom Heiligen Stuhl abschlägig beschieden.
Der Historiker David Blackbourne wies in seiner Untersuchung darauf hin, dass sich im Leben von Louise Lateau eine Reihe von Merkmalen fänden, die es auch bei Anna Katharina Emmerick, Bernadette Soubirous und Cathérine Labouré gebe. Lateau habe wie diese rohe Behandlung, frühe Trennung von der Familie beziehungsweise Verlust eines Familienmitglieds und ein Leben in Abhängigkeit durchlitten.
Literatur
- August Rohling: Louise Lateau, die Stigmatisirte von Bois d’Haine. Nach authentischen medicinischen und theologischen Documenten für Juden und Christen aller Bekenntnisse. Schöningh, Paderborn 1874 (online bei Google Books).
- Paul Majunke: Louise Lateau, ihr Wunderleben und ihre Bedeutung im deutschen Kirchenconflikte. Germania, Berlin 1874 (online bei Google Books).
- B. Johnen: Louise Lateau, die Stigmatisirte von Bois d’Haine, kein Wunder, sondern Täuschung. Die Berichte des Prof. Lefebvre, Prof. Rohling, Paul Majunke's und Anderer in ihrer Haltlosigkeit dargelegt. Mayer, Köln / Leipzig 1874 (online bei Google Books).
- Rudolf Virchow: Über Wunder. Rede, gehalten in der ersten allgemeinen Sitzung der 47. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Breslau am 18. September 1874. Morgenstern, Breslau 1874 (online bei Google Books).
- Theodor Schwann: Mein Gutachten über die Versuche, die an der Stigmatisirten Louise Lateau am 26. März 1869 angestellt wurden. Schwann, Köln / Neuss 1875 (online bei Münchener Digitalisierungszentrum).
- Friedrich Hofmann: Vor dem Hause der Louise Lateau. In: Die Gartenlaube. Heft 5, 1875, S. 84–88 (Volltext [Wikisource]).
- Carus Sterne: Die mystische Krankheit. In: Die Gartenlaube. Heft 48, 1875, S. 804–807 (Volltext [Wikisource]).
- NN. (ein Curatpriester): Die Stigmatisirten des neunzehnten Jahrhunderts: Anna Katharina Emmerich, Maria von Mörl, Domenica Lazzari, Juliana Weiskircher, Josepha Kümi, Bertina Bouquillon, Bernarda vom Kreuze, Maria Rosa Andriani, Maria Cherubina Clara vom heiligen Franziskus, Louise Lateau, Helena von Bolawatta, Margaretha Bays und Esperanza von Jesu. Manz, Regensburg 1877, S. 94–122 (online bei Google Books).
- Joseph Galland: Louise Lateau. In: Unterhaltungsblatt zum Regensburger Morgenblatt Nr. 17 vom 29. April 1877, S. 67–68, Nr. 18 vom 6. Mai 1877, S. 71–72, Nr. 19 vom 13. Mai 1877, S. 75–76 und Nr. 20 vom 20. Mai 1877, S. 79–80.
- Henri van Looy: Biographie de Louise Lateau, la stigmatisée de Bois-d’Haine: d’après les documents authentiques. Casterman, Tournai 1879.
- Armand Thiéry: Nouvelle biographie de Louise Lateau d’après des documents authentiques (3 Bände in 5 Teilbänden). Louvain 1914–1920.
- David Blackbourn: Marpingen – Das deutsche Lourdes in der Bismarckzeit, Historische Beiträge des Landesarchivs Saarbrücken, Band 6. Saarbrücken 2007, ISBN 978-3-9808556-8-6.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Blackbourne, S. 41
- ↑ Rudolf Virchow: Über Wunder. Rede, gehalten in der ersten allgemeinen Sitzung der 47. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Breslau am 18. September 1874. Morgenstern, Breslau 1874, S. 15 f. (online bei Google Books).
- ↑ Theodor Schwann: Mein Gutachten über die Versuche, die an der Stigmatisirten Louise Lateau am 26. März 1869 angestellt wurden. Schwann, Köln und Neuss 1875, S. 27 (online bei Münchener Digitalisierungszentrum).