Lust ist ein 1989 erschienener Roman der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinek.

Marion Bönnighausen fasst die Handlung des Romans in Kindlers Literatur-Lexikon in aller Kürze wie folgt zusammen:

„Die alkoholkranke Gattin eines Fabrikdirektors, Gerti, ersetzt ihrem Mann, Hermann, täglich die Dienste von Prostituierten und lässt sich sexuell missbrauchen. Sie sucht Zuflucht in einer Affäre mit dem Studenten Michael, in der sich letztlich die ehelichen Vergewaltigungsstrukturen wiederholen. Daraufhin wieder von ihrem Ehemann in Besitz genommen, bringt sie abschließend ihren kleinen Sohn als Ebenbild des Vaters um.“

Lust als „Anti-Porno“

Elfriede Jelinek plante mit ihrem Romanprojekt ursprünglich, einen Gegendiskurs zu jenen obszön-pornographischen Darstellungsweisen zu bilden, die etwa von George Bataille, Marquis de Sade oder Henry Miller geprägt sind. Als die „einzige gelungene weibliche Pornographie“ bezeichnete sie die Geschichte der O von Pauline Réage, womit sie ihren eigenen Roman bereits vorab in den Kontext des Masochismus einordnete, was die mediale und literaturkritische Aufnahme des Textes deutlich mitprägte.

Im Interview mit Brigitte Lahann bezeichnet Jelinek ihr Verfahren selbst als „Anti-Pornographie“ mit einer „dialektische[n] Wechselwirkung“. Die Wirkungsweise des Romans besteht dabei in der Verunmöglichung eben jener voyeuristischen Lesart, die die Rezeption von Pornographie üblicherweise konstituiert.

Aufnahme durch die Literaturkritik

Besonders intensiv wurde der Roman im Literarischen Quartett diskutiert. Sigrid Löffler replizierte dabei auf die von Elfriede Jelinek vorgeprägte Lesart als „Anti-Porno“:

„Die Jelinek hat vielleicht einen Fehler gemacht, sie wurde vorher befragt: „Woran schreiben Sie denn gerade?“ Da gab es so eine Umfrage, und da sagte sie: „Ich versuche einen weiblichen Porno.“ / Ein weiblicher Porno ist das ganz bestimmt nicht geworden, weil sich ja eigentlich diese Sprache gegen die Autorin gewendet hat. Man kann als Frau in der Gesellschaft, so wie sie ist, einen Porno nicht schreiben, weil es die Sprache dafür nicht gibt. Die Sprache ist von Männern besetzt.“

Dagegen wendete sich Marcel Reich-Ranicki:

„Das Entscheidende, worauf es ankommt bei Büchern über Sexualthemen, ich meine Belletristik natürlich, bietet sie natürlich gar nicht. […] Auf eine einzige Sache kommt es an: Nicht auf die Beschreibung der physiologischen Prozesse […], jeder kann das! Es ist nicht schwerer zu beschreiben, ob ein Penis in eine Vagina dringt oder ein Bleistift in eine Tasche gesteckt wird. Darauf kommt es überhaupt nicht an, das kann jeder beschreiben. […] Es kommt darauf an, zu zeigen, was außerordentlich schwierig ist, was die Frau oder der Mann oder gar beide während dieser Sachen empfinden.“

Jürgen Busche kritisierte, der Roman müsse „selber transportieren, was [er] an Utopie oder an Alternativen zu dem, was er schildert, darstellt“, was er aber nicht tue.

Literatur

  • Uta Degner: Eine ‚unmögliche‘ Ästhetik – Elfriede Jelinek im literarischen Feld. Wien, Köln: Böhlau 2022 (Literaturgeschichte in Studien und Quellen Bd. 33), S. 227–273 [Kap. 6: „Lust als Extremsatire“]. DOI: 10.7767/9783205214861.
  • Norbert Christian Wolf: Lust im journalistischen Feld, Unlust an der Lektüre. Zur Funktion der Werkpolitik und Kritik an Jelineks Roman. In: Elfriede Jelinek: Provokationen der Kunst. Hg. v. Uta Degner u. Christa Gürtler. Berlin, Boston: De Gruyter 2021, S. 133–161. DOI: 10.1515/9783110742435-008

Einzelnachweise

  1. Marion Bönnighausen: Jelinek, Elfriede: Lust. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Kindlers Literatur Lexikon (KLL). 2020, ISBN 978-3-476-05728-0, doi:10.1007/978-3-476-05728-0_6983-1.
  2. 1 2 Birgit Lahann: „Männer sehen in mir die große Domina“. In: Stern. Band 37, 8. September 1988, S. 76–85.
  3. Norbert Christian Wolf: Lust im journalistischen Feld, Unlust an der Lektüre. Zur Funktion der Werkpolitik und Kritik an Jelineks Roman. In: Uta Degner, Christa Gürtler (Hrsg.): Elfriede Jelinek: Provokationen der Kunst. De Gruyter, Berlin, Boston 2021, ISBN 978-3-11-074243-5, S. 133161, doi:10.1515/9783110742435-008.
  4. Das Literarische Quartett 05 |10.03.1989| S.Rushdie,Th.Bernhard,H.Burger,E.Jelinek,E.Hemingway. Abgerufen am 14. Oktober 2023 (deutsch).
  5. 1 2 3 Marcel Reich-Ranicki: Das literarische Quartett. Gesamtausgabe aller 77 Sendungen von 1988 bis 2001. Hrsg.: Marcel Reich-Ranicki. Band 1. Directmedia, Berlin 2006, ISBN 978-3-89853-301-0, S. 140.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.