Die Massengräber von Isjum sind Massengräber in den Wäldern nahe der ukrainischen Stadt Isjum. Sie wurden im September 2022 entdeckt, nachdem die Stadt von den ukrainischen Streitkräften während der russischen Invasion in der Ukraine zurückerobert worden war. Darunter war ein Fundort mit mindestens 440 Leichen. In den Gräbern lagen Körper von Menschen, die von den russischen Streitkräften getötet wurden. Die ukrainische Regierung nimmt an, dass mehr als 1000 Menschen in der Schlacht und der darauf folgenden Besetzung von Isjum getötet wurden.
Nach Angaben ukrainischer Ermittler wurden an einem der Standorte 447 Leichen entdeckt, darunter 414 Leichen von Zivilisten (215 Männer, 194 Frauen, 5 Kinder) und 22 Soldaten. Die meisten Toten wiesen Anzeichen eines gewaltsamen Todes auf, und 30 wiesen Spuren von Folter und Hinrichtung auf, z. B. Seile um den Hals, gefesselte Hände, gebrochene Gliedmaßen und Genitalamputationen; andere starben möglicherweise durch Beschuss und mangelnden Zugang zu medizinischer Versorgung.
Am 26. September erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, dass zwei weitere Massengräber „mit Hunderten von Menschen“ gefunden worden seien.
Hintergrund
Nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 begann im März 2022 der Kampf um die Kontrolle der Stadt Isjum, die als Verkehrsknotenpunkt von großer Bedeutung ist. Das russische Militär wollte Isjum einnehmen, damit die Streitkräfte im Gebiet Charkiw mit ihren Truppen in der Region Donbas zusammenwirken konnten. Am 1. April bestätigte das ukrainische Militär, dass sich Isjum unter russischer Kontrolle befand.
Nach dem Beginn der Gegenoffensive in Cherson Ende August 2022 begannen die ukrainischen Streitkräfte Anfang September 2022 eine gleichzeitige Gegenoffensive in der Oblast Charkiw im Nordosten des Landes. Nach einem unerwarteten Vorstoß tief in die russischen Linien konnte die Ukraine bis zum 9. September 2022 viele hundert Quadratkilometer Territorium zurückerobern. Am 10. September 2022 befreiten ukrainische Streitkräfte die Stadt während der Gegenoffensive.
Am 15. September 2022, nachdem die russischen Truppen durch die Gegenoffensive aus Charkiw vertrieben worden waren, wurde in den Wäldern in der Nähe von Isjum eine große Anzahl von meist nicht gekennzeichneten Gräbern gefunden. Zwischen den Bäumen befanden sich Hunderte von Gräbern mit einfachen Holzkreuzen, von denen die meisten nur mit Nummern gekennzeichnet waren. Eines der größeren Gräber trug eine Markierung, die besagte, dass dort die Leichen von mindestens 17 ukrainischen Soldaten lagen. Bis zum 16. September 2022 entdeckten die Ermittler mehr als 445 Gräber von Zivilisten und Soldaten. Die Leiterin des örtlichen Beerdigungsinstituts, Tamara Wolodymyrowna, war bei der Identifizierung und Lokalisierung der Gräber behilflich. Sie war von den Besatzern angewiesen worden, die Gräber nur mit Nummern zu kennzeichnen und sowohl die Anzahl als auch die Namen der Personen schriftlich festzuhalten.
Örtliche Feuerwehrleute wurden zur Bergung der menschlichen Überreste an der Fundstelle hinzugezogen. Einer von ihnen erklärte, dass nach dem Ausgraben jeder Leiche eine Schweigeminute eingelegt wurde, bevor die Überreste rasch auf identifizierende Merkmale oder Gegenstände untersucht wurden. Anschließend wurden sie in einen Sack gepackt und zur genaueren forensischen Untersuchung in ein Leichenschauhaus gebracht.
Bei einer kleineren Anzahl von Toten waren Artilleriebeschuss und Mangel an medizinischer Versorgung die Todesursachen. Nach Angaben der Behörden waren bei einigen der Leichen die Hände auf dem Rücken gefesselt und sie wiesen Folterspuren auf. Oleh Synyehubow, Gouverneur der Region Charkiw, erklärte:
„Von den Leichen, die heute exhumiert wurden, wiesen 99 Prozent Anzeichen eines gewaltsamen Todes auf. Es gibt mehrere Leichen mit auf dem Rücken gefesselten Händen, und eine Person ist mit einem Strick um den Hals begraben. Offensichtlich wurden diese Menschen gefoltert und hingerichtet. Unter den Begrabenen sind auch Kinder.“
Einwohner, die die Besatzung überlebt hatten, gaben an, dass die Russen bestimmte Personen ins Visier genommen hätten und dass sie bereits über Listen von Einheimischen verfügten, die beim Militär waren, von Familienangehörigen von Militärangehörigen oder von Personen, die Veteranen des Krieges im Donbass waren, der zwischen 2014 und 2022 stattfand. Sie sagten auch, dass die Besatzer bei der Auswahl der Opfer die Stadtbewohner terrorisierten, indem sie diese sich öffentlich ausziehen ließen und untersuchten. Wolodymyrowna behauptete, sie habe Mitglieder der Territorialverteidigung und einige Soldaten beerdigen dürfen, aber die Mehrzahl der gefallenen ukrainischen Soldaten habe sie nicht beerdigen dürfen, und sie wisse nicht, wo sich die Leichen befänden.
Untersuchung
Die Vereinten Nationen erklärten, dass sie Beobachter nach Isjum schicken wollten.
Nach Angaben der ukrainischen Ermittler wurden 447 Leichen entdeckt: 414 Leichen von Zivilisten (215 Männer, 194 Frauen, 5 Kinder), 22 Militärangehörige und 11 Leichen, deren Geschlecht am 23. September noch nicht feststand. Die meisten Toten wiesen Anzeichen eines gewaltsamen Todes auf, und 30 wiesen Spuren von Folter und Hinrichtung auf, darunter Seile um den Hals, gefesselte Hände, gebrochene Gliedmaßen und Genitalamputationen.
Reaktionen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verglich die Entdeckung mit dem Massaker von Butscha, als die Beamten mit den forensischen Untersuchungen begannen. Die Menschen, die am Tatort arbeiteten, waren davon erheblich mitgenommen. Einer von ihnen erzählte Reportern, dass er glaubte, dass sie in Zukunft psychologische Hilfe benötigen würden, da die Erinnerung an die Arbeit für immer bei ihnen bleiben werde.
Russland reagierte mit einer massiven Desinformationskampagne in den sozialen Medien, die darauf abzielte, die Ergebnisse als „westliche Fälschung“ zu diskreditieren oder zu behaupten, die getöteten Zivilisten seien in Wirklichkeit ukrainische Soldaten gewesen. Auf die Frage von Reportern nach den Behauptungen von Selenskyj erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, sowohl die Massaker von Isjum als auch von Butscha seien „Lügen“.
Das spanische Außenministerium verurteilte in einer offiziellen Erklärung „das Massaker“ und forderte die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und die Untersuchung der begangenen Verbrechen. Der französische Präsident Emmanuel Macron verurteilte die unter russischer Besatzung begangenen Gräueltaten in Isjum. John Kirby vom Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses sagte, dass „dies leider zu der Beraubung und Brutalität passt, mit der die russischen Streitkräfte den Krieg gegen die Ukraine und das ukrainische Volk führen“.
Der römisch-katholische Kardinal Konrad Krajewski reiste aus Saporischschja an, um gemeinsam mit Bischof Pawlo Hontscharuk von der Diözese Charkiw-Saporischschja für die Verstorbenen und die Arbeiter zu beten.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ William Lamb: A mass grave site with 440 bodies was found in Izium, a police official said. (Memento des vom 16. September 2022 im Internet Archive) In: The New York Times, 15. September 2022. Abgerufen am 26. September 2022. (englisch)
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- ↑ Luke Harding: Izium: after Russian retreat, horrors of Russian occupation are revealed In: The Guardian, 17. September 2022 (englisch)
- ↑ Isobel Koshiw, Tondo Lorenzo: ‘Some hanged themselves’: the work to find answers amid Izium’s mass grave (Memento des vom 16. September 2022 im Internet Archive) In: The Guardian, 16. September 2022 (englisch)
- ↑ Julia Skoryk: „Przebaczyć? Nigdy! To jest nasz wielki, palący ból”. Pomordowanych w Iziumie mogą być tysiące In: ukrayina.pl, gazeta.pl, 19. September 2022 (pl, uk)
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- ↑ More than 1,000 civilians have died in Izium and 80% of infrastructure is destroyed – city councillor. In: Ukrainska Pravda. Abgerufen am 14. November 2022 (englisch).
- ↑ В Ізюмі закінчили ексгумацію – підняли 447 тіл, серед них багато жінок, є діти. In: Українська правда. 23. September 2022, abgerufen am 26. September 2022 (ukrainisch).
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- ↑ Arpan Rai, Liam James: New mass graves found in Izyum after Russian troops flee – Ukraine live. In: The Independent. 26. September 2022, abgerufen am 26. September 2022 (englisch).
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- ↑ На Київщині ЗСУ звільнили 15 населених пунктів – зведення Генерального штабу In: Radio Swoboda, April 2022. Abgerufen am 17. September 2022. (ukrainisch)
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- 1 2 Isobel Koshiw, Lorenzo Tondo: ‘We don’t know where the rest of the bodies went’: the search for answers in Izium. In: the Guardian. 16. September 2022, abgerufen am 17. September 2022 (englisch).
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- ↑ Mass Grave Found in Ukraine Town Retaken from Russia: Zelensky, Kyiv Post, 16. September 2022 (englisch)
- ↑ Hugo Bachega, Matt Murphy: Ukraine war: Hundreds of graves found in liberated Izyum city – officials, BBC News, 16. September 2022 (englisch)
- ↑ Luke Harding: Ukraine says victims from Izium mass grave show signs of torture (Memento des vom 16. September 2022 im Internet Archive) In: The Guardian, 16. September 2022 (englisch)
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- ↑ Tomasz Gdaniec: Rosjanie rozbierali Ukraińców na ulicach. Wiadomo, czego szukali (deutsch: The Russians were stripping Ukrainians on the streets. It’s known what they were looking for), onet.pl, 17. September 2022 (polnisch)
- ↑ David Child: UN to probe Izyum mass grave reports (Memento des vom 16. September 2022 im Internet Archive), Al Jazeera, 16. September 2022 (englisch)
- ↑ Ukraine: UN rights office set to probe ‘mass graves’ in newly liberated east, UN News, 16. September 2022. Abgerufen am 17. September 2022. (englisch)
- ↑ В Ізюмі закінчили ексгумацію – підняли 447 тіл, серед них багато жінок, є діти. In: Українська правда. Abgerufen am 26. September 2022 (ukrainisch).
- ↑ Kremlin says Ukrainian war crimes claims are a lie. In: Reuters. 19. September 2022, abgerufen am 24. September 2022 (englisch).
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- ↑ Xing Fang: Macron condemns ‘atrocities’ in Izyum, Ukraine. In: Macau Business. 17. September 2022, abgerufen am 19. September 2022 (englisch).
- ↑ Mateusz Czmiel: Biały Dom reaguje na apel Zełenskiego. „Przerażające” (deutsch: The White House reacts to Zelenskyy’s appeal. “Shocking”), Wirtualna Polska, 17. September 2022 (polnisch)
- ↑ Benedetta Capelli, Linda Bordoni: Cardinal Krajewski prays before mass graves in Izium – Vatican News. In: vaticannews.va. 20. September 2022, abgerufen am 20. September 2022 (englisch).