Als Meister der Thorner Madonna (pol. Mistrz Pięknej Madonny Toruńskiej) wird ein Bildhauer bezeichnet, der im 14. Jahrhundert die Thorner Madonna, eine gotische Marienstatue für die St. Johanniskirche im heute polnischen Toruń (dtsch. Thorn) geschaffen hat. Der namentlich nicht bekannte Künstler erhielt seinen Notnamen nach dieser Kalksteinfigur der Maria, der Mutter Jesu. Sie war Teil eines um 1390 entstandenen und heute nicht mehr existierenden Altars. Auch das Original der Madonna ist seit 1944 verschollen, in Toruń steht heute als Ersatz eine 1957 geschaffene originalgetreue Kopie der Madonnenfigur.

Die Thorner Madonna wird stehend mit jugendlichem, edlen Antlitz und in höfischer Kleidung mit elegantem Faltenwurf dargestellt, sie gilt unter Experten als einer der Prototypen der sogenannten Schönen Madonnen der Gotik. Nach diesem Vorbild werden dann viele nachfolgende gotische Marienfiguren ebenfalls typisch als milde lächelnden Maria mit Kind und graziöse Körperbiegung und in Kleidung mit üppig-weichem Faltenwurf gezeigt.

Die Thorner Madonna ist eines der ersten Beispiele dafür, wie mit Beginn der Herrschaft von Kaiser Karls IV. und dessen Förderung der Kunst von Prag ausgehend sich der Einfluss norditalienischer und französischer sowie mittelrheinischer Plastik auch im Osten Europas ausbreiten konnte. Es entstanden gerade zu Beginn der Regierung des Kaisers erste gotische Madonnenfiguren in Böhmen. Von dort her gelangte ein so entstehender sogenannter Weicher Stil der Region – wie an der Thorner Madonna erkennbar – über Schlesien bis nach Toruń, das im Mittelalter Teil des Deutschordenslandes war. Die Thorner Madonna zeigt enge Verwandtschaft zu einer in Böhmen um 1390 oder 1400 entstandenen Figur, der Krumauer Madonna, ebenfalls aus Kalkstein geschaffenen vom sogenannten Meister der Krumauer Madonna. Die Krumauer Madonna entstand im Umfeld des Prager Hofes und zeichnet sich wie die Thorner Madonna durch Feinheit und die zarte Darstellung als eines der bedeutendsten Beispiele von gotischen Marienfiguren aus. Ob aber, wie manchmal vermutet, der Meister der Krumauer Madonna der gleiche Künstler ist, der auch die Thorner Madonna schuf, und eventuell auf Wanderung und in Lehrzeit seinen Stil von Böhmen über Schlesien bis nach Toruń verbreitete, ist umstritten. Beiden Madonnenfiguren sind jedenfalls ein Beispiel für den grenzüberschreitenden Fluss von künstlerischen Ideen der mitteleuropäischen Gotik auch im Osten Europas. Als dritte Figur, die solche Stilentwicklung zuerst begann wird eine Madonna des Meisters der Madonna von Michle angesehen. Die um 1340 geschaffene Figur steht am Anfang der Entwicklung der böhmischen Bildhauerei und der Entwicklung einer lokalen Kunst hin dann zu einem typisch böhmischen weichen Stil. Eine bemerkenswerte Vergleichbarkeit finden wir in der Stralsunder Junge-Madonna, die jedoch in Nussbaumholz, farbig gefasst in einem Schrein des ehemaligen Gestühls der Familie Junge in der Kirche St. Nikolai (Stralsund) zu sehen ist.

Literatur

  • Wilhelm Pinder: Zum Problem der „Schönen Madonnen“ um 1400. In: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen. Jahrgang 44, Berlin 1923.
  • Karl Heinz Clasen: Die „Schönen Madonnen“, ihr Meister und seine Nachfolger. Königstein im Taunus 1951.
  • Albert Kutal: Gotische Kunst in Böhmen. Prag 1971.
  • Karl Heinz Clasen: Der Meister der Schönen Madonnen. Herkunft, Entfaltung, Umkreis. Berlin, New York 1974.
  • Jaromír Homolka: Die Parler und der schöne Stil 1350–1400. Köln 1978.
  • Jaromír Homolka: K jednomu motivu krásných Madon (Zu einem Motiv der Schönen Madonnen). In: Acta historiae artis Slovenica. 6, 2001, S. 5–12 (slowenisch).
  • Tadeusz Jurkowlaniec: Mittelalterliche Steinskulptur in den heutigen polnischen Ostseegebieten. Denkmälerbestand und Stand der Forschung. In: Lars Olof Larsson (Hrsg.): Kunst- und Kulturgeschichte im Baltikum (= Homburger Gespräche. 19). Kiel 2004, S. 22–63.
  • Burkhard Kunkel: Die Stralsunder Junge-Madonna als Ebenbild der Schönen Madonna von Thorn? Überlegungen zur Herkunft eines Marienbildes aus Stralsunder Perspektive. In: Terra sanctae Mariae. Band 7, Bonn 2009, S. 257–278.
  • Monika Jakubek-Raczkowska: Die Einflüsse Böhmens auf die gotische Skulptur im Ordensland Preußen. Ein Überblick im Lichte der neusten Forschungen. In: Jiří Fajt, Andrea Langer (Hrsg.): Kunst als Herrschaftsinstrument: Böhmen und das Heilige Römische Reich unter den Luxemburgern im europäischen Kontext. Berlin 2009, S. 550–563.

Einzelnachweise

  1. Schöne Madonnen. In: P.W. Hartmann: Das grosse Kunstlexikon, www.beyars.com (aufgerufen November 2011)
  2. Burkhard Kunkel: Die Stralsunder Junge-Madonna als Ebenbild der Schönen Madonna von Thorn? Überlegungen zur Herkunft eines Marienbildes aus Stralsunder Perspektive. In: Terra sanctae Mariae. Kunsthistorische Arbeiten der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Band 7, Bonn 2009, S. 257–278.
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