Die evangelische Stadtkirche St. Michael ist ein ortsbildprägendes Kirchengebäude in Schlüchtern, einer Kleinstadt im Main-Kinzig-Kreis (Hessen). Die evangelische Kirchengemeinde Schlüchtern gehört zum Kirchenkreis Kinzigtal der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck.

Geschichte

Altarraum Ende 19. Jahrhundert
Altarraum der 1950er und 1960er Jahre
Altarraum der 1970er Jahre (2019)
Blick in den Altarraum (2023)

Bereits im 9. Jahrhundert war in Schlüchtern eine Kirche vorhanden. Der nachfolgende Kirchenbau, wovon lediglich noch der Turm erhalten ist, stammt ursprünglich aus der Zeit um 1100 und wurde dem Erzengel Michael geweiht. 1167 war Schlüchtern eine Pfarrei, die zum Kloster Schlüchtern und zum Archidiakonat des Landkapitels Karlstadt des Bistums Würzburg gehörte. Damals gehörten zur Pfarrei die Kirchspiele Schlüchtern, Ramholz und die Kirchen Aufenau sowie Marjoß. Zum Kirchspiel Schlüchtern zählten damals Elm, Kressenbach und Hintersteinau. 1405 gehörten dem Bezirk an: Ahlersbach, Bellings, Elm, Hohenzell, Kressenbach, Niederzell und Wallroth.

Seit der zweiten Reformation in der Grafschaft Hanau-Münzenberg unter Graf Philipp Ludwig II. war die Kirche reformiert. Bereits im 17. Jahrhundert waren nach dem Dreißigjährigen Krieges umfangreiche Reparaturen nötig. Neben der Stadtkirche gab es noch einen lutherischen Betsaal. Durch die Hanauer Union wurden diese beiden evangelischen Kirchen 1818 vereinigt und der Betsaal geschlossen. Das aktuelle Kirchenschiff entstand in den Jahren 1838 bis 1840. Als Architekt gilt E. F. Spangenberg. Der Kirchenraum von 1840 war in weißen und hellgrauen Farben gestaltet. Die Kirche wurde im Jugendstil mit dunklen Bänken, dunklen Emporen sowie marmorfarbenen Säulen gestaltet. In den 1950er Jahren wurde die Kirche im nüchternen Stil der Nachkriegszeit neu gestaltet. Eine weitere Renovierung fand in 1971 statt. Jetzt wurden die Wände weiß, die Empore und die Säulen ochsen-blutrot und die Bänke dunkelgrün. Die letzte Renovierung fand zwischen 2021 und 2023 statt. Heute erstrahlt der Kirchenraum wieder in hellen grauen und weißen Farben. Über dem komplett neugestalteten Altarraum befindet sich ein modernes Glasmosaik.

Architektur

Der Turm stammt noch von einem Vorgängerbau der Kirche in frühgotischen Stil um das Jahr 1400. Das Kirchenschiff entstand in den Jahren 1838–1840, wobei das ehemalig gotische Kirchenschiff verschwand und durch einen bedeutend breiteren Saalbau mit Rundbogenfenstern im Stil des Klassizismus ersetzt wurde.

Ausstattung

Taufstein von 1534 / Glaskunstwerk (2023)
Kreuz / Glaskunstwerk (2023)

Taufstein

Im Jahr 1960 wurde bei Bauarbeiten an der Klostermauer der Taufstein des ehemaligen Benediktinerklosters aus dem Jahr 1534 wiedergefunden. Dieser wurde während des calvinistischen Bildersturms beseitigt. Nachdem er mit einem Messingbecken versehen und vor der Stufe zum Altarraum platziert wurde, konnte er als Taufbecken genutzt werden. Nach der zwischen 2021 und 2023 erfolgten Renovierung befindet sich der Taufstein mit einer neuen Einfassung im Eingangsbereich der Kirche. Dadurch symbolisiert er eine Grundüberzeugung des christlichen Glaubens, dass man durch die Taufe in die Kirche gelangt.

Glaskunstwerk

Auch das neue zentrale Glaskunstwerk der Kirche schlägt eine Brücke zur Taufe. Die neue Wandgestaltung orientiert sich an der Struktur von Wasseringen. Einzelne Kreisringe überlagern und durchdringen sich. Im Zentrum führen die Kreise zum Goldenen Kreuz, dessen Arme sich aufrichten.

Altarraum

Der Altarraum, welcher sich bis 2021 im Stil der nüchternen 50er und 60er Jahre darstellte, wurde im Zuge der Innenrenovierung von 2021 bis 2023 grundlegend neugestaltet. Die neuen Prinzipalstücke wurden nach Plan der Künstler Lönne und Neumann durch die Schmiede der Abtei Königsmünster in Meschede gefertigt.

Hierbei sind ein neuer Altar, dessen insgesamt 12 Öffnungen an die Gemeinschaft Jesu Christi mit seinen 12 Aposteln erinnert und neues Lesepult hinzugekommen, welches mit seinen zwei Komponenten an zwei aufeinander bezogene Pole, wie das Neue und Alte Testament.

Das alte Altarkreuz konnte als Standkreuz umfunktioniert werden. Auf den acht Seiten der Kreuzarme ein fortlaufender Text zweier Bibelverse abgebildet:

Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des Lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird dies ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein. – Offenbarung 21,6–7. (Lutherübersetzung 2017)

Orgeln

Bereits im Jahr 1543 ging ein Auftrag an Laurentius Daum aus Fulda, welcher eine Orgel bauen sollte. Diese wurde 1547 fertiggestellt. 1683 war eine andere Orgel (Große Orgel auf der Westempore) vorhanden, die 1761 über acht Register auf einem Manual und ein mit drei Registern „angeflicktes“ Pedal verfügte. Johann Heinrich Zinck führte 1738/1739 und 1750 Reparaturen durch. 1765 erfolgte ein Orgelneubau durch seinen Neffen Johann Georg Zinck aus Wächtersbach. 1839 wurde wieder eine neue Orgel durch Georg Link aus Reinhards gebaut. Durch Wilhelm Ratzmann aus Gelnhausen erfolgte 1903 ein weiterer Orgelneubau mit Gehäuse im Stil der Neugotik auf der hinteren Empore. Dieses Instrument wurde von 1951 bis 1956 durch die Orgelbaufirma Walcker aus Ludwigsburg umgebaut und von 21 auf 24 Register erweitert. Die meisten Register dieser Orgel sind erhalten geblieben. Unter deren Verwendung wurde die Orgel 1970 durch einen Neubau von Willi Peter aus Köln ersetzt, welcher zunächst 33 Register und zwei Manuale hatte. 1974 wurde die Orgel erneut erweitert, sodass sie dann 3 Manuale und 45 Register erhielt. Sowohl die Arbeiten von 1951 bis 1965 als auch zwischen 1970 und 1974 wurden nach Plänen von Ernst Karl Rößler durchgeführt. Diese Orgel wurde an die Neuapostolische Kirche Magdeburg verkauft, wo sie heute noch im Einsatz ist.

Schuke-Orgel

Die heutige Orgel der Stadtkirche wurde 1994 von Karl Schuke erbaut. Zusätzlich zu den wöchentlichen Gottesdiensten erklingt sie regelmäßig in Gemeindekonzerten. Außerdem wird sie als Prüfungs- und Konzertinstrument der Kirchenmusikakademie (KMA) genutzt. Momentan (2023) besitzt die Orgel 37 Register. Fünf Register sowie eine Setzeranlage sollen in den nächsten Jahren ergänzt werden, sodass die Orgel dann insgesamt 42 Register besitzt.

I Hauptwerk C–a3
Bordun16′
Principal8′
Gedackt8′
Octave4′
Blockflöte4′
Octave2′
Mixtur V–VI113
Trompete8′
II Positiv C–a3
Rohrflöte8′
Principal4′
Spitzflöte4′
Flachflöte2′
Quinte113
Sesquialtera II223
Scharff IV23
Cromorne8′
Tremulant
III Schwellwerk C–a3
Flötenprincipal8′
Bordun8′
Salicional8′
Vox coelestis8′
Octave4′
Traversflöte4′
Nasat223
Octave2′
Tierce135
Martinshorn1′
Fourniture IV2′
Hautbois8′
Tremulant
Pedal C–f1
Holzprincipal16′
Subbaß16′
Octavbaß8′
Gedackbaß8′
Choralbaß4′
Hohlflöte4′
Rauschpfeife223
Posaune16′
Trompete8′
  • Koppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P
  • Spielhilfen: Pleno HW an – Pleno HW ab, Pleno Pos. an – Pleno Pos. ab, Zungen SW an – Zungen SW ab, Sperrventile: Großpedal, Kleinpedal

Bosch-Orgel im Konferenzraum

Im Jahr 1974 wurde eine Orgel, welche Werner Bosch um 1950 für die Johanniskirche in Kassel erbaut hatte (damals ohne Pedal), im Konferenzraum der Stadtkirche aufgestellt. Momentan (2023) befindet sich die Orgel aufgrund der erfolgten Renovierung der Kirche eingelagert.

I Manual C–f3
Gedackt8′
Prinzipal4′
Gemshorn2′
Zimbel I–II
Pedal C–f1
Subbaß16′
Choralbaß4′

Glocken

Die Stadtkirche besitzt ein Geläut aus drei Glocken. Die älteste Glocke, die kleine Marienglocke, stammt vermutlich aus dem 14. Jahrhundert und wurde ursprünglich im benachbarten Kloster gegossen. Im Jahr 1953 wurde sie als Leihgabe im Turm der Stadtkirche aufgehängt. Die mittlere Glocke wurde 1700 von Johann Schneidewind in Frankfurt gegossen und ist dem heiligen Erzengel Michael gewidmet. Sie zeichnet sich durch eine kunstvoll gestaltete Krone mit Löwenköpfen auf den Henkeln aus. Die größte Glocke des Geläuts wurde 1953 von der Glockengießerei Gebr. Rincker in Sinn hergestellt. Sie ersetzt zusammen mit der alten Marienglocke aus dem Kloster zwei Glocken der Gießerei Bach aus Windecken, die im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen wurden. Alle Glocken sind in einem historischen Holzglockenstuhl aufgehängt. Während die dritte Glocke ein Stahljoch verwendet, hängen die Glocken 1 und 2 an Holzjochen.

Nr.
 
Name
 
Gussjahr
 
Gießer, Gussort
 
Material
 
Durchmesser
(mm)
Schlagton
 
Inschrift
 
Bild
1Grosse Glocke1953Rincker, SinnBronze1.200e1Einmal werden alle Stimmen jauchzend Gottes Thron umschweben Ihr dürft hier, ihr freudberufenen, seinen Namen schon erheben Dein ist Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit
2Michaelsglocke1700Johann Schneidewind, Frankfurt a. M.Bronze1.000g1GOS MICH MIOHANNES SCHNEIDEWIND IN FRANCKFURT H. IOHAN PETER BRAUN PFARRER 1700 H. IOHAN MICHAEL WEICHEL H. IOHAN CASPAR HENSLER BEIDE H. K. BAUMEISTER IN SCHLÜCHTERN
3Marienglockeca. 14. Jhd.unbekanntBronze850h1AVE MARIA GRATIA PLENA DOMINVS TECVMBENEDICTA MV LIERIBVS BENEDICTVS

Kirchengemeinde

Schlüchtern gehört zusammen mit Elm, Niederzell, Klosterhöfe, Hutten und Gundhelm zur Kirchengemeinde Schlüchtern. Zusammen mit der Kirchengemeinde Ramholz mit Vollmerz, Sannerz und Hinkelhof bilden die beiden Gemeinden einen Kooperationsraum. Der Kooperationsraum verteilt sich auf 4 Pfarrstellen, wovon sich Pfarramt II und III in Schlüchtern befinden.

Persönlichkeiten

Organisten

  • Walter Opp (1931–2022), Kirchenmusiker, Hochschullehrer und Universitätsmusikdirektor in Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
  • Martin Bartsch (* 1942), Kirchenmusiker, ehem. Landeskirchenmusikdirektor Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck
  • Gunther Martin Göttsche (* 1953), Kirchenmusiker und Komponist, ehem. Leiter der Kirchenmusikakademie Schlüchtern
  • Michael Schneider (* 1977), evangelischer Theologe, Präses der EKKW und Kirchenmusiker
Commons: Stadtkirche St. Michael – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 1 2 3 4 5 Gottfried Rehm: Die Orgeln des ehemaligen Kreises Schlüchtern. In: Norddeutsche Orgeln. Nr. 10. U. Pape, Berlin 1975, ISBN 978-3-921140-14-7, S. 152, 156–166; 168.
  2. 1 2 Festschrift 800 Jahre Evangelische Stadtkirche St. Michael.
  3. 1 2 Evangelischer Gemeindebrief Kirchentöne. Nr. 134. März, April, Mai 2023, S. 4–5, 8, 15.
  4. Stadtkirche in Schlüchtern wird für 1,6 Millionen Euro saniert – Zwei Jahre Bauarbeiten. 15. Dezember 2020, abgerufen am 13. Juni 2023.
  5. 1 2 Evangelischer Gemeindebrief Kirchentöne. Nr. 116, September – November 2018. S. 8–20.
  6. 1 2 Evangelischer Gemeindebrief Kirchentöne. Nr. 135, Juni, Juli, August 2023. S. 4, 5, 14, 15
  7. 1 2 3 Evangelischer Gemeindebrief Kirchentöne. Nr. 124, September – November 2020. S. 5–7.
  8. Evangelischer Gemeindebrief Kirchentöne. Nr. 126, S. 6 (Vergleich: Pfarrer Wilfried A. Battefeld).
  9. 1 2 Lönne Neumann Stadtkirche Schlüchtern Abgerufen am 24. August 2023.
  10. Krystian Skoczowski: Die Orgelbauerfamilie Zinck. Ein Beitrag zur Erforschung des Orgelbaus in der Wetterau und im Kinzigtal des 18. Jahrhunderts. Haag + Herchen, Hanau 2018, ISBN 978-3-89846-824-4, S. 166.
  11. Orgel. 28. September 2021, abgerufen am 9. September 2023.
  12. Schuke Orgel – Kirchenmusik Schlüchtern. Abgerufen am 13. Juni 2023 (deutsch).
  13. Kirchenmusikakademie – Steckbrief Schuke.Orgel. Abgerufen am 24. August 2023.
  14. 1 2 Bosch-Orgel im Konferenzraum auf der Seite der KMA. Abgerufen am 24. August 2023.
  15. Createsounscape Glockenfinder
  16. 1 2 „Glocken in Schlüchtern.“ Heft.
  17. Evangelische Kirchengemeinde Schlüchtern + Ramholz. Abgerufen am 24. August 2023.
  18. Kirchenkreis Kinzigtal – Kooperationsraum Schlüchtern Ramholz. Abgerufen am 24. August 2023.
  19. 1 2 Kirchenmusikakademie Schlüchtern
  20. Private Homepage Hartmut Darmstadt. Abgerufen am 24. August 2023.

Koordinaten: 50° 20′ 49,5″ N,  31′ 38,7″ O

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