Die Neue Reichskanzlei in der Voßstraße im heutigen Berliner Ortsteil Mitte wurde zwischen 1934 und 1943 unter Adolf Hitler nach Plänen von Albert Speer als Ergänzung der alten Reichskanzlei und des 1928–1930 errichteten Erweiterungsbaus in der Wilhelmstraße gebaut.

Baugeschichte

Offiziell beauftragte Hitler am 11. Januar 1938 Generalbauinspektor Albert Speer mit einem Neubau entlang der gesamten Voßstraße, was einer Gebäudefront von 421 Metern Länge entspricht. Die Planungen hatten schon 1934 begonnen, und ab 1935 wurden die 18 Gebäude der Straße Stück für Stück aufgekauft. Das ebenfalls seit 1934 in Reichsbesitz befindliche Palais Borsig (Voßstraße 1) wurde nicht abgerissen, sondern in den Neubau integriert. Die Baupläne wurden von Hans Peter Klinke realisiert.

Abgerissen wurden dagegen bis 1937 die Gebäude Voßstraße 2–10. Das beinhaltete auch die Bayrische Gesandtschaft (Hausnummer 3), das Justizministerium (Hausnummer 4/5) und die Württembergische Gesandtschaft (Hausnummer 10). Erst mit der offiziellen Vergabe des Bauauftrages an Albert Speer wurde damit begonnen, die Gebäude westlich davon, Voßstraße 11–19 (darunter die Gauleitung Groß-Berlin der NSDAP und die Sächsische Gesandtschaft), abzureißen.

Ab Anfang 1938 wurde mit Hochdruck an der Fertigstellung der Neuen Reichskanzlei gearbeitet, um sie rechtzeitig zum jährlichen Diplomatenempfang am 7. Januar 1939 fertigzustellen. Dies gelang nicht; einige Ausbauarbeiten dauerten bis Anfang der 1940er Jahre. Die von Speer nach dem Zweiten Weltkrieg in seiner Autobiografie gegebene Schilderung, er sei Ende Januar 1938 zum „Führer“ gebeten worden und dieser habe ihm völlig überraschend eröffnet, Speer solle ihm eine Neue Reichskanzlei gestalten, ist nicht nachweisbar.

Der Bau des in den ursprünglichen Plänen nicht vorgesehenen Führerbunkers begann erst 1943. Er lag auch nicht unter der Neuen Reichskanzlei, sondern zusammen mit anderen von Hitler genutzten Luftschutzräumen im Garten der Alten Reichskanzlei (Wilhelmstraße 77). Die Neue Reichskanzlei hatte 1938 auch Luftschutzkeller erhalten; diese wurden von Menschen aus der Umgebung genutzt.

Insgesamt kostete der Bau der Reichskanzlei 90 Millionen Reichsmark, was kaufkraftbereinigt in heutiger Währung rund 439,4 Millionen Euro entspricht.

Architektur und Arbeitszimmer Hitlers

Bei der Konzeption der Neuen Reichskanzlei ging es Speer hauptsächlich um die architektonische Repräsentation von Macht und Herrlichkeit von Führer und Reich. Der gesamte Gebäudekomplex wurde, der Architektur des Nationalsozialismus entsprechend, in einer kühlen neoklassizistischen Formensprache errichtet. Die sogenannte „Diplomaten-Route“, eine opulente und langgestreckte 300 Meter lange Raumflucht, die vom monumentalen Ehrenhof, über eine Vorhalle in den Mosaiksaal, den Runden Saal und die Marmorgalerie führte, endete schließlich im Empfangssaal, beziehungsweise dem Arbeitszimmer Hitlers. Dieses Architekturkonzept griff auf die barocke Enfilade zurück, dem repräsentativen, durch kostbar ausgestattete Räume führenden Weg zum absoluten Herrscher. Speer und Hitler wollten allerdings die einstige barocke Prachtentfaltung in ihrer Monumentalität übertreffen. So war die Marmorgalerie der Reichskanzlei doppelt so lang wie der Spiegelsaal von Versailles. Die Neue Reichskanzlei sollte den Anspruch auf eine deutsche Dominanz in Europa untermauern. Für die Innengestaltung mehrerer Büros, der Kanzlei des Führers und des Großen Sitzungssaals war Architekt Cäsar Pinnau verantwortlich.

Das Arbeitszimmer Hitlers war der größte und prächtigste Saal des Bauwerks. Es hatte eine Grundfläche von knapp 400 m² bei einer Höhe von fast zehn Metern. Kostspielige Materialien wurden verbaut: dunkelroter Saalburger Marmor, Palisander und Rosenholz für die Wände, Palisander für die Kassettendecke und Ruhpoldinger Steinplatten für den Fußboden. Der großzügig dimensionierte Schreibtisch war mit Intarsien verziert und die Platte mit rotem Leder bespannt. Der Kartentisch hatte eine aus einem Stück gefertigte fünf Meter lange und 1,60 Meter breite Marmorplatte. An den Wänden hingen wertvolle Gemälde nach Hitlers Kunstgeschmack. Das Büro wurde hauptsächlich zu Repräsentationszwecken genutzt.

Ausstattung

Zur Ausgestaltung der neuen Reichskanzlei wurden von Speer im Auftrag Hitlers zahlreiche Künstler und Kunsthandwerker herangezogen. So wurde das Mobiliar der Machtzentrale eigens für diesen Bau von Hand gefertigt. Das galt auch für Silberbestecke und Tafelgeschirr, Gobelins und Vorhänge.

Zu den führenden beteiligten Bildhauern gehörten

  • Arno Breker (Skulpturenschmuck am zentralen Hauptportal Die Partei [Fackelträger] und Die Wehrmacht [Schwertträger]),
  • Josef Thorak (überlebensgroße Pferdebronzen auf der Terrasse zum Park) und
  • Kurt Schmid-Ehmen (Hoheitszeichen: Reichsadler mit Hakenkreuz).

Die Gebäudetechnik entsprach dem damals modernsten Standard und umfasste unter anderem eine Klimaanlage und Rolltreppen im Büroflügel.

Reste der Ausstattung befinden sich heute unter anderem im Deutschen Historischen Museum in Berlin (Schreibtisch und Globus aus Hitlers Arbeitszimmer), im Kreml in Moskau (Kronleuchter und Kandelaber), im Pentagon in Washington (Gemälde), im Museum Europäischer Kunst im Schloss Nörvenich (die Skulptur Die Partei) und als Beutegut und Souvenir im Besitz ehemaliger alliierter Soldaten und deren Erben sowie Privatsammlern (Möbel, Geschirr).

Den Garten hinter dem Hauptgebäude schmückte Speer mit großen Bronzefiguren aus, darunter zwei schreitende Pferde von Josef Thorak. Eine der Pferdebronzen wurde zuletzt auf einem Kasernengelände der russischen Streitkräfte in Eberswalde gesehen. Ihr Verbleib nach dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Deutschland in den 1990er Jahren war bis zum Jahr 2015 ungeklärt, ehe die beiden „Schreitenden Pferde“ am 20. Mai 2015 bei einer bundesweiten Razzia in Bad Dürkheim wiedergefunden wurden. Dabei wurde auch ein monumentales Granit-Relief von Arno Breker in einer Lagerhalle entdeckt, das wohl für den nicht verwirklichten Triumphbogen bestimmt war.

Zerstörung

Bei den Luftangriffen auf Berlin wurde die Neue Reichskanzlei bis zum Kriegsende nur leicht beschädigt. Nach der Eroberung Berlins erbeuteten die sowjetischen Truppen einen der Reichsadler (Bronzearbeit von Kurt Schmid-Ehmen) aus der Reichskanzlei. Die Sowjetunion übereignete ihn im Jahr 1946 dem Vereinigten Königreich. Heute ist er im Imperial War Museum in London ausgestellt.

Als eines der zentralen Symbole der Macht Hitlers wurde der unterschiedlich stark zerstörte Gebäudekomplex der Neuen und Alten Reichskanzlei und des Palais Borsig von 1949 bis 1956 auf Befehl der Sowjetischen Kontrollkommission abgetragen.

Da nach 1945 in der DDR für repräsentative Bauten Saalburger Marmor (ein roter Kalkstein und im petrografischen Sinne kein echter Marmor) genutzt wurde, wurde kolportiert, dass Boden- und Wandverkleidungen der Neuen Reichskanzlei, die zu Teilen ebenfalls aus diesem Material bestanden, wieder verwendet wurden. Dies betrifft die Foyers der Humboldt-Universität und des Alten Palais, den U-Bahnhof Mohrenstraße und die Sowjetischen Ehrenmale (im Treptower Park, im Tiergarten und in der Schönholzer Heide). Ein direkter Nachweis dafür liegt nicht vor.

In Roberto Rossellinis Film Deutschland im Jahre Null aus dem Jahr 1947 spielen einige Szenen in der Ruine der Neuen Reichskanzlei. In diesen ist zu sehen, dass bereits abschnittsweise die Bodenbeläge im Bereich der Marmorgalerie entfernt worden sind.

Bei Fundamentvorbereitungen für Neubauten an der Ecke Voß- und Ebertstraße wurden im Februar 2008 Fragmente ehemaliger Fenstergewände oder Dachgesimse geborgen. Die Steine konnten der Neuen Reichskanzlei zugeordnet werden.

Heute erinnert eine Tafel der Stiftung Topographie des Terrors an das Gebäude. Der Baugrund wurde in der späten DDR-Zeit um 1988 mit mehrgeschossigen Plattenbau­wohnungen neu bebaut.


Literatur

  • Albert Speer. Architektur. Arbeiten 1933–1942. Propyläen-Verlag, Berlin 1978 (ungekürzter Nachdruck. ebenda 1995, ISBN 3-549-05446-7).
  • Dietmar Arnold: Reichskanzlei und „Führerbunker“. Legenden und Wirklichkeit. Links, Berlin 2005, ISBN 3-86153-353-7.
  • Dieter Bartetzko: Illusionen in Stein. Stimmungsarchitektur im deutschen Faschismus. Ihre Vorgeschichte in Theater- und Film-Bauten. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1985, ISBN 3-499-17889-3 (rororo-Sachbuch 7889. Kulturen und Ideen).
  • Dieter Bartetzko: Zwischen Zucht und Ekstase. Zur Theatralik von NS-Architektur. Mann, Berlin 1985, ISBN 3-7861-1420-X (Gebr.-Mann-Studio-Reihe).
  • Olaf Groehler: Die Neue Reichskanzlei. Das Ende. Brandenburgisches Verlags-Haus, Berlin 1995, ISBN 3-89488-087-2 (Das Tagebuch Europas. 1945).
  • Andreas Grüner: Von Didyma zur Reichskanzlei. Eine Ikone des Nationalsozialismus und ihr hellenistisches Vorbild. In: Pegasus. 6, 2004, ISSN 1436-3461, S. 133–148, bbaw.de (PDF; 26,42 MB).
  • Alexander Kropp: Die politische Bedeutung der NS-Repräsentationsarchitektur. Die Neugestaltungspläne Albert Speers für den Umbau Berlins zur „Welthauptstadt Germania“ 1936–1942/43. ars una Verlagsgesellschaft, München (u.a.) 2005, ISBN 3-89391-135-9 (Deutsche Hochschuledition 135).
  • Christoph Neubauer: Stadtführer durch Hitlers Berlin – Damals & Heute. Christoph Neubauer Verlag, Frankfurt (Oder) 2019, ISBN 978-3-9813977-2-7.
  • Ronald Pawly: Hitler’s Chancellery. (A Palace to Last a Thousand Years.) Crowood Press, Ramsbury 2009, ISBN 978-1-84797-091-6.
  • Frank-Bertolt Raith: Der Heroische Stil. Studien zur Architektur am Ende der Weimarer Republik. Verlag für Bauwesen, Berlin 1997, ISBN 3-345-00606-5.
  • Angela Schönberger: Die neue Reichskanzlei von Albert Speer. Zum Zusammenhang von nationalsozialistischer Ideologie und Architektur. Gebr. Mann, Berlin 1981, ISBN 3-7861-1263-0 (Gebr.-Mann-Studio-Reihe) (Zugleich: Berlin, Freie Universität, Dissertation 1978).
  • Alexander Scobie: Hitler’s state architecture. The impact of classical antiquity. Pennsylvania State University Press, University Park PA (u.a.) 1990, ISBN 0-271-00691-9 (Monographs on the Fine Arts 45).
  • Chronik für die Reichshauptstadt Berlin. In: Berliner Adreßbuch, 1939, vor Teil 1; IV. Bauwesen, S. 12 (Darstellung der Baumaßnahmen an der Neuen Reichskanzlei).
  • Andreas Nachama (Hrsg.): Die Wilhelmstraße 1933–1945 – Aufstieg und Untergang des NS-Regierungsviertels, Stiftung Topographie des Terrors, 2012, ISBN 978-3-941772-10-6, S. 54 ff.
  • Ernst Günther Schenck: Das Notlazarett unter der Reichskanzlei – Ein Arzt erlebt Hitlers Ende in Berlin, VMA-Verlag, Wiesbaden 2000.

Filme (Auswahl)

Commons: Neue Reichskanzlei – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jan Heidtmann: Verpfuschte Bauwerke wie der BER Berlin: „Germanias“ Ungeist. In: Süddeutsche.de, 20. Januar 2013.
  2. Der Betrag wurde mit der Vorlage:Inflation ermittelt und bezieht sich auf den vergangenen Januar.
  3. NDR: Umtriebig und umstritten: Architekt Cäsar Pinnau. Abgerufen am 9. Februar 2020.
  4. Florian Müller-Klug: Hitlers Büros in Berlin – Teil 1: Die Reichskanzlei und die Neue Reichskanzlei. In: Clio Berlin Blog, 14. November 2014.
  5. Ernst-Adolf Chantelau: Die Bronzestatuen von Tuaillon, Thorak, Klimsch und Ambrosi für Hitlers Garten. Ein Beitrag zur Topografie der Neuen Reichskanzlei von Albert Speer. Books on Demand, Norderstedt 2019, ISBN 978-3-7494-9036-3.
  6. Filmtagebuch „Zeit der Götter“, 1988–1994 (Memento des Originals vom 13. März 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF; 203 kB)
  7. dpa: Schreitende Pferde. Verschollene Nazi-Kunst entdeckt. In: faz.net, 20. Mai 2015.
  8. dpa: Bad Dürkheim. Monumentale Nazi-Kunst aus Berlin in Bad Dürkheim entdeckt. In: Die Rheinpfalz, 20. Mai 2015.
  9. Bernd Kleinhans: Die „Neue Reichskanzlei“ (2007)
  10. Johannes H. Schroeder: Natursteinwerke in Architektur und Baugeschichte von Berlin / Führer zur Geologie in Berlin und Brandenburg Nr. 6. Selbstverlag Geowissenschaftler in Berlin und Brandenburg e.V., Berlin 1999, ISBN 3-928651-07-2.

Koordinaten: 52° 30′ 41″ N, 13° 22′ 49″ O

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