Der Night Ferry war ein Schlafwagenzug zwischen London Victoria und Paris Gare du Nord. Seine Wagen querten den Ärmelkanal per Fähre zwischen Dover und Dünkirchen. Später wurde er um Kurswagen nach Brüssel erweitert. Er verkehrte von 1936 bis 1980, von einer kriegsbedingten Pause zwischen 1939 und 1947 abgesehen. Vor Inbetriebnahme des Eurotunnels war er die einzige durchgehende Zugverbindung zwischen London und Paris.

Betrieb

Der Zug wurde seit dem 5. Oktober 1936 von der französischen Chemins de fer du Nord (NORD) und der Southern Railway (SR) gemeinsam betrieben. Die NORD ging bereits 1938 nach der Verstaatlichung in der Staatsbahn SNCF, im Vereinigten Königreich übernahm 1948 mit der Verstaatlichung British Railways den Betrieb von der SR. Zoll- und Passformalitäten fanden bereits im Bahnhof Victoria Station statt. Zwischen Dover (Bahnhof Dover Marine) und Dünkirchen wurde der Teil des Zuges, der von den Schlaf- und Gepäckwagen gebildet wurde, auf eine Fähre verladen und dabei in mehrere Segmente zerlegt, um die Fähre gleichmäßig zu belasten. Die Reisenden in den Sitzwagen mussten umsteigen. Wegen der hohen Unterschiede im Wasserstand aufgrund der Gezeiten nutzten die Fähren dafür ein speziell erbautes Dock, das es – wie bei einer Schleuse – ermöglichte, das Schiff auf die passende Höhe zu heben oder zu senken. Jede Fähre hatte vier Gleise zur Verfügung. Die Überfahrt dauerte etwa drei Stunden. Aufgrund der Unwägbarkeiten beim Be- und Entladen der Fähren kam es oft zu Verspätungen.

Im Zweiten Weltkrieg war die Verbindung unterbrochen. Sie wurde am 15. Dezember 1947 wieder aufgenommen. Ab Mitte der 1950er Jahre kamen die Kurswagen nach Brüssel hinzu. Ein Kurswagen nach Basel erwies sich als Misserfolg und wurde mangels ausreichender Nachfrage nach einer Fahrplanperiode wieder eingestellt. Die Fahrt dauerte etwa 12 Stunden:

Winterfahrplan 1959/1960
21:00ab London Victoria an09:10
22:42an Dover Marine ab 07:20
05:34 ab Dunkerque an01:21
09:00an Paris ab 22:00
08:44an Bruxelles ab 21:15

Ende der 1970er Jahre waren nicht nur die eingesetzten Fahrzeuge technisch am Ende, auch hatte die Konkurrenz des Luftverkehrs die Fahrgastzahlen erheblich gesenkt. Die Verbindung wurde deshalb am 31. Oktober 1980 eingestellt.

Fahrzeuge

Die Schlafwagen des Zuges – ausschließlich erster Klasse – stellte die Compagnie Internationale des Wagons-Lits (CIWL). Es waren gegenüber den sonst von der Gesellschaft verwendeten Schlafwagen kleinere, dem schmaleren britischen Lichtraumprofil angepasste Fahrzeuge. Sie besaßen neun Zweibettabteile, im Unterschied zu normalen kontinentalen Schlafwagen der CIWL, die zehn bis zwölf Abteile mit bis zu je drei Betten aufwiesen. Die CIWL ließ für den Verkehr zunächst 12 dieser als Typ F bezeichneten Wagen in Frankreich bauen. Weitere sechs Wagen des Typs F wurden 1939 geliefert, kamen aber erst nach Kriegsende ab 1946 zum Einsatz. Aufgrund von Kriegsverlusten beschaffte die CIWL weitere sieben Schlafwagen, die ab 1952 zum Einsatz kamen. Außer vier bis fünf Schlafwagen – nur ganz selten wurden sechs eingesetzt – führte der Zug normalerweise noch zwei französische Gepäck- sowie einen Speisewagen. Nach dem Krieg wurden in den 1950ern zusätzlich Sitzwagen dritter, respektive zweiter Klasse des Betriebsbereichs der jeweiligen Bahngesellschaft eingesetzt. Speise- und Sitzwagen wurden jedoch nicht trajektiert.

Ende der 1950er Jahre wurde die Strecke auf englischer Seite mit dem Stromschienensystem der alten Southern Railway und damit 750 V Gleichspannung elektrifiziert. Seitdem wurde der »Night Ferry« mit Ellok bespannt. In den letzten Jahren kamen in der Regel Diesellokomotiven zum Einsatz. Zwischen Dünkirchen und Paris setzten die NORD und nach ihr die SNCF noch bis Mitte der 1960er Jahre Dampflokomotiven ein, dann wurde auf Diesel- und E-Traktion umgestellt.

Ende der 1970er Jahre waren die ursprünglich für den Zug gebauten Schlafwagen technisch am Ende ihrer Einsetzbarkeit. Die Fahrzeuge trugen nun zum Teil auch schon nicht mehr die CIWL-Beschriftung, sondern waren als Wagen der SNCF ausgewiesen. Andere geeignete Fahrzeuge gab es nicht, die Investition in neue schien nicht mehr lohnend. Auch dies führte zur Einstellung der Verbindung.

Bedeutung

Vor der Eröffnung des Eurotunnels war dies die einzige umsteigefreie Verbindung im Eisenbahnpersonenverkehr zwischen Großbritannien und dem restlichen Europa. Bei dem Tageszug-Pendant zum Night Ferry, dem Golden Arrow, wurde kein Trajektverkehr angeboten.

In Kunst und Literatur wurde der Zug auch zum Schauplatz:

Musealer Erhalt

Der Wagen Nr. 3792 aus der Serie der 1936 gebauten Schlafwagen gehört heute zur Sammlung des National Railway Museum in York.

Wissenswert

Im Zusammenhang mit der Eröffnung des Eurotunnels 1994 waren bereits Schlafwagen für den Nachtverkehr mit Kontinentaleuropa beschafft worden, die funktional dem Night Ferry gefolgt wären und als Nightstar bezeichnet wurden. Sie wurden allerdings auf der vorgesehenen Strecke nie eingesetzt, da sie sich aufgrund der Konkurrenz des weiter gewachsenen Luftverkehrs und der insbesondere vom britischen Gesetzgeber geforderten Sicherheitsbestimmungen, die eine Durchbindung über Brüssel, Paris und London hinaus praktisch unmöglich machen, nie rentiert hätten. Die Wagen wurden an VIA Rail, Kanada, verkauft.

Literatur

  • George Behrend: Große Expresszüge Europas. London 1962. Kap. 2 (S. 11–34).
  • George Behrend, Gary Buchanan: Night Ferry. Jersey 1985.
  • R. W. Kidner: The Southern Railway. South Godstone 1958.
  • J. van Noord in M. A. Asselberghs (Hrsg.): Daar komt de Trein. Amsterdam 1981. S. 160–171 (in Niederländisch).
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