Nikanor (altgriechisch Νικάνωρ Nikánōr) war der Name von zwei makedonischen Flottenkommandanten im 4. vorchristlichen Jahrhundert. Eine gemeinsame Identität kann nicht ausgeschlossen werden.

Nikanor (334 v. Chr.)

Als im Jahr 334 v. Chr. Alexander der Große zu seinem berühmten Feldzug nach Asien aufbrach, ließ er seine Truppen von einer 160 Schiffe starken Flotte, die der Hellenenbund von Korinth stellte, über den Hellespont von Europa nach Asien transportieren. Diese Flotte stand unter dem Befehl eines Nikanor, der wahrscheinlich ein Makedone war. Dieser beteiligte sich anschließend an der Belagerung von Milet, wo er mit seinen Schiffen die Hafeneinfahrt der belagerten Stadt versperrte und somit die persische Flotte unter Memnon am Einlaufen hinderte. Nach dem Ende der Belagerung löste Alexander die Bundesflotte bis auf 20 athenische Schiffe auf; was aus dem Kommandanten Nikanor wurde, ist unklar.

Nikanor (319–317 v. Chr.)

Zu Beginn des zweiten Diadochenkrieges im Jahr 319 v. Chr. hatte ein Nikanor die Befehlsgewalt über die makedonische Besatzung des befestigten Hügels Munychia inne, der den für Athen wichtigen Hafen Piräus beherrschte. In diesem Posten wurde er nur kurz nach dem Tod des makedonischen Regenten Antipatros von dessen Sohn Kassander eingesetzt, als Nachfolger des nach dem Ende des lamischen Krieges 322 v. Chr. eingesetzten Menyllos. Zum Führer des Oligarchenregimes in Athen, Phokion, unterhielt er ein enges Vertrauensverhältnis. Bei Kriegsausbruch 319 v. Chr. ergriff Nikanor folglich Partei für Kassander und nicht für den designierten Regenten Polyperchon. Im Handstreich bemächtigte er sich der Kontrolle über den Piräus, weshalb Phokion in Athen von den Demokraten zum Selbstmord verurteilt wurde. Die Königinwitwe Olympias forderte ihn brieflich auf, die Festung und den Hafen gemäß dem Freiheitsdekret des Polyperchon wieder unter die Oberhoheit der Athener zu stellen. Nikanor willigte ein, verzögerte aber die Ausführung des Befehls und gewährte stattdessen dem mit einer Flotte nach Athen kommenden Kassander den Einzug in den Piräus.

Im Sommer 317 v. Chr. wurde Nikanor von Kassander mit der Flotte in den Hellespont befohlen, um den dort operierenden Admiral Kleitos den Weißen zu bekämpfen, der ein Anhänger des Polyperchon war. Im Verbund mit Antigonos Monophthalmos konnte er nach anfänglichen Rückschlägen in einer Seeschlacht vor Byzantion einen Sieg davontragen. Die Rammsporne des Gegners als Trophäen verwendend, landete Nikanor mit seiner Flotte wieder im Piräus, woraufhin die Athener unter Demetrios von Phaleron auf die Seite Kassanders übergingen. Nikanor fiel bald darauf bei Kassander in Ungnade, vermutlich weil dieser in ihm einen potentiellen Konkurrenten um die militärische Führung erkannte. Nikanor wurde 316 v. Chr. vor der Heeresversammlung wegen Hochverrates angeklagt und auf Anweisung Kassanders hingerichtet.

Identität

In der Geschichtsforschung ist besonders die Identität und Herkunft des im Jahr 319 v. Chr. auftretenden Nikanor ein Diskussionspunkt. Besonders in älterer Literatur wird er gelegentlich mit Nikanor aus Stageira identifiziert, dem Schwiegersohn des Aristoteles und Mitschüler Alexanders des Großen in Mieza. Nikanor aus Stageira hatte offenbar den zehn Jahre währenden Asienfeldzug Alexanders mitgemacht, da er 324 v. Chr. von diesem in Babylon mit der Verkündung des Verbanntendekrets bei den olympischen Spielen beauftragt wurde. Vertreter der jüngeren Forschung wie Waldemar Heckel und A. B. Bosworth halten es daher für unwahrscheinlich, dass der Admiral von 319 v. Chr. mit dem Schwiegersohn des Aristoteles identisch sein könne, da dieser aufgrund seiner Abwesenheit in Makedonien nur schwer in eine Vertrauensposition zur Familie des Antipater hätte finden können. Auch dürfte der Nikanor aus Stageira kaum über militärische Fähigkeiten verfügt haben, die eine Einsetzung in das Kommando über den strategisch wichtigen Munychia-Hügel gerechtfertigt hätte.

A. B. Bosworth erkennt in dem Nikanor von 319 v. Chr. stattdessen einen Neffen Kassanders, einen Sohn von dessen Schwester Phila und dem königlichen Leibwächter Balakros († 324 v. Chr.). Grundlage für diese These stellt die in der Suda aufgelistete Person „Nikanor, Sohn des Balakros“, dar. In Voraussicht auf die nach Antipaters Tod zu erwartende Konfrontation mit Polyperchon hätte Kassander seinen Neffen mit der Befehlsgewalt über den strategisch bedeutenden Munychia betraut, um diesen somit bei Kriegsausbruch unter seiner Kontrolle zu wissen.

Bosworths These wird allerdings von Waldemar Heckel verworfen, der in „Nikanor, Sohn des Balakros“ eine gänzlich andere Person sieht. Ihm zufolge war dieser Nikanor kein Sohn der Phila, sondern der einer anderen früheren Frau des Leibwächters Balakros, der eher mit dem 310 v. Chr. gegen Seleukos I. gefallenen antigonidischen Strategen Nikanor identisch gewesen sein könnte. Weiterhin sei unwahrscheinlich, dass Kassander inmitten des zweiten Diadochenkrieges, der 317 v. Chr. noch nicht entschieden war, seinen eigenen Neffen exekutierte, der zu diesem Zeitpunkt ein Stiefsohn des Demetrios Poliorketes gewesen sein müsste, dessen Vater Antigonos Monophthalmos wiederum Kassanders wichtigster Verbündeter war.

Nikanor, Sohn des Balakros, und seine mögliche Verwandtschaft:

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Antipatros
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Nikanor
 
 
 
 
 
 
Antigonos Monophthalmos
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
?
 
Balakros
 
Phila
 
Demetrios Poliorketes
 
Kassander
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Nikanor
† 310 v. Chr.
(Heckel)
 
Philippos
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Antipatros
Thraseas
Balakros
 
Nikanor
† 317 v. Chr.
(Bosworth)
 
 
 
 
 
 
 
 

Heckel favorisiert hingegen die Identifizierung der 334 und 319 v. Chr. auftretenden Flottenkommandanten als eine Person. Spätestens nachdem Alexander der Große im Jahr 333 v. Chr. die wiedereinberufene Bundesflotte unter das Kommando der Offiziere Hegelochos und Amphoteros gestellt hatte, könnte der so von seinen Pflichten entbundene Nikanor nach Makedonien zurückgekehrt sein und sich dort dem Gefolge des Antipater und dessen Sohnes Kassander angedient haben. Seine Erfahrungen im Seekrieg hätten ihn schließlich 322 v. Chr. für das Kommando über den Munychia und den Piräus prädestiniert.

Literatur

  • Helmut Berve: Das Alexanderreich auf prosopographischer Grundlage. Band 2, C. H. Beck, München 1926 (Nr. 555).
  • A. B. Bosworth: A New Macedonian Prince. In: The Classical Quarterly. New Series, Bd. 44, 1994, S. 57–65.
  • Waldemar Heckel: Who’s who in the age of Alexander the Great. Prosopography of Alexander’s empire. Blackwell, Oxford 2006, ISBN 978-1-4051-1210-9, S. 176–178.
  • Waldemar Heckel: Nicanor Son of Balacrus. In: Greek, Roman, and Byzantine Studies. Bd. 47, 2007, S. 401–412.

Einzelnachweise

  1. Arrian, Anabasis 1,18,4–5 und 5,19,3–5
  2. Plutarch, Phokion 31,1–2
  3. Plutarch, Phokion 31,3
  4. Diodor 18,64f.; 18,68,1
  5. Diodor 18,72,2–8
  6. Diodor 18,75,1
  7. So auch Werner Huß: Ägypten in hellenistischer Zeit 332–30 v. Chr. C. H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-47154-4, S. 132, Anm. 280.
  8. Suda N 376
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.