Die Orgel des Domes zu Halberstadt hat eine Geschichte, die bis um das Jahr 1000 zurückreicht. Aufgrund der ausführlichen Beschreibung und den Abbildungen bei Michael Praetorius ist die spätgotische Orgel von 1495 für die Musikwissenschaft von besonderer Bedeutung. Sie wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach ersetzt.
Die heutige Domorgel wurde 1965 von Orgelbauwerkstatt Eule erbaut. Sie verfügt über 66 Register auf vier Manualen und Pedal.
Baugeschichte
Die erste bekannte Orgel der Bischofskirche wurde bereits um das Jahr 1000 erbaut und beim Dombrand im Jahr 1060 zerstört. Ein neues Instrument wurde in den Jahren 1357(?)–1361 von Nicolaus Faber ohne Pedal erbaut. Das Pedal wurde im Rahmen einer Umsetzung auf die Südempore und einer Überholung durch Gregor Kleng im Jahre 1495 hinzugefügt oder erneuert, und auch die drei vorhandenen Klaviaturen wurden erweitert. Sie war zu diesem Zeitpunkt wohl die größte europäische Blockwerkorgel. Michael Praetorius beschreibt die Orgel in seinem Syntagma musicum II (1619).
Gotische Orgel von 1361/1495
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Praetorius gibt die Länge der größten Pfeife (Prinzipal 32′ auf der Taste H1) mit 31′ an. Bezogen auf die heutige Normalstimmung mit a1 = 440 Hz ließ diese Pfeife etwa den Ton Subkontra-Cis erklingen. Damit lag die absolute Stimmung der Orgel etwa anderthalb Halbtöne über der heutigen Normalstimmung.
Die Angaben bei Praetorius werden dadurch erschwert, dass er zwischen den Zuständen von 1361 und 1495 nicht unterscheidet, dass sie zu den Klaviaturumfängen widersprüchlich sind und zu den Abbildungen nicht passen, dass von Druckfehlern im Text auszugehen ist.
Hans Klotz errechnete, von Maß Braunschweiger Fuß ausgehend, eine Länge von 8,91 m (ohne Stiefel) und einen Durchmesser von 31,5 cm für diese Pfeife. Klotz hält den von ihr erzeugten Ton als, von a1 = 440 Hz ausgehend, zwischen Cis und D liegend. Die Halberstädter Orgel war demnach die erste, die Töne am unteren Ende des vom Menschen hörbaren Frequenzbereichs erzeugte. Ihr Klang wird der Überlieferung nach so geschildert: ‘‘Dieses Pedal Clavir hat ... wegen der grösse der praestanten ... ein solch tieffes grobes brausen und grewliches grümmeln....‘‘
Technik und Erläuterungen
Die oben angegebene Disposition ist, da das Instrument nicht mehr existiert, mit entsprechenden Unsicherheiten behaftet. So ist es möglich, dass die beiden einzeln spielbaren Prinzipale mehrere Pfeifenreihen im Einklang, in der Oktave und der Superoktave enthielten. Die Orgel verfügte nicht über Register im heutigen Sinn. Jedes Werk stand auf einer eigenen, ungeteilten Windlade.
Die Untertasten der beiden Diskantklaviere können ursprünglich Zugtasten für Tonschleifen gewesen sein, wie es die Abbildung bei Praetorius nahelegt. Deren Obertasten und die Tasten der anderen Klaviaturen hingegen müssen von vorneherein Drucktasten gewesen sein. Das Bassklavier wurde laut Praetorius mit den Händen oder mit den Knien gespielt. Es setzte das Untere Diskantklavier in der Tiefe fort, das vermutlich für leisere Stücke und der Gesangsbegleitung diente. Für die beiden Blockwerke nimmt Praetorius die folgenden Besetzungen mit entsprechenden progressiven Verstärkungen vor allem in den höheren Lagen an:
- Oberes Diskantklavier: 8′ + 4′ + 2 2⁄3′ + 2′ + 1 1⁄3′ + 1′ + 1⁄2′
- Pedal: 16′ + 8′ + 5 1⁄3′ + 4′ + ...
Die Orgel besaß 20 Bälge, von denen jeweils zwei von einem Kalkanten getreten wurden.
16.–19. Jahrhundert
Der Orgelbauer David Beck baute um 1590 eine zweite Orgel auf der Westempore, die über zwei Manuale und Pedal verfügte. Vermutlich war die gotische Orgel zu diesem Zeitpunkt nicht mehr spielbar; um 1680 galt sie als defekt. Im Jahre 1685 ist eine Renovation der alten Orgel bezeugt, danach verliert sich ihre Spur. Im Jahr 1717 erfolgte die Umsetzung der Beck-Orgel in die Andreas-Kirche des Franziskanerklosters Halberstadt. Ernst Röver ersetzte 1913 das Innenwerk, der Prospekt wurde 1945 zerstört.
Heinrich Herbst (Magdeburg) baute 1718 mit seinem Sohn Heinrich Gottfried eine neue dreimanualige Orgel, deren barocker Orgelprospekt noch erhalten ist. Das Werk hatte 66 Register mit drei Spielanlagen für das Hauptwerk und zwei Seitenwerke. Eines der Seitenwerke war für das Continuospiel im niedrigeren Kammerton gestimmt, das andere im Chorton. Die Prospektgestaltung nahm auf eine Fensterrosette in der Westfassade Rücksicht, indem ein Tunnel für den Lichteinfall durch dieses Fenster ins Langhaus in den Prospekt eingearbeitet wurde. Die Orgel gehörte damit zu den größten in Deutschland und kostete 12.000 Taler. Umbauten 1837/1838 durch Johann Friedrich Schulze und 1861 durch Carl August Buchholz und seinen Sohn Carl Friedrich Buchholz führten zu einem symphonisch-romantisch klingenden Instrument. Verbunden mit dem Einbau einer neogotischen Steinempore 1866 wurde der Prospekt nach oben versetzt und nach vorn ausgedehnt, wodurch der Lichteinfall durch den Tunnel abnahm.
Neubau 1901 durch Röver
40 Jahre nach eingreifenden Umgestaltung durch Buchholz führte Ernst Röver (Hausneindorf) 1901 einen kompletten Neubau mit pneumatischen Kastenladen durch. Nach einem Umbau durch Ernst Palandt & Wilhelm Sohnle (beide Halberstadt) im Jahr 1942 wies die Orgel folgende Disposition mit 63 Registern auf:
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- Koppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P, Superoktavkoppel I/I, Suboktavkoppel II/I
Die Orgel wurde 1945 zwar von direkten Schäden durch Bombentreffer verschont, jedoch durch die in den zerbombten Dom eindringende Feuchtigkeit stark geschädigt.
Neubau 1965 durch Eule
Die jetzige Orgel wurde 1962–1965 von Eule erbaut und 1985 überarbeitet. Der Prospekt von Herbst sowie einige Register, Prospektpfeifen und die Balganlage von Röver waren erhalten und wurden in den Neubau einbezogen. Jedoch wurde der Lichttunnel geschlossen, und auch die Freiräume beidseits des Prospektes sind seither zugebaut. Durch die Firma Reinhard Hüfken (Halberstadt) wurden zur klanglichen Verbesserung im Jahr 2000 Koppeln ergänzt, die Manualkoppeln elektrifiziert und eine Setzeranlage eingebaut. Die Registerzüge der beiden Seitenspieltische sind bis heute erhalten.
Ehrgeizige Pläne sehen einen weitgehenden Neubau eines Orgelwerks hinter dem inzwischen restaurations- und reparaturbedürftigem Herbst-Prospekt vor. Das Werk von Eule, mit Nachkriegsmaterial gebaut, gilt inzwischen als mangelhaft. Dabei soll der Prospekt so rück-positioniert werden, dass das Tageslicht wieder so, wie von Herbst damals gebaut, ins Innere fällt.
Disposition seit 1965
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- Koppeln:
- Normalkoppeln: II/I, III/I, IV/I, III/II, IV/II, IV/III, III/IV
- Suboktavkoppeln: I/I, II/I, III/I, II/II, III/II, III/III, IV/III, IV/IV
- Superoktavkoppeln: I/I, II/I, III/I, II/II, III/II, III/III, IV/IV
- Spielhilfen: Zungenabsteller, Setzeranlage
Technische Daten
- 66 Register
- 5184 Pfeifen
- Traktur:
- Tontraktur: Mechanisch
Literatur
- Karl Bormann: Die gotische Orgel zu Halberstadt. Eine Studie über mittelalterlichen Orgelbau. Merseburger, Berlin 1966.
- Felix Friedrich, Vitus Froesch: Orgeln in Sachsen-Anhalt – Ein Reiseführer (= 268. Veröffentlichung der Gesellschaft der Orgelfreunde). Kamprad, Altenburg 2014, ISBN 978-3-930550-79-1.
- Hans Klotz: Über die Orgelkunst der Gotik, der Renaissance und des Barock. Musik, Disposition, Mixturen, Mensuren, Registrierung, Gebrauch der Klaviere. 3. Auflage. Bärenreiter, Kassel 1986, ISBN 3-7618-0775-9.
- Michael Praetorius: Syntagma musicum. Band II: De Organographia. Bärenreiter, Kassel 2001, ISBN 3-7618-1527-1 (Faksimile: Wolfenbüttel 1619).
- Rudolf Quoika: Vom Blockwerk zur Registerorgel. Zur Geschichte der Orgelgotik 1200–1520. Bärenreiter, Kassel 1966.
Weblinks
- Domorgel Halberstadt
- Beitrag zur Orgel auf www.orgel-verzeichnis.de, abgerufen am 19. Juni 2022
- Orgeldatabase: Info zur Orgel im Dom (niederl.)
Einzelnachweise
- 1 2 Felix Friedrich, Vitus Froesch: Orgeln in Sachsen-Anhalt. 2014, S. 11.
- ↑ Michael Praetorius: Syntagma musicum. Band 2: De Organographia. 1619. (Nachdruck: Bärenreiter, Kassel 2001, ISBN 3-7618-1527-1, S. 97–101. Abbildungen der Klaviaturen und Balganlage auf Tafeln XXIV–XXVI.)
- ↑ Klotz: Über die Orgelkunst der Gotik, der Renaissance und des Barock. 1986, S. 14.
- ↑ ‘Een trotsche en allerheerlykste vertooning’ Een onderzoek naar de geschiedenis, de aard en het gebruik van het 32-voets orgelregister tot 1800, S. 5. Siehe: http://www.pleijsier.net/scriptie.pdf (Text auf niederländisch)
- ↑ Friedrich Jakob u. a.: Die Valeria-Orgel. Zürich 1991, S. 30, Bildunterschrift
- ↑ Kurze Orgelchronik des Halberstädter Doms. abgerufen am 11. September 2019.
- ↑ Felix Friedrich, Vitus Froesch: Orgeln in Sachsen-Anhalt. 2014, S. 12.
- ↑ Halberstadt – Dom St. Stephanus und Sixtus (Hauptorgel) – Orgel Verzeichnis – Orgelarchiv Schmidt. Abgerufen am 19. Juni 2022.
- ↑ Halberstadt – Dom St. Stephanus und Sixtus (Hauptorgel) – Orgel Verzeichnis – Orgelarchiv Schmidt. Abgerufen am 19. Juni 2022.
- ↑ Felix Friedrich, Vitus Froesch: Orgeln in Sachsen-Anhalt. 2014, S. 13.
- ↑ Domorgel Halberstadt: „Durch die Orgel Licht“. Abgerufen am 11. September 2019.