Bei dem Püstrich von Sondershausen (auch Püsterich) handelt es sich um eine aus Bronze gegossene Figur in menschlicher Gestalt aus der Gruppe der Püsteriche, der sich seit mehr als 400 Jahren in der Stadt Sondershausen in Thüringen befindet und dessen Nachbildungen unter anderem in Halle (Saale) zu finden sind.

Ursprung, Entstehungszeit und einstige Bedeutung des Püstrichs sind nicht bekannt, weswegen er seit Jahrhunderten Gegenstand zahlreicher Untersuchungen und Spekulationen ist. Bereits in früherer Zeit lockte der Püstrich viele Neugierige nach Sondershausen, darunter hochrangige Persönlichkeiten. Heute noch gilt er als Wahrzeichen der Stadt.

Beschreibung

Oberflächlich betrachtet ist die Figur primitiv gearbeitet, was viele Historiker vermuten ließ, dass der Püstrich nicht aus neuerer Zeit stamme, sondern einen vorchristlichen Ursprung habe.

Die Figur ist aus Bronze, die laut dem Chemiker Martin Heinrich Klaproth (1743–1817) aus 916 Teilen Kupfer, 75 Teilen Zinn und 9 Teilen Blei besteht. Sie ist 57 cm groß, wiegt etwa 35 kg, ist innen hohl, sodass sie beinah 8 Liter fasst, und besitzt zwei Öffnungen am Kopf.

Der Püstrich hat die Gestalt eines knienden Jünglings mit pausbäckigem Gesicht, platter Nase und dicken Lippen. Die mittellangen Haare sind glatt heruntergekämmt und locken sich im Nacken. Der Bauch ist voll, die Arme und Beine im Verhältnis zum Rumpf schmal gestaltet. Der Rumpf der Figur ist vollständig nackt, nur in der Lendengegend finden sich schemenhafte Andeutungen von Bekleidung.

Das Fehlen des linken Unterarmes geht auf die zerstörungswütige Neugier des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel (1572–1632) zurück, der den Püstrich nach Kassel holte und seine Metallart untersuchen ließ.

Entdeckung und Besitzer

Die Figur wurde in den 1540er Jahren in den Ruinen der Rothenburg auf dem Kyffhäuser zwischen Schutt und Steinen in der einstigen Kapelle gefunden. Zu jener Zeit war sie noch im Besitz der Burgherren, den Herren von Tütcherode. Dieser hatte die Figur an einen von Reifenstein gegeben, welcher die Figur an seinen letztendlichen Besitzer verkaufte. Günther XL. erwarb die Figur und stellte diese in seinem Kunst- und Naturalienkabinett zu Sondershausen aus.

Die erste Erwähnung des Püstrichs erfolgte zwischen 1561 und 1565 durch Georg Fabricius, der ihn als „Pustericius“ und „Götzen­bildnis“ bezeichnete. Ein Einblattdruck mit einer wirklichkeitsgetreuen Darstellung der Figur und dem Titel „Warhaftige Abbildung des Götzen Büsterich, welchen die Thüringer vor ihrer Bekehrung bei dem Städtlein Kelbra auf dem Berge Rotenburg als ein Gott geehret und angebetet haben“ erschien im 17. Jahrhundert.

Name

Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Püstrich recht verschieden genannt. Es fanden sich die Bezeichnungen Beister, Büster, Piester, Püster, Puster, Bansterich, Bustrich, Pisterich, Beustard und schließlich Püstrich. Die Namen leiten sich wahrscheinlich vom niederdeutschen Wort „pusten“ ab, was so viel wie „blasen“ bedeutet, da der dargestellte Knabe die Backen aufgebläht und den Mund zum Pusten gespitzt hat.

Deutungsversuche

Bis ins 18. Jahrhundert stellten bereits 50 Autoren Überlegungen zur Deutung des Püstrichs an. Die wichtigsten und bekanntesten sind:

Der Püstrich als Götze

Bereits kurz nach dem Fund im 16. Jahrhundert glaubte man, dass es sich bei dem Püstrich um ein Götzenbild handele, das man mit Wasser gefüllt ans Feuer setzte, damit der Inhalt über die Umstehenden mit Getöse hinweg blase und sie einschüchtere. Dabei soll die Fundstelle auf dem Kyffhäuser als unterirdisches Heiligtum der alten Germanen gedient haben. Um ihren Gott milde zu stimmen, habe man ihm reichlich geopfert.

1830 schrieb man über den Püstrich, er sei einer der merkwürdigsten Götzen der alten Thüringer, und 1842 wurde berichtet, er sei ein thüringischer Abgott gewesen, der auch von den Sachsen, Sorben, Slaven und Wenden verehrt worden sei.

Der Püstrich als historischer Dampfapparat

Bereits im 16. Jahrhundert erkannte man die Figur als Dampfapparat. Siegfried Friedrich Saccus (1527–1596), Domprediger zu Magdeburg, schrieb, dass man das Erzbild mit Wasser gefüllt und die Öffnungen verkorkt habe. Dann habe man die Plastik über Feuer gesetzt, um das Wasser zum Sieden zu bringen. Durch den wachsenden Druck seien schließlich die Korken herausgeschossen und große Dampfwolken hätten sich aus der Öffnung gedrängt.

Danach handelt es sich wohl um einen der ältesten erhaltenen Dampfapparate der Welt. Seit Mitte des 3. Jahrhunderts verwendete man die Dampfkraft kleiner Apparate in primitiver Form, um Räucherbecken anzufachen oder kleine Pfeifen zum Tönen zu bringen. Im 13. Jahrhundert beschrieb das deutsche Universalgenie Albertus Magnus ein Gefäß aus Erz, das er „Sufflator“ nennt: „Man pflegt es nach der Gestalt eines blasenden Mannes zu formen“. Um so ein blasendes Männchen könnte es sich auch bei dem Sondershäuser Püstrich handeln.

Der Püstrich als Dampfgeschütz des Kaisers Barbarossa

Im 17. Jahrhundert schrieb Moncaeius (eigentlich: Praetorius) über den „Puester, idolum und deastrum“, dass er von den Mönchen im Papsttum gebraucht worden sei, und macht aus ihm ein Werkzeug zum Schutz Kaiser Friedrichs I. Dieser hatte auf der Burg Kyffhausen (der Rothenburg) sein Hoflager und der Püstrich soll sein Schutzmann gewesen sein. Er habe auf dem Berg gestanden und Feuer um sich gespien und mit seinem glühenden Regen und Auswürfen die Feinde Barbarossas abgehalten, sich diesem zu nähern.

Der Püstrich als Schreckbild christlicher Missionare

Anfänglich glaubte man auch, er sei früheres Werkzeug schändlichen Betrugs katholischer Geistlicher gewesen. Grund für diese Annahme war die zu Zeiten der Entdeckung aufstrebende Lehre Martin Luthers. Deren Anhänger bemühten sich sehr, den Dienern der alten Christenlehre alles nur möglich Schlechte und diverse Missstände anzuhängen.

Saccus machte den Püstrich zum Gegenstand einer Predigt:

„Es ist aber der Peustrich ein Brustbilde gewesen, […] am Harz […] in einer Kirche gestanden, zu deme Jehrlich eine grosse Walfart gewesen. […] Ein Münch hat geprediget […], das Gott der Herr sehr erzürnet sey, und damit sie solches augenscheinlich sehen möchten, würde der Peustreich donnern unnd Hellisch Fewer außspein. […] Der Münch vermanet, dz der Peustrich nicht anders könnte versünet werden, als wann man ihm mildiglich opfferte [und die Menschen] von ihrer Sünden loß würden.“

Der Püstrich als Branntweinbrenner

Nach der Meinung des Schreibers Rosenthal soll die Figur eine Branntweinblase gewesen sein. Er glaubte, dass die Stummelbeine und eine Öse am Hinterteil, ein vermeintlicher Überrest eines Stellfußes, zusammen einen Dreifuß bildeten. Man fand jedoch später heraus, dass die Öse vermutlich aus neuerer Zeit stammt.

Der Püstrich als Taufbeckenträger

Eine weitere zum Zweck des Püstrichs ist, dass er einst einer der Träger eines mittelalterlichen Taufbeckens war, das im 10. oder 11. Jahrhundert entstanden sein könnte. Dann wäre seine Haltung nur Ausdruck körperlicher Anstrengung, die mit dem Tragen des Taufbeckens in Verbindung steht. Es soll Anzeichen geben, dass die Öffnung des Mundes erst später gebohrt sein könnte, um eine Erklärung und einen Beweis zum Dampfausstoß zu finden.

Aber auch an dieser Deutung gibt es Zweifel, beispielsweise weil von den anderen Trägern keine Spur vorhanden und die Rückseite der Figur genauso gut ausgearbeitet ist wie die Vorderseite. Das wäre eher nicht der Fall, wenn der Betrachter sowieso nur die Front gesehen hätte.

Der Püsterich als Objekt der Begierde

Neben der technischen und kulturgeschichtlichen Deutung des Püstrichs ist auch deren gesellschaftliche Resonanz zu beachten: Der Püstrich erschien zu einem Zeitpunkt, als die deutschen und europäischen Herrschaftshäuser durch die in großer Zahl, meist aus der Neuen Welt eingeführten Kuriositäten zu einer Sammelleidenschaft verleitet wurden, die derartige Objekte zu enormen Wert verhalfen. Um den Erwerb des Püstrich bemühten sich in der Zeit von 1590 bis 1592 neben den Landgrafen Wilhelm IV. und Moritz von Hessen auch Herzog Wilhelm V. von Bayern.

Bei einem Besuch in Sondershausen begutachtete Johann Wolfgang von Goethe den Püstrich. Er widmete dem Kunstwerk die folgenden Zeilen:

„Püsterich ein Götzenbild
gräßlich anzuschauen!
Pustet über klar Gefild
Wust, Gestank und Grauen.“

Der Püstrich heute

Pustefest

In Rüdigsdorf, jetzt ein Stadtteil von Nordhausen, wird seit 1866 das Pustefest begangen und damit der Püstrich verehrt.

Die außergewöhnliche Figur ist Teil des noch heute im Schloss Sondershausen befindlichen Naturalien- und Kuriositätenkabinetts und kann im Schlossmuseum besichtigt werden. Der Püstrich auch heute noch in der Fachwelt recht bekannt und wird zeitweilig deutschlandweit zu Sonderausstellungen gezeigt.

Literatur

  • Der Püstrich zu Sondershausen. In: Christian August Vulpius (Hrsg.): Curiositäten der physikalisch-literarisch-artistisch-historischen Vor- und Mitwelt. Band II, Nr. III. Weimar 1812, S. 216220 (Digitalisat).
  • W. L. Hildburgh: Aeolipiles as Fire-blowers. In: Archaeologica or Miscellaneous Tracts relating to Antiquity. Band 94. Oxford 1951, S. 27 ff.
  • Ines Jucker: Der Feueranbläser von Aventicum. In: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte. Band 21, Heft 2, 1961, S. 49 ff.
  • Wa. Ostward: PROMETHEUS – Illustrierte Wochenschrift über Fortschritte in Gewerbe, Industrie und Wissenschaft. Nr. 1253, Leipzig, 1913.
  • Eugen von Philippovich: Kuriositäten/Antiquitäten. Klinkhardt & Biermann, Braunschweig 1966.
  • Martin Friedrich Rabe: Der Püstrich zu Sondershausen. Berlin 1852.
  • Albert Schröder: Der Püsterich von Sondershausen. In: Das Thüringer Fähnlein. Monatshefte für die mitteldeutsche Heimat. 3. Jg., Heft 7, 1934, Bildbeilage, S. 454–455.
  • H. Toepfer: Der Püstrich in Sondershausen. In: Abdruck aus den Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Halle a. S. Jahrg. 1903.
  • Christa Hirschler: Der Sondershauser Püsterich. In: Aufbruch in die Gotik, Ausstellungskatalog Magdeburg. 2009, Bd. 2, S. 259.
  • Ludwig Friedrich Hesse: Geschichte des Schlosses Rothenburg. Anhang „Von dem Püstrich“. In: Thür.Sächs. Verein für die Erforschung der Vaterländischen Alterthümer (Hrsg.): Mittheilungen aus dem Gebiet historisch antiquarischer Forschungen. Drittes Heft. Naumburg 1823, S. 53–64 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • Stefan Laube: Befeuerte Aura – Das Idol von Sondershausen. In: Annette Caroline Cremer, Martin Mulsow (Hrsg.): Objekte als Quellen der historischen Kulturwissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung. Böhlau Verlag, Köln/ Weimar/ Wien 2017, S. 113–137.
  • Andreas Beyer: Fährten des Püsterichs. Ein Feuerbläser auf dem Weg zum Kunstwerk. In: A. Beyer, H. Bredekamp, U. Fleckner, G. Wolf (Hrsg.): Bilderfahrzeuge. Aby Warburgs Vermächtnis und die Zukunft der Ikonologie. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2018, ISBN 978-3-8031-3675-6, S. 135–143.
Commons: Püsterich – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Das Adelsgeschlecht Tütcherode starb bereits 1576 aus und deren Besitztümer fielen somit als offenes Mannlehen an die Grafen von Schwarzburg. Dabei muss die Figur nach Sondershausen gelangt sein.
  2. Als Besitzer galten die um 1590 noch minderjährigen Prinzen von Schwarzburg-Sondershausen, somit konnte man formal juristische Gründe vorschieben um die Interessenten durch langwieriges Feilschen zu immer höheren Angeboten anzutreiben. Schließlich erhielt Landgraf Moritz das Objekt „geliehen“.

Einzelnachweise

  1. Schweigger: Journal für Chemie und Physik, Nürnberg 1811
  2. 1 2 Carl Eduard Vehse: Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation. Hoffmann und Campe, 1856 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. Walter Heinemeyer: Die Geschichte Hessens und Thüringens im 16. Jahrhundert… In: Historische Kommission für Hessen (Hrsg.): Hessen und Thüringen – von den Anfängen bis zur Reformation. Eine Ausstellung des Landes Hessen. Katalog. Wiesbaden 1992, ISBN 3-89258-018-9, Die Verstümmelung des Götzen Busterrich, S. 332–333.
  4. Püster. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Hrsg.): Deutsches Wörterbuch. 16 Bände in 32 Teilbänden, 1854–1960. S. Hirzel, Leipzig (woerterbuchnetz.de).
  5. Martin Friedrich Rabe: Der Püstrich zu Sondershausen. Berlin 1852, S. 69 ff.
  6. Martin Friedrich Rabe: Der Püstrich zu Sondershausen. Berlin 1852, S. 57 ff.
  7. Fritz Kirchner: Einige neue Erkenntnisse zur Geschichte der flämischen Siedlungen in der oberen Goldenen Aue. In: Meyenburg Museum (Hrsg.): Beiträge zur Heimatkunde aus Stadt und Kreis Nordhausen. Heft 13. Nordhausen 1988, Anmerkung 5, S. 43.
  8. Jörg Michael Junker: Das Pustefest in Rüdigsdorf. In: Meyenburg Museum (Hrsg.): Beiträge zur Heimatkunde aus Stadt und Kreis Nordhausen. Band 13. Nordhausen 1988, S. 1–8.
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