Painlevé-Gleichungen sind nichtlineare gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung im Komplexen, deren Lösungen bewegliche Singularitäten haben, die höchstens Pole sind. Sie wurden um 1900 und in den Jahren danach von Paul Painlevé auf der Suche nach neuen speziellen Funktionen, die durch solche Differentialgleichungen definiert werden, eingeführt und spielen eine große Rolle in der Theorie exakt integrierbarer Systeme der mathematischen Physik. Die Lösungen der sechs Typen von Painlevé-Gleichungen heißen Painlevé-Transzendente.

Definition

Painlevé-Gleichungen haben die Form (tiefgestellte Indizes deuten partielle Ableitungen an):

mit einer in und rationalen und in x lokal analytischen Funktion . Die Lösungen können Isolierte Singularitäten (Polstellen und wesentliche Singularitäten) haben, die, da die Gleichung nichtlinear ist, auch von der gesuchten Funktion bzw. deren Anfangswerten abhängig sein können (Bewegliche Singularitäten). Painlevé verlangte, dass die beweglichen Singularitäten der Lösungen der Differentialgleichung nur gewöhnliche Polstellen sein sollten, und nicht etwa wesentliche Singularitäten oder Verzweigungspunkte (Painlevé-Eigenschaft). Das kann auch so formuliert werden, dass die Lösungen der Gleichung eindeutig bleiben in der Umgebung der beweglichen Singularitäten.

Die Motivation von Painlevé lag in der Suche nach neuen speziellen Funktionen. Viele der bis dahin bekannten speziellen Funktionen hatten sich als Lösung der hypergeometrischen Differentialgleichung erwiesen, einer gewöhnlichen linearen Differentialgleichung 2. Ordnung, deren Koeffizienten im Komplexen höchstens drei Pole haben. Eine andere ergiebige Gruppe spezieller Funktionen waren die elliptischen Funktionen wie die Weierstraßsche -Funktion, die eine nichtlineare Differentialgleichung 1. Ordnung im Komplexen erfüllt. Im Fall von Differentialgleichungen erster Ordnung hatten bereits Lazarus Fuchs 1884 und Henri Poincaré gezeigt, dass nur die Riccati-Differentialgleichung die Painlevé-Bedingung erfüllt und Sofia Kowalewskaja hatte im Fall der Gleichungen des schweren Kreisels gezeigt, dass die Lösungen mit Painlevé-Bedingung exakt integrabel waren.

Painlevé untersuchte davon angeregt systematisch alle Gleichungen 2. Ordnung mit obigen Eigenschaften und sortierte alle Fälle aus, in denen sie auf lineare Differentialgleichungen zurückführbar waren oder die Lösungen schon bekannt waren (Elliptische Funktionen u. a.). Am Ende kam durch seine Bemühungen und die von Bertrand Gambier, der drei der Gleichungen fand, die Painlevé übersehen hatte, eine Liste von sechs Painlevé-Gleichungen zusammen. Diese sind für „generische“ Werte der Parameter voneinander unabhängig, was zu Painlevé´s Zeiten umstritten war (es gab einen Disput mit Roger Liouville, der dies bezweifelte), aber ab Ende der 1980er Jahre endgültig von japanischen Mathematikern wie Keiji Nishioka und Hiroshi Umemura bewiesen wurde.

Die sechs Painlevé-Gleichungen

Die Gleichungen werden Painlevé I bis VI (römische Ziffern, hier 1 bis 6) bezeichnet (griechische Buchstaben wie bezeichnen komplexe Konstante).

  • Typ 1:
  • Typ 2:
  • Typ 3:
  • Typ 4:
  • Typ 5:
  • Typ 6:

Typ 1 bis 3 stammen von Painlevé, Typ 4,5 von Gambier. Typ 6 wurde ebenfalls von Gambier hinzugefügt, aber ursprünglich von Richard Fuchs, dem Sohn von Lazarus Fuchs, als Monodromie-Gleichung gefunden. Er betrachtete dazu eine Fuchs'sche Differentialgleichung, eine lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung auf der Riemann-Sphäre mit vier regulären singulären Stellen (fixe wesentlichen Singularitäten, o. B. d. A. in den Punkten und eine bewegliche Singularität im Punkt ), und das Verhalten der Lösungen auf Pfaden um die Singularitäten (Monodromie). Dies lässt sich durch eine Substitution im Raum der Fundamentallösungen beschreiben (mit der Monodromiematrix) und Fuchs suchte eine Gleichung, deren Monodromie nicht von der beweglichen Singularität abhing (Isomonodrome Deformation) und kam so zur Painleve-Gleichung vom Typ 6. Die Zusatzgleichungen, die Fuchs dazu angab, können heute als Lax-Paare aufgefasst werden. Bald nach Fuchs wurde die Untersuchung der Isomonodromie der Painlevé-Gleichungen von Ludwig Schlesinger und René Garnier ausgebaut, und Garnier fand auch Zusammenhänge mit integrablen Systemen, die durch Abelsche Funktionen beschrieben werden. Ab den 1970er Jahren wurde die Theorie der isomonodromen Deformationen der Painleve-Gleichung von Michio Jimbō, Tetsuji Miwa, Mikio Satō, K. Ueno sowie von Hermann Flaschka und Alan C. Newell (Isomonodromie-Deformations-Methode) und anderen weiterentwickelt. Sie ist mit Riemann-Hilbert-Problemen verbunden. Fuchs fand auch einen Zusammenhang mit der unvollständigen elliptischen Integralen und der Picard-Fuchs-Differentialgleichung, was von Painlevé aufgegriffen wurde und 1998 von Yuri Manin. Die Gleichung vom Typ 6 enthält die anderen als Spezialfälle für bestimmte Werte der Parameter.

Die Painlevé-Gleichungen lassen sich auch als Kanonische Gleichungen im Rahmen der Hamiltonschen Mechanik formulieren (J. Malmquist 1922/23, K. Okamoto 1979/80). Weiterhin besitzen sie verborgene Symmetrien, die durch Bäcklund-Transformationen der abhängigen und unabhängigen Variablen der Gleichungen ausdrückbar sind. Kazuo Okamoto, der 1979 eine geometrische Theorie des Raums der Anfangswerte der Painleve-Gleichungen entwickelte (Okamoto-Raum), verband diese Symmetrien mit bestimmten Liealgebren und den zugehörigen affinen Weylalgebren. Die geometrische Theorie wurde von H. Sakai 2001 benutzt, um alle diskreten und kontinuierlichen Painleve-Gleichungen zu klassifizieren.

Jean Chazy versuchte das Programm auf Differentialgleichungen dritter Ordnung auszuweiten. Die betreffenden Gleichungen haben aber Lösungen, die mit den Modulfunktionen verwandt sind und ihre Singularitäten erfüllen nicht die Painlevé-Bedingung (wie bei den Modulfunktionen treten bewegliche Ränder als Singularitäten auf). Spezialfälle haben elliptische Funktionen und Integrale als Lösung und sind mit den Lösungen der sechsten Painlevé-Gleichung verbunden.

Anwendungen

In der Physik fanden sie unter anderem in der statistischen Mechanik (Ising-Modell und verschiedenen anderen Spinsystemen, Bosegas, Theorie der Zufallsmatrizen u. a.), in der zweidimensionalen Quantengravitation und Stringtheorie Anwendung. Beispielsweise lässt sich die Korrelationsfunktion für das zweidimensionale Isingmodell durch Painleve-Transzendente vom Typ 3 ausdrücken.

Painlevé selbst wandte sie in der Theorie algebraischer Flächen an. Das wurde unter anderem von K. Okamoto 1979 in seiner geometrischen Theorie der Painlevé-Gleichungen aufgegriffen. Sie haben auch Anwendungen in der Differentialgeometrie von Flächen.

Sie spielt auch allgemein eine große Rolle in der Theorie exakt integrabler Systeme. Wie erwähnt fand schon Sofia Kowalewskaja einen Zusammenhang zwischen der Abwesenheit beweglicher Singularitäten, die nicht vom Poltyp sind, und exakter Integrierbarkeit beim Kreisel. Das wurde bei nichtlinearen partiellen Differentialgleichungen (PDE) für Solitonen, die mit der Inverse Streutransformation (IST) exakt lösbar sind, von Mark J. Ablowitz und Harvey Segur 1977 aufgegriffen. und Ablowitz, Ramani und Segur vermuteten, dass jede gewöhnliche Differentialgleichung, die aus der Reduktion solcher mit der IST integrablen PDE entsteht, die Painlevé-Eigenschaft besitzt (wobei eventuelle eine Variablentransformation nötig ist). Ablowitz und Segur und andere zeigten das an vielen Beispielen wie der Korteweg-de-Vries-Gleichung, die auf die Painleve-Gleichung vom Typ 2 führt, der Sinus-Gordon-Gleichung, die auf Typ 3 führt, und der Boussinesq-Gleichung, die auf Typ 1 führt. Die Vermutung wurde vielfach bestätigt und auch genutzt, um neue Solitonengleichungen zu finden und dient als Grundlage von Test für die exakte Integrierbarkeit (Painlevé-Tests), ist aber bisher nicht bewiesen. Eine direkt auf PDE anwendbare Variante gaben J. Weiss, M. Tabor und G. Carneval 1983.

Literatur

Originalarbeiten:

  • Painlevé: Memoire sur les équations différentielles dont l'intégrale générale est uniforme, Bull. Soc. Math. France, Band 28, 1900, S. 201–261. Digitalisat
  • Painlevé: Sur les équations différentielles du second ordre et d'ordre supérieur dont l'intégrale générale est uniforme, Acta Math., Band 21, 1902, S. 1–85.
  • Gambier: Sur les équations différentielles du second ordre et du premier degré dont l'intégrale générale est à points critique fixés, Acta. Math., Band 33, 1910, 1–55
  • R. Fuchs: Sur quelques équations différentielles linéaires du second ordre, C. R. Acad. Sci. Paris, Band 141, 1905, S. 555–558
  • R. Fuchs: Über lineare homogene Differentialgleichungen zweiter Ordnung mit drei im Endlichen gelegene wesentlich singuläre Stellen, Math. Annalen, Band 63, 1907, S. 301–321, SUB Göttingen

Lehrbücher, Einführungen:

  • M. A. Ablowitz, P. A. Clarkson: Solitons, nonlinear evolution equations and inverse scattering, Cambridge University Press 1991
  • Robert Conte (Hrsg.): The Painlevé property, one century later, CRM Series in Mathematical Physics, Springer 1999
  • Masatoshi Noumi: Painlevé equations through symmetry, American Mathematical Society 2004

Einzelnachweise

  1. Die Singularitäten, die nicht Polstellen sind, werden auch als kritische Punkte bezeichnet und die Painlevé-Bedingung besagt dann, dass keine beweglichen kritischen Punkte vorhanden sein dürfen. Bei Differentialgleichungen in drei und mehr Dimensionen können sogar noch unangenehmere Singularitäten auftreten und die Ränder singulär werden (Jean Chazy, siehe unten)
  2. Für spezielle Werte der Parameter besteht aber unter Umständen die Möglichkeit einige der Gleichungen aus einer der anderen abzuleiten
  3. Masatoshi Noumi, Painlevé equations through symmetry, Translations of Mathematical Monographs 223, Providence, R.I.: American Mathematical Society 2004
  4. Schlesinger, Über eine Klasse von Differentialsystemen beliebliger Ordnung mit festen kritischen Punkten, J. für Reine und Angewandte Mathematik, Band 141, 1912, S. 96–145, SUB Göttingen
  5. Garnier, Sur des équations différentielles du troisième ordre dont l'intégrale est uniform et sur une classe d'équations nouvelles d'ordre supérieur dont l'intégrale générale a ses point critiques fixés, Ann. Sci. de l'ENS, Band 29, 1912, S. 1–126
  6. Garnier, Etudes de l'intégrale générale de l'équation VI de M. Painlevé dans le voisinage de ses singularité transcendentes, Ann. Sci. Ecole Norm. Sup. (3), Band 34, 1917, S. 239–353
  7. Garnier, Sur une classe de systèmes differentiels abéliens deduits de la théorie des équations linéaires, Rend. Circ. Mat. Palermo, Band 43, 1918-19, S. 155–191
  8. H. Flaschka, A. C. Newell, Monodromy and spectrum preserving deformations, Teil 1, Comm. Math. Phys., Band 76, 1980, S. 65–116
  9. P. A. Clarkson u. a., One hundred years of PVI, the Fuchs-Painlevé equation, J. Phys. A, Band 39, 2006, Vorwort
  10. Alexander Its, Victor Novokshenov, The isomonodromy deformation method in the theory of Painlevé equations, Springer, Lecture Notes in Mathematics 1191, 1986
  11. Athanassios Fokas, Alexander Its, Andrei Kapaev, Victor Novokshenov, Painlevé Transcendents - The Riemann-Hilbert approach, AMS, Math. Surveys and Monographs 128, 2006
  12. Painlevé, Sur les équations différentielles du second ordre à point critiques fixes, C.R. Acad. Sci. (Paris), Band 143, 1906, S. 1111–1117
  13. Manin, Sixth Painlevé equation, universal elliptic curve, and mirror of P2, AMS Transl. (2), Band 186, 1998, S. 131–151
  14. Fokas, Ablowitz, On a unified approach to the transformations and elementary solutions of the Painlevé equations, J. Math. Phys., Band 23, 1982, S. 2033–2042
  15. H. Sakai, Rational surfaces associated to affine root systems and geometry of the Painlevé equations, Comm. Math. Phys., Band 220, 2001, S. 165–229
  16. Chazy, Sur les équations différentielles dont l'intégrale générale possede un coupure essentielle mobile, C.R. Acad. Sci. (Paris), Band 150, 1910, S. 456–458, Sur les équations différentielles de troisième ordre et d'ordre supérieur dont l'ntégrale générale a ses points critiques fixés, Acta Math., Band 33, 1911, S. 317–385
  17. Barry McCoy, Spin Systems, Statistical Mechanics and Painlevé Functions, in D. Levi, P. Winternitz (Hrsg.), Painlevé Transcendents: Their Asymptotics and Physical Applications, NATO Adv. Sci. Inst. Ser. B Phys., Band 278, 1992, S. 377–391
  18. Craig Tracy, Harold Widom, Fredholm determinants, differential equations and matrix models, Comm. Math. Phys., Band 163, 1994, S. 33–72. Arxiv
  19. Tracy, Widom, Level spacing distributions and the Airy Kernel, Comm. Math. Phys., Band 159, 1994, S. 151–174. Arxiv. Die Tracy-Widom-Verteilung, die Wahrscheinlichkeitsverteilung des normierten größten Eigenwertes einer hermiteschen Zufallsmatrix, kann durch eine Painlevé-Transzendente vom Typ 2 ausgedrückt werden.
  20. T.T. Wu, B.M. McCoy, C..A. Tracy, E. Barouch, Spin-spin correlation functions for the two dimensional Ising model: exact theory in the scaling region, Physical Review B, Band 13, 1976, 316–374. Siehe Barry McCoy, Ising model, exact results, Scholarpedia
  21. Painlevé, Lecons de Stockholm, Œuvre, Band 1, Paris 1972
  22. Okamoto, Sur les feuilletages associés aux équations du second ordre à points critiques fixes de P. Painlevé, Japan. J. Math., Band 5, 1979, S. 1–79
  23. Alexander Bobenko, Ulrich Eitner, Painlevé equations in the differential geometry of surfaces, Springer, Lecture Notes in Mathematics 1753, 2000
  24. Ablowitz, Segur, Exact linearization of a Painlevé transcendent; Phys. Rev. Lett., Band 38, 1977, S. 1103–1106
  25. M. Ablowitz, A. Ramani, H. Segur, A connection between nonlinear evolution equations and ordinary differential equations of P-type, 2 Teile, J. Math. Phys., Band 21, 1980, S. 715–721, 1006–1015
  26. Ablowitz, Clarkson, Solitons, Nonlinear Evolution Equations and Inverse Scattering, 1991, S. 359
  27. Weiss, Tabor, Carneval, The Painlevé property for partial differential equations, J. Math. Phys., Band 24, 1983, S. 522–526
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