Passauer Straße
Straße in Berlin
Passauer Straße, Blick von der Tauentzienstraße zur Lietzenburger Straße
Basisdaten
Ort Berlin
Ortsteil Schöneberg
Angelegt 24. Juni 1892
Neugestaltet 20. März 1957
Anschluss­straßen Lietzenburger Straße, Tauentzienstraße
Querstraßen Augsburger Straße
Bauwerke KaDeWe
Nutzung
Nutzergruppen Fußverkehr, Radverkehr, Autoverkehr
Technische Daten
Straßenlänge 320 m

Die Passauer Straße ist eine in der Berliner City West gelegene Wohn- und Geschäftsstraße. Sie wurde 1892 angelegt und verläuft als Verbindungsstraße zwischen Tauentzienstraße und Lietzenburger Straße, bis 1957 reichte sie weiter südlich bis zur Geisbergstraße. Ein besonderes Gepräge findet sie bis in die Gegenwart durch das anliegende Kaufhaus des Westens (KaDeWe) und als Stätte jüdischer Religion und Kultur. In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg war sie darüber hinaus auch ein Ort moderner Literatur sowie exilrussischen Lebens.

Die Straße der Vorkriegszeit

Namensgebung, Beschreibung

Die Passauer Straße wurde im ersten Berliner Bebauungsplan, dem Hobrecht-Plan von 1862, der viele der umliegenden Straßen skizziert, noch nicht ausgewiesen. 1892 wurde sie dann angelegt und nach der bayerischen Stadt Passau benannt. Zu dieser Zeit war sie rund 550 Meter lang und reichte über die Augsburger Straße bis zur Geisbergstraße, nach Anlage der Bamberger Straße um 1900 ging sie in diese über. Verwaltungstechnisch gehörte sie damals zu drei Bezirken, nämlich Schöneberg, Charlottenburg und Wilmersdorf.

Im Jahr 1898 eröffnete Hans Schwarzkopf in der Passauer Straße eine Drogeriewaren- und Parfümeriehandlung. Mit seiner Erfindung eines Shampoos in Pulverform um 1903 legte er den Grundstein für das Haarkosmetik-Unternehmen Schwarzkopf. Kurz darauf wurde 1905 ein Jahrzehnt nach der Anlage der Straße ein großer Teil der Mietshäuser auf der Ostseite hin zur Tauentzienstraße wieder abgerissen, um so dem Neubau des KaDeWe Raum zu schaffen.

Vor allem in den 1920er Jahren war die Passauer Straße Teil von Charlottengrad 1918 bis 1941 Synonym für Charlottenburg, dem von Exil-Russen geprägten Berlin zwischen Wittenbergplatz, Nollendorfplatz und Viktoria-Luise-Platz, in den Worten von Andrej Belyi: „Man zog in die Passauer Straße, Ecke Wittenbergplatz, gegenüber vom berühmten Kadewe…“ In der Passauer Straße ansässig waren ein russisches Delikatessengeschäft, eine russische Bar, der Verein russischer Immigranten, das russische Modehaus Petersburg, eine russische Pension und eine russische Leihbibliothek. In der Passauer Straße 37a stand das Lokal scherkess. Selbst eine französischsprachige Buchhandlung, das Maison du livre francais in der Passauer Straße 39a, wurde von einem Exilanten aus Russland betrieben und richtete sich über die Zeit ihres Bestehens von 1923 bis 1933 auch vornehmlich an gebildete Russen.

Mitte der 1920er Jahre befand sich in der Passauer Straße „des Türken Mahir Sportschuppen“, ein früher Fitnessclub, in dem prominente Gäste wie Vicki Baum, Tilla Durieux oder Marlene Dietrich sich mit Gymnastik körperlich fit hielten.

Ab 1932 hatte der Architekt Hans Scharoun ein Büro in der Passauer Straße 4. Es brannte bei einem Luftangriff der Alliierten im Jahr 1943 vollständig aus.

Literarisches Leben der Vorkriegszeit

In der Passauer Straße 23 lebte bereits 1905 der Indologe Richard Pischel. In den 1920er Jahren lebten vor allem südlich der Kreuzung mit der Augsburger Straße zahlreiche bedeutende Schriftsteller, auch einige Verlagshäuser fanden hier ihren Sitz.

In der Passauer Straße 19 wohnte von 1917 an bis Mitte der zwanziger Jahre Gottfried Benn mit seiner Familie. Nach dem Tod seiner Ehefrau bot die Wohnung auch Gästen Raum, so zum Beispiel dem Schriftsteller Klabund und seiner Ehefrau, der Schauspielerin Carola Neher. Benns spätere Geliebte, die Schriftstellerin Ursula Ziebarth, lebte für kurze Zeit in einer Pension in der Straße im Oktober 1954.

Vladimir Nabokov lebte von 1926 bis Anfang 1929 mit seiner Frau in zwei Zimmern in der Passauer Straße 12. In seinem ersten englischsprachigen Roman Das wahre Leben des Sebastian Knight aus dem Jahr 1941 eröffnet er mit den Worten „Große, nasse Schneeflocken trieben schräg über die Passauer Straße im Berliner Westen, als ich auf ein häßliches altes Haus zuging, das zur Hälfte hinter einer Gerüstmaske versteckt war.“ eine Szene, in der der Held bei der Suche nach einer Augenzeugin auf die Aufbahrung derselben stößt.

Von 1926 an hatte der Malik-Verlag seinen Sitz in der Passauer Straße 3. Im selben Haus hatte bereits zu Anfang der 1920er Jahre der russische Romancier Andrej Belyi gelebt. Die Passauer Straße 8/9 war von 1929 bis 1935 Adresse des Rowohlt Verlags, bevor er in die Eislebener Straße weiterzog. Die dort verlegte Literarische Welt hatte ihre Redaktion in der Passauer Straße 34.

Im September 1930 lebte Antonin Artaud in der Passauer Straße 10. Zu dieser Zeit lernte er Georg Wilhelm Pabst kennen und wirkte in den Wochen danach an dessen Film Die Dreigroschenoper mit.

In der Passauer Straße eröffneten Françoise Frenkel und Simon Raichenstein 1921 La Maison du Livre français, die erste französische Buchhandlung der Stadt.

Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart

Als unmittelbar hinter der Tauentzienstraße gelegene Straße erfuhr die Passauer Straße im Zweiten Weltkrieg schwere Schäden. Bei Kriegsende war die Bebauung zum Tauentzien hin ausgebombt, der Straßenzug zwischen der Kreuzung Augsburger Straße und Geisbergstraße vollends zerstört, nur dazwischen blieben noch einige wenige Häuser erhalten, unter ihnen die Passauer Straße 4, der Sitz des Synagogenvereins.

Der südliche Abschnitt hinter der Kreuzung Augsburger Straße wurde durch die Verlängerung der Lietzenburger Straße als Teil der geplanten Südtangente abgetrennt und am 20. März 1957 in Ettaler Straße umbenannt. Seitdem verläuft die rund 320 Meter lange Passauer Straße nur noch als Verbindungsstraße zwischen Tauentzien- und Lietzenburger Straße und gehört administrativ zu Schöneberg.

Die Passauer Straße ist heute Geschäfts- und Wohnstraße, vornehmlich geprägt durch die Seiteneingänge und Parkhäuser des KaDeWe. Neben diesem dominiert eine architektonisch auffällige größere Seniorenresidenz von hotelartigem Charakter das Straßenbild, die 1999 bis 2000 vom Architektenbüro Hilmer & Sattler und Albrecht errichtet wurde.

Die weitere Wohnbebauung findet sich vornehmlich in der südlichen Hälfte konzentriert. Daneben gibt es einige Einzelhändler, darunter mehrere mit russischem Hintergrund, nennenswert ist die Präsenz des angeblich ältesten Hundefachgeschäft Berlins (seit 1890 in Familienbesitz).

Jüdische Religion und Kultur in dieser Straße

In ihrer gesamten Geschichte ist die Passauer Straße stets ein Ort jüdischen Lebens in Berlin gewesen. Bereits 1894 wurde in der Passauer Straße 4 der Synagogenverein Passauer Straße e. V. (oder Religionsverein Westen) gegründet. 1905 errichtete der Verein in der Passauer Straße 2 eine Synagoge mit 300 Sitzplätzen. Als Rabbiner wirkten dort u. a. von 1917 bis 1931 Hartwig Naphtali Carlebach und von 1931 bis 1938 Alexander Altmann. In der Pogromnacht 1938 zerstörte der Mob diese Synagoge, plünderte sie und zerriss die Torarollen. Die bereits beschädigte Synagoge wurde im Krieg weiter zerstört und wurde 1950–1951 abgerissen. Der Holocaust dokumentiert sich an fünf Stolpersteinen vor den Hausnummern 2 und 3 sowie einem Stolperstein, der vor der Lietzenburger Straße 20b, damals Passauer Straße 33, an den im KZ Neuengamme ermordeten Fritz Pfeffer erinnert.

Im Jahr 1992 wurde eine Gedenktafel am KaDeWe-Parkhaus angebracht, das an der Stelle der ehemaligen Synagoge steht und an das Pogrom im Jahr 1938 erinnert. Seit 2006 befindet sich in der Passauer Straße eine sephardische Synagoge. Ihr Rabbiner Reuven Yaacobov hat hier ebenso seinen Sitz wie der Rabbiner Y. Ehrenberg der Synagoge Joachimstaler Straße. Neben religiösen Institutionen haben auch weltliche jüdische Organisationen in der Passauer Straße 4 ihren Sitz, das Spektrum reicht von Einzelhändlern, Erfinderclubs, B’nai B’rith-Logen und einem Keren-Hajessod-Büro bis zum deutsch-jüdischen Sportverein TuS Makkabi Berlin.

Nachweise

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  3. 1 2 Messung anhand Maps Labs-Entfernungsmesser. Google Maps; abgerufen am 3. März 2013.
  4. Berlin. In: Brockhaus Konversations-Lexikon 1894–1896, 2. Band (Tafeln. S. 0792a). (Karte: Quadrant B7)
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Koordinaten: 52° 30′ 3,5″ N, 13° 20′ 23,3″ O

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