Paul Edmund Baron von Hahn (* 20. Junijul. / 2. Juli 1899greg. in Schloss Postenden bei Talsen, Kurland; † nach 1934) war ein deutschbaltischer Journalist und Schriftsteller.

Leben und Wirken

Hahn stammte aus dem deutsch-baltischen Adelsgeschlecht Hahn und wuchs im Baltikum auf. Nach der russischen Revolution soll er nach Angaben von Oskar Maria Graf für die bolschewistische Regierung im Baltikum als Spion tätig gewesen sein. In den 1920er Jahren siedelte er in die Weimarer Republik über, wo er seinen Lebensunterhalt als freischaffender Journalist und Romanschriftsteller verdiente.

Nachdem Hahn bereits einige Jahre lang Fortsetzungsromanen in Zeitungen veröffentlicht hatte, begann er in den frühen 1930er Jahren einige seiner Werke in Buchform neu herauszugeben.

Im März 1933, wenige Wochen nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, wurde Hahn als Günstling von Heinrich Himmler zusammen mit Leo Hausleiter die kommissarische Leitung des Münchener Zeitungshauses Knorr & Hirth-Verlag übertragen. Hahn hatte vorher dafür gesorgt, dass der Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten, Stefan Lorant verhaftet wurde. Als Direktoren übernahmen sie damit de facto die Kontrolle über die Tageszeitung Münchener Neuesten Nachrichten (MNN) und einige andere Blätter, die das Haus herausgab. Heinrich Himmler konnte durch „seine“ Direktoren – die bereits vor 1933 als freie Redakteure Spitzeldienste für die NSDAP bei den Münchener Neuesten Nachrichten geleistet hatten – direkten Einfluss auf das Zeitungshaus gewinnen und auf diese Weise bereits im März/April erste Teile der bayerischen Presse erfolgreich im Sinne des Nationalsozialismus gleichschalten. Die Herausgeberschaft der MNN übernahm zu dieser Zeit Hahns Freund Alfred Rosenberg, ebenfalls ein Deutsch-Balte.

In den Wochen nach seinem Antritt als Direktor bei Knorr und Hirth durchkämmte Hahn die Redaktionen des MNN und der angegliederten Zeitungen Süddeutsche Sonntagspost und Münchener Telegramm Zeitung systematisch nach Regimegegnern und warf bei Massenentlassungen mehr als fünfzig Redakteure und Mitarbeiter, die nicht sein Wohlwollen besaßen, auf die Straße, so z. B. den Journalisten Erwein von Aretin. Hahn und Hausleiter erhielten zudem Blanko-Haftbefehle, die sie nur auszufüllen brauchten, um ihnen unliebsame Personen in Haft nehmen zu lassen.

Trotz ihrer Zusammenarbeit bei der Gleichschaltung der Zeitungen des Hauses Knorr und Hirth rivalisierten Hahn und Hausleiter untereinander und belauerten sich gegenseitig. So ließ Hausleiter, der fürchtete, dass Hahn die Absicht habe, ihn zu vergiften, einmal die Kantine der MNN von der Polizei untersuchen, nachdem ihm ein Kaffee serviert worden war, in dem er einen sonderbaren Geschmack festgestellt hatte.

Festnahme und KZ-Haft

Im Mai 1933 geriet Hahn selbst aus nicht vollständig geklärten Gründen ins Visier der Politischen Polizei. Hausleiter versuchte zunächst, seinen Mitarbeiter, der auch über ihn belastende Dinge wusste, über die Grenze in die Schweiz in Sicherheit zu bringen. Als die beiden bei der Fahrt nach Lindau feststellten, dass ihnen ein anderer Wagen folgte, gaben sie den Versuch jedoch auf und kehrten nach München zurück.

Kurz darauf, am 12. Mai 1933, wurde Hahn von einem SA-Angehörigen im Vorzimmer von Heinrich Himmler in der Münchener Polizeidirektion verhaftet, als er gerade im Begriff war, den SS-Chef zu einer Besprechung aufzusuchen. Aretin vermutete später, dass Hausleiter die Verhaftung Hahns veranlasst hatte, um diesen zum Schweigen zu bringen, bevor er Himmler erreichte, nachdem das Unternehmen, ihn über die Grenze abzuschieben, gescheitert war.

Bei der Suche nach Motiven für die Verhaftung Hahns wurde in anderen Quellen der Verdacht geäußert, dass Hahn sich der Spionage gegen das NS-Regime schuldig gemacht habe. Oskar Maria Graf präsentierte abweichend hiervon in einem im Exil verfassten Aufsatz für die Weltbühne die Version, Hahns Festnahme erkläre sich durch seine angebliche, bereits längere Zeit zurückliegende Spionagetätigkeit für die Bolschewisten im Baltikum in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, von der die Nationalsozialisten erst im Laufe des Jahres 1933 erfahren hätten. Er schrieb hierzu:

„Es stellte sich heraus, daß dieser baltische Baron außer einigen nebenher laufenden Hochstapeleien einst, unter der Regierung von der Goltz, im Baltikum für die russischen Bolschewiken spioniert hatte. Hahn wurde sofort verhaftet, in die Ettstraße [Münchener Polizeigefängnis] gebracht.

Wenn Grafs Version zutreffen sollte, hätte sich Hahn in diesem Falle in den Augen der Nationalsozialisten durch eine frühere Kooperation mit den Kommunisten irreversibel für alle Zeit schuldig gemacht, so dass eine Sanktionierung nach Auffassung der Nationalsozialisten auch nach all diesen Jahren noch gerechtfertigt gewesen sei.

Nach seiner Verhaftung wurde Hahn zunächst ins Gefängnis Stadelheim gebracht. Von dort wurde er später ins KZ Dachau verlegt, wo er im sogenannten Bunker des Lagers, zusammen mit einigen anderen „Sonderfällen“, getrennt von den übrigen Lagerinsassen in Isolationshaft gehalten wurde. Durch einen Erinnerungsbericht von Julius Zerfaß von 1936 ist bekannt, dass Hahn zusammen mit drei weiteren Isolationshäftlingen – den Kommunisten Stenzer und Fruth und dem ehemaligen Frontbann-Führer Paul Röhrbein – lediglich zu kurzen Spaziergängen unter SS-Bewachung hin und wieder aus dem Arrestbau ausgeführt worden:

„Stenzer und Fruth, Röhrbein und von Hahn, vier hochgewachsene Männer. Wenn sie ausgeführt wurden, glich einer dem andern. Im dunklen Kranz ihrer Kerkerbärte blühte bleich die Blume des Todes.“

Verschwinden und Tod

Seit dem Frühjahr 1934 gilt Edmund von Hahn als verschollen. Einige Quellen legen nahe, dass er in der KZ-Haft auf diskrete Weise getötet worden sei, ohne dass dies öffentlich bekannt wurde. So erklärte bereits im Jahr 1936 das von der antinazistischen deutschen Exilpresse veröffentlichte Buch Das deutsche Volk klagt an, Hahn wäre in Dachau „wegen Spionageverdachts ermordet“ worden.

Andere Quellen geben demgegenüber an, dass Hahn Anfang 1934 – mit der Auflage, sich täglich bei der Polizei einzufinden – aus der Haft in Dachau in die Freiheit entlassen worden und danach untergetaucht und eventuell ins Ausland entkommen sei: So machte beispielsweise das Gerücht die Runde, dass Hahns alter Rivale Hausleiter, der als Vorsitzender der bayerischen Schutzhaftkommission über Entlassungen mitzuentscheiden hatte, ihm nun in einem zweiten Anlauf doch noch zur Flucht über die Grenze nach Österreich verholfen habe. Dagegen spricht jedoch, dass Hahn nicht – wie nach einem geglückten Überschreiten der Grenze eigentlich zu erwarten (zumal bei einer Person, die ihr Geld mit Schreiben verdiente) – wieder in Erscheinung trat, sondern dauerhaft verschwunden blieb und selbst nach 1945 nicht wieder auftauchte.

Zerfaß erklärte in seiner Broschüre über Dachau: Er sei sich sicher gewesen, Hahn wäre ermordet worden und die Behauptung von seiner geglückten Flucht sei unzutreffend. Viel mehr sei diese wahrscheinlich von den Nationalsozialisten selbst zur gezielten Verschleierung einer erfolgten Ermordung lanciert worden. Ihm sei in dieser Sache zu Ohren gekommen, der neueste „Tarnungstrick der Landsknechte, im Bunker erledigte Gefangene legal verschwinden zu lassen“, sei es, diese nach ihrer Ermordung zur Fahndung auszuschreiben, um so über deren Tod hinwegzutäuschen und den Eindruck zu erwecken, diese wären irgendwo außerhalb des Lagers im Verborgenen noch am Leben. Folgerichtig sei am 14. April im Deutschen Kriminalpolizeiblatt eine Fahndungsanzeige zu Hahn gebracht worden, in der es hieß, dieser sei aus der Schutzhaft entlassen worden, flüchtig und wahrscheinlich ins Ausland gegangen, um dort Greuelnachrichten zu verbreiten. Zerfaß kommentierte diese Angaben unter Verweis auf den gegen Hahn in der Anzeige ebenfalls erhobenen Vorwurf des Landesverrats mit dem sarkastischen Kommentar: „Als ob sie ihn dann aus der Haft entlassen hätten!“ Auffällig ist zudem, dass das Kriminalpolizeiblatt bereits zwei Tage zuvor, am 12. April 1934, eine fast gleichlautende Fahndungsanzeige zu dem Dachauer Gefangenen Albert Rosenfelder gebracht hatte, der laut Fahndungsmeldung ebenfalls kurz zuvor aus der Haft in Dachau entlassen worden und dann untergetaucht war und der, wie Hahn, seit 1934 verschollen ist.

Kurz nach dem „Verschwinden“ Hahns wurde dessen Lebensgefährtin Ernestine Zoref aufgrund des Verdachtes, durch ihn vertrauliche Interna erfahren zu haben, verhaftet und als erste Frau in der Geschichte des Lagers nach Dachau verschleppt. Nachdem sie im Mai kurzzeitig wieder in Freiheit entlassen worden war, wurde Zoref am 30. Juni 1934 erneut von der SS abgeholt, nach Dachau zurückgebracht, und dort – wahrscheinlich als lästige Mitwisserin und wohl auf Anweisung Heydrichs – von Angehörigen der Lagerwachmannschaft erschossen.

Schriften

  • Beine und Banditen. Knorr & Hirth, München 1931.
  • Ich komme gern! Knorr & Hirth, München 1932.
  • Parkplatz Grunewald. Drei Masken Verlag, Berlin 1932.
  • Das Zünglein an der Wege. Drei Masken Verlag, Berlin 1932.
  • Morgen wieder Sonne. Ein Roman um die Zugspitze. Knorr & Hirth, München, 1933.
  • Die Augen des unbekannten Soldaten. Pechstein, München 1933. Wurde nach Kriegsende in der Sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.
  • Die Weisse Meute. Wintersport- und Kriminalroman, 1933. (in Zeitungsfortsetzungen veröffentlicht)

Einzelnachweise

  1. Eintrag im Taufregister der Gemeinde Talsen (Memento vom 29. Oktober 2019 im Internet Archive) (lettisch: Talsi)
  2. Stefan Lorant: I Was Hitler's Prisoner, 1935, S. 117 nennt ihn einen Berater Himmlers.
  3. Oskar Maria Graf: Aufsätze aus dem Exil, 1989, S. 42. Nachweislich unzutreffend ist jedoch Grafs nächster Satz: „Nach einem Gerücht soll er sogleich erhängt worden sein. Das klingt vielleicht mittelalterlich liegt aber absolut im Bereich des Möglichen.“
  4. Julius Zerfrass: Dachau, 1936, S. 98.
  5. Maximilian Scheer Hrsg.Das Deutsche Volk klagt an. Hitlers Krieg gegen die Friedenskämpfer in Deutschland, 1936, S. 271; wieder Laika, Hamburg, 2012, ISBN 978-3-942281-20-1.
  6. Richardi: Schule der Gewalt
  7. Als Grund ermordete Häftlinge als verschwunden zu melden, legen Zerfaß und andere Autoren nahe, dass die Zahl der „Selbstmorde“ und „auf der Flucht Erschossenen“ sich in Dachau in den vorangegangenen Monaten derart gehäuft habe, dass die Lagerleitung gegenüber der Öffentlichkeit und der Justiz neue Tricks zur Kaschierung von Morden gebraucht habe. Die Meldung eines Ermordeten als Entkommen/entlassen und dann verschollen hatte aus der Sicht der Lagerleitung noch einen weiteren Reiz: Durch diese Meldung konnte die Lagerverwaltung nämlich der Untersuchung des Todesfalls durch die Justizbehörden und den damit zusammenhängenden unangenehmen Fragen relativ bequem aus dem Wege gehen. Ein Todesfall innerhalb des Lagers führte damals üblicherweise noch zu einer Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft, inklusive einer Übernahme der Leiche und ihrer Begutachtung durch Gerichtsmediziner zur Überprüfung der angegebenen Todesumstände. Wenn man einen Ermordeten hingegen als entlassen und verschwunden deklarierte, entging man der unangenehmen Verpflichtung, die Leiche Dritten auszuhändigen – einschliesslich aller damit zusammenhängender Komplikationen –, da eine Leiche ja in diesem Fall nicht existierte und konnte den Leichnam nach der Tat einfach entsorgen.
  8. Julius Zerfaß: Dachau, 1936, S. 213.
  9. Buchstabe H, Liste der auszusondernden Literatur. Herausgegeben von der Deutschen Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone. Vorläufige Ausgabe nach dem Stand vom 1. April 1946 (Berlin: Zentralverlag, 1946). In: www.polunbi.de.
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