Petrus Venerabilis, Peter der Ehrwürdige (* 1092 oder 1094 in der Auvergne; † 25. Dezember 1156 in Cluny), war ein Theologe und Reformator der Klöster des Mittelalters. Das Martyrologium Romanum zählt ihn unter die Seligen der Katholischen Kirche; sein Gedenktag ist der 25. Dezember.
Leben
Petrus’ Geburtsname lautet Pierre Maurice de Montboissier. Die burgundische Adelsfamilie Montboissier war eng mit dem Benediktinerkloster Cluny im Burgund verbunden. Er war ein Großneffe des Abtes Hugo I. Die Familie Montboissier gründete ein kluniazensisches Kloster. Daher wurde Petrus schon vor seiner Geburt dem Kloster Cluny versprochen, er war damit ein Oblate, und als solcher trat er im Alter von 16 Jahren in das Kloster Sauxillanges ein, welches ein Priorat Clunys war. Er wurde Prior von Vézelay und Domène, bevor er im Jahr 1122, mit 28 Jahren, zum neunten Abt von Cluny gewählt wurde. Sein Vorgänger hinterließ ihm gewaltige finanzielle und disziplinäre Probleme. Das Amt des Abtes von Cluny sollte er 34 Jahre lang innehaben.
Durch seine Lehrbriefe trug er entscheidend dazu bei, die Klöster seiner Zeit wieder zu mehr Gebet und Askese zu führen. Cluny erlebte unter seiner Regentschaft einen theologischen und wirtschaftlichen Aufschwung. In seinen Briefwechseln, u. a. mit Bernhard von Clairvaux, sprach er sich für Versöhnung aus und trat für Gewaltfreiheit ein. Nach der doppelten Papstwahl des Jahres 1130 unterstützte er Innozenz II. Petrus gewährte dem der Häresie angeklagten Philosophen und Dichter Petrus Abaelardus Zuflucht.
Petrus scheute sich nicht, in seinen Briefen Kritik zu äußern, jedoch tat er dies in einfühlender und daher akzeptabler Weise. Bei einer „brüderlichen Zurechtweisung“ (Admonitio Fraternalis oder Correctio fraterna) ging er nach den Empfehlungen der Bibel vor. So wünschte er z. B. einem gewissen Meister Peter nach dem Ausdruck seiner Hochachtung und seines Tadels „ein waches Auge“ (oculum videntem) und aufmerksames Gehör und unterzeichnete als „demütiger Abt“.
Andersgläubige hingegen schonte er in seinen Traktaten nicht, vor allem die Juden, die für ihn die Feinde Christi waren. Als 1146 eine Sondersteuer zur Finanzierung des Zweiten Kreuzzuges eingeführt werden sollte, sprach er: „Es ginge nicht an, gegen die Sarazenen zu ziehen, so lange die Juden, die eigentlichen Feinde Christi, in unserer Mitte verschont bleiben.“
Petrus von Cluny gab in der Übersetzerschule von Toledo die erste Koran-Übersetzung ins Lateinische in Auftrag, die im Jahr 1143 abgeschlossen wurde. Übersetzer waren Robert von Ketton, der getaufte jüdische Gelehrte Petrus Alfonsi und der Mönch Hermann von Carinthia; auch ein Maure namens Mohammed war beteiligt. Peter von Poitiers überarbeitete den fertigen Text stilistisch.
König Friedrich Barbarossa verlieh ihm im Jahr 1153 den Titel Venerabilis, was übersetzt „der Ehrwürdige“ heißt. Am Weihnachtstag des Jahres 1156 verstarb der Abt in Cluny.
Petrus Venerabilis und Cluny
Cluny bildete das Zentrum eines klösterlichen Reiches und galt als ein Zentrum der Erneuerung des Mönchtums. So genoss Cluny außergewöhnliche Privilegien und stand unter dem direkten Schutz des römischen Pontifex. Diesem klösterlichen Reich gehörten ungefähr 10.000 Mönche in mehr als 600 Klöstern an. Clunys Mönche wurden zu Päpsten und Kardinälen gewählt oder standen als Berater im Dienst von Kaisern und Königen. An der Schwelle zum 12. Jahrhundert war Cluny ein herausragender Ort im westlichen Europa.
Petrus wurde durch Cluny geprägt, als das klösterliche Reich sich auf dem Höhepunkt seiner Macht befand. Anders als andere Orte seiner Zeit in Europa war Cluny ein Ort, der die Werte von Kunst und Wissenschaft hochhielt. Somit stand Petrus in der Tradition dieser einflussreichen Institution. In die Geschichte ist Petrus als der letzte einer Reihe von großen Äbten Clunys eingegangen.
Für die praktische Umsetzung, besonders bei den Werken, die in der Collectio Toletana, auch Corpus Toletanum genannt, zusammengefasst wurden, auf deren Inhalt noch später zu kommen sein wird, war die Position seines Amtes äußerst wichtig. Abt des bekanntesten und wichtigsten Klosters zu dieser Zeit zu sein, brachte ihn in eine außerordentliche Position. Sein Amt verlieh ihm Immunität gegen äußere Angriffe. So konnte sich Petrus auch Dingen widmen, die von der überwiegenden Mehrheit der europäischen Gelehrten mit Desinteresse oder sogar Argwohn betrachtet wurden.
Die Reise nach Kastilien und León
Die erste Reise in der Norden der Iberischen Halbinsel trat Petrus aus verschiedenen Gründen an. So wollte er die kluniazensischen Klöster besuchen. Außerdem folgte er auch einer Einladung Alfons VII., von dem er sich die Lösung der enormen finanziellen Probleme Clunys versprach. Aus Petrus’ Briefen lässt sich auch der Eindruck erwecken, dass er eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela unternahm, was aber durch seinen Reiseweg nicht mit Sicherheit zu sagen ist und eher unwahrscheinlich erscheint.
Die Reise bildete die Grundlage und den Beginn für Petrus intensive Auseinandersetzung mit dem Islam. Während dieses Aufenthaltes auf der iberischen Halbinsel, der Schnittstelle zwischen Christen und Muslimen in Europa, nahm Petrus „die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen mit nachhaltigem Eindruck wahr“. So war es auch nicht verwunderlich, dass gerade hier das Unternehmen zur Koran-Übersetzung seinen Ursprung fand, denn hier gab es die islamischen Texte und hier fand sich auch die Kompetenz diese zu übersetzen. Um der christlichen Welt die islamische Lehre zu erschließen, ließ Petrus nicht nur den Koran übersetzen, sondern auch andere islamische Texte, die durch Texte aus seiner Feder ergänzt und unter dem Titel „Collectio Toletana“ oder „Corpus Toletanum“ zusammengestellt wurden. Im Auftrag von Petrus wurde 1142 die erste lateinische Übersetzung des Koran angefertigt.
Ein wichtiges Ergebnis der Spanienreise war auch die Linderung der finanziellen Probleme Clunys. Ein viel wichtigeres Ergebnis war Petrus Initialisierung des Islam-Projektes. Dies markiert ein bedeutsames Ereignis in der intellektuellen Geschichte Europas. Der Abt von Cluny erdachte, plante und finanzierte das Projekt, den Islam zu studieren.
Das Islambild im Mittelalter
Das Islambild vor Petrus
Es war die Kreuzzugsbewegung, die die Aufmerksamkeit der Christen auf die islamische Religion lenkte. Aber auch schon vor den Kreuzzügen war einiges über den Islam bekannt. Dieses Wissen stammte zum Teil aus byzantinischen Quellen, zum anderen Teil auch aus christlich-muslimischen Kontakten in Al-Andalus. Das Bild, welches sich daraus entwickelte, war durchweg sehr verworren. Sarazenen galten als Götzenanbeter, die mehr als die Hälfte der Erde in ihrem Besitz hielten und Mohammed verehrten, der als Zauberer galt. Außerdem glaubte man, dass der Islam sexuelle Freizügigkeit erlaubte.
Das „Goldene Zeitalter des islamischen Problems“ nahm seinen Anfang um das Jahr 650 und fand sein Ende um 1570. Für die mittelalterlichen Menschen wirkte sich dieses Problem auf alle Ebenen der Lebenspraxis aus. Theologisch betrachtet war es nötig, diesem Problem entgegenzutreten, indem man Licht ins Dunkel der Unwissenheit über die Natur des Islam brachte. Dies konnte aber nur gelingen, indem man sich der Fakten bewusst wurde; diese wiederum verlangten sprachliche und literarische Kenntnisse. Durch das Gefühl der Minderwertigkeit, durch die Bedrohung, die die mittelalterlichen Menschen im Islam sahen, war an ein objektives Herangehen nicht zu denken. Für die Menschen „stand zu viel auf dem Spiel, um für eine derartige Toleranz einen Freiraum zu haben“. Besonders die Menschen im Norden Frankreichs, in Flandern und in Deutschland, also gerade in den Ländern, die in keinem direkten Kontakt zu den Muslimen standen, entwickelte sich ein gewaltiger Hass. Vor diesem Hintergrund muss man das Islambild des Mittelalters betrachten.
Das Islambild des Petrus
Petrus Venerabilis war einer der wichtigsten Personen dieser Zeit, die dazu beitrugen das Islambild zu entzerren. Petrus ließ den Koran übersetzen und verfasste dann selbst eine Darstellung der islamischen Lehre, die Summa totius haeresis saracenorum, sowie eine Widerlegung im Liber contra sectam sive haeresim saracenorum. Zusammen mit den Übersetzungen waren es die ersten wissenschaftlichen Arbeiten über den Islam. Besonders die Summa war frei von den groben Fehlern, die sich in den Jahrhunderten zuvor manifestiert hatten. Diese neue Herangehensweise trug viel dazu bei, dass sich ein neues Islambild einstellte.
Petrus wirkte in einer Zeit, die von dem erfolgreichen 1. Kreuzzug dominiert war. Damit begann sich das Islambild zu ändern. Durch die Eroberung Jerusalems wurde das Minderwertigkeitsgefühl, das sich gegenüber dem Islam im Abendland eingestellt hatte, in den Hintergrund gerückt. Dieses Gefühl wurde zu Gunsten eines Gefühls des Triumphes über den Islam verdrängt. In der Vergangenheit fürchtete die westliche Christenheit die militärische Stärke der Sarazenen, aber mittlerweile bewiesen die normannischen Ritter, dass sie ihnen gewachsen waren. Vor dem Hintergrund des Kreuzzuges und der Verdrängung der Selbstzweifel der Christenheit, in einer Zeit des Triumphes über den Islam, beginnt Petrus sich, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, systematisch mit dem Islam auseinanderzusetzen. Der Abt von Cluny trat der 500 Jahre währenden Ignoranz und Polemik in der Auseinandersetzung mit dem Islam entgegen. Er versachlichte sie und nahm eine eher wissenschaftliche Haltung gegenüber dem Islam ein. Petrus hat als erster die „Grundlagen für eine Auseinandersetzung mit dem Islam“ gelegt.
Petrus war zwar eine der wenigen Personen des Mittelalters, die von der Richtung, die der Kreuzzugsgedanke einschlug, nicht gänzlich begeistert waren. Trotzdem war er Christ, und als Christ seiner Zeit war es auch für ihn ein legitimes Ziel, freien Zugang zu den heiligen Stätten der Christenheit zu erlangen. Man darf auch nicht vergessen, dass er stärker als seine Zeitgenossen dem Heidentum und der Häresie mit Abscheu gegenübertrat. Dennoch waren für Petrus die Muslime nur insofern Feinde, als dass sie „Seine Erlösung“ zurückwiesen. Sollten die Muslime jedoch diese anerkennen, so wäre für Petrus auch die Feindschaft beigelegt. So stellte er sich klar gegen das kaltblütige Morden auf den Kreuzzügen. In einem Brief an König Louis VII. schrieb er dazu: „Gott will weder kaltblütigen Mord noch ein Abschlachten.“
Des Weiteren sagte Petrus sogar, die Muslime seien eigentlich besser als die Juden. Das begründete er wie folgt: „… dass Christus von einer Jungfrau geboren sei, und sie stimmen mit uns in vielen Dingen über ihn überein.“ Die Muslime waren für Petrus näher am Christentum als die Juden. Der Abt sah im Islam eine Häresie des Christentums; er betrachtete ihn als die wichtigste Häresie – und die einzige, auf die die Christenheit noch keine adäquate Lösung gefunden hatte. Petrus ging nicht für den oder die Kreuzzüge in die Opposition, wie erwähnt gingen sie für ihn in eine verkehrte Richtung. Denn für ihn lag das eigentliche Ziel, das zentrale christliche Interesse, in der Bekehrung der Muslime.
Die erste lateinische Koran-Übersetzung
Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Spanien ließ Petrus die Koran-Übersetzung Bernhard von Clairvaux zukommen. In einem Begleitbrief an Bernhard beschrieb Petrus die Absichten, die er mit seiner Übersetzung verfolgte, und nennt auch die Namen derer, die an der Übersetzung beteiligt waren.
Petrus sah in der Übersetzung des Koran einen Baustein seines „Projekt[s] zur Widerlegung des Islam“. Es war ihm ein dringendes Anliegen, der Ausbreitung des Islam Einhalt zu gebieten. Mit der Übersetzung beauftragte er Robert von Ketton und Hermann von Dalmatien. Dazu kamen Petrus Toletanus und Petrus von Poitiers, der Sekretär des Petrus Venerabilis, des Weiteren noch ein Muslim mit Namen Mohammed der Sarazene, über den man nichts Weiteres weiß. Gut ein Jahr nach der Beauftragung wurde die Übersetzung fertiggestellt. Gleich nach der Rückkehr aus Spanien schickte Petrus eine Übersetzung an Bernhard von Clairvaux. Die Übersetzung ist insgesamt nicht frei von Fehlern, denn die Schwierigkeit der arabischen Sprache und die oft verschlüsselte Ausdrucksweise des Koran führten zu Fehlübersetzungen, willkürlichen Änderungen und Auslassungen von Suren.
Auf der Grundlage der intensiven Beschäftigung mit dem übersetzten Text beurteilte Petrus den Koran als eine abenteuerliche Mischung, die „ebenso aus jüdischen Legenden wie aus häretischen Schwätzereien“ zusammengewürfelt sei und Mohammed als einen „Saukerl“.
Petrus wollte dem Islam nicht mit Gewalt, sondern mit der Kraft des Wortes entgegentreten. In diesem Zusammenhang lässt sich die „Koran-Übersetzung als ein Grundlagenwerk zur Widerlegung des Islam betrachten“. Die Übersetzung reiht sich so in die Reihe der Schriften ein, die von Petrus als christianum armarium bezeichnet wurden. Darunter verstand Petrus eine christliche Bibliothek, die als „Waffe gegen diese Feinde dienen soll“; aber sicher nicht nur als Waffe im offensiven Sinn, sondern sicher auch als eine Art von Schutzschild, welcher die Christenheit schützen sollte. Petrus’ Hauptabsicht, die er mit der Übersetzung und der Collectio Toletana verfolgte, war es, den europäischen Christen exakte Informationen über den Islam zur Verfügung zu stellen. Dieses versuchte er auch mit der bereits oben erwähnten kurzen Abhandlung über die islamische Lehre, die er mit dem Titel Summa totius haeresis saracenorum versah.
Literatur
- Neithard Bulst: Petrus Venerabils. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 6. Artemis & Winkler, München/Zürich 1993, ISBN 3-7608-8906-9, Sp. 1985–1987.
- Richard Fletcher: Ein Elefant für Karl den Großen: Christen und Muslime im Mittelalter, Darmstadt 2005.
- Reinhold F. Glei (Hrsg.): Schriften zum Islam/Petrus Venerabilis (Corpus Islamo-Christianum, Series Latina, 1), Altenberge 1985.
- José Martínez Gázquez, Óscar de la Cruz, Cándida Ferrero, Nàdia Petrus: Die lateinischen Koran-Übersetzungen in Spanien. In: Matthias Lutz-Bachmann, Alexander Fidora (Hrsg.): Juden, Christen und Muslime: Religionsdialoge im Mittelalter, Darmstadt 2004.
- Nicolaus Heutger: Petrus Venerabilis. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 7, Bautz, Herzberg 1994, ISBN 3-88309-048-4, Sp. 382–383.
- Karl-Josef Kuschel: Vom Streit zum Wettstreit. Lessing und die Herausforderung des Islam, Düsseldorf 1998.
- J. Kritzeck: Peter the Venerable and Islam, Princeton 1964.
- Siegfried Raeder: Der Islam und das Christentum: Eine historische und theologische Einführung, Neukirchen-Vluyn 2001.
- Richard W. Southern: Das Islambild des Mittelalters. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1981.
- William Montgomery Watt: Der Einfluss des Islam auf das europäische Mittelalter, Berlin 2001.
- C. A. Wilkens: Petrus der Ehrwürdige, Abt von Clugny: Ein Mönches-leben (1857) 308p. Digital bei archive.org
- Joachim Wollasch: Cluny – "Licht der Welt": Aufstieg und Niedergang der klösterlichen Gemeinschaft, Zürich et al., 1996.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Petrus Venerabilis: Schriften zum Islam. Hrsg.: Reinhold Glei. 1985, S. 25.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Hugo II. | Abt von Cluny 1122–1156 | Hugo III. |