Pietro Paolo Vergerio, auch Pier Paolo Vergerio (* 1498 in Capodistria; † 4. Oktober 1565 in Tübingen) war ein italienischer Geistlicher und bis 1549 römisch-katholischer Priester und Bischof in Koper, dann ein lutherischer Theologe, Reformator und Pfarrer im bündnerischen Vicosoprano, Autor, Bibelübersetzer und Diplomat des württembergischen Herzogs Christoph in Tübingen.

Leben und Wirken

Vergerio wurde im damals zur Republik Venedig gehörenden Ort Capodistria (heute Koper in Slowenien) geboren. In Padua studierte er Jurisprudenz und begleitete 1530 den Legaten Campeggi nach Augsburg. 1533 wurde er Nuntius. Papst Paul III. sandte ihn 1535 abermals nach Deutschland, um die deutschen Fürsten zur Teilnahme an einem Konzil in Mantova zu bewegen.

Dabei lernte er in Wittenberg Martin Luther persönlich kennen. Er studierte, nachdem er in seine Heimat zurückgekehrt war, dessen Schriften, um sie zu widerlegen.

Am 5. Mai 1536 wurde er zum Bischof von Modrus bestimmt. Bereits am 6. September 1536 wurde er Bischof in seiner Geburtsstadt Koper. Nach und nach wurde er ein überzeugter Anhänger des Protestantismus. In seiner Entwicklung, bei der er zunächst die Bibel las, um die reformatorischen Schriften zu widerlegen, und dadurch selbst zu reformatorischem Denken geführt wurde, ähnelte Pietro Paolo Vergerio Giovanni Mollio. Vergerio begann sein Bistum nach den humanistischen und reformatorischen Erkenntnissen neu zu ordnen, indem er Missbräuche im Kult und Korruption in Kirchenämtern zu unterbinden suchte. So schränkte er die weit verbreitete und überbordende Heiligenverehrung ein. 1546 verließ er sein Bistum, nachdem er 1545 an die Inquisition in Venedig gemeldet, der Ketzerei verdächtigt und angeklagt wurde. 1548 erklärte Vergerio schließlich, durch den Widerruf, die nachfolgende Reue und das traurige Ende von Francesco Spiera gewarnt, in einer Schrift seine Übereinstimmung mit der evangelischen Lehre. Er resignierte am 3. Juli 1549 als Bischof von Koper und wurde von der katholischen Kirche exkommuniziert. Im gleichen Jahr war er nach Chiavenna ins tolerantere Bündnerland geflüchtet, wo er vorerst vom Reformator Agostino Mainardi aufgenommen wurde.

1550 nach der Aufnahme in die Bündner Synode wurde er evangelischer Pfarrer von Vicosoprano im bündnerischen Bergell, wo er die Reformation im italienischsprachigen Raum stärkte und etablieren half. Er predigte zudem in vielen Dörfern des Engadins, des Puschlavs und im Veltlin und besuchte unerkannt Norditalien. Er schrieb evangelische Traktate und übersetzte einige deutsche reformatorische Schriften ins Italienische, die ab 1549 bei Dolfino Landolfis Druckerei in Poschiavo verlegt wurden. Er nahm auch Kontakt mit den Reformatoren in Zürich, Basel und Bern auf, besonders hervorzuheben ist der Schriftwechsel mit Heinrich Bullinger.

Bereits 1553 folgte er einem Ruf des württembergischen Herzogs Christoph nach Tübingen, wo er für ihn diplomatische Aufträge übernahm im deutschen Reich, in den Drei Bünden und in Polen. Er schrieb mehrere Schriften gegen das Papsttum und gegen das Tridentinische Konzil. Er half dem slowenischen Reformator Primož Trubar (dt.: Primus Truber) bei dessen Bemühungen um eine Übersetzung des Neuen Testaments in die slowenische Sprache.

Werke (Auswahl)

Ein Gesamtverzeichnis der Werke Vergerios findet sich in Angelika Hauser: Pietro Paolo Vergerios protestantische Zeit.

  • Iurisconsulti de Republica Veneta liber primus (deutsch: Das erste Buch des Rechtskonsuls der Republik Venedig). Tusculanum 1526.
  • Ad oratores Principum Germaniae qui Vormatiae convenerund. De unitate, et pace Ecclesiae. Venedig 1541.
  • Della afflittione et persecutione fatta sopra quei di CapodiStria all'anno 1548 (deutsch: Von Bedrängnis und Verfolgung, die über die von Koper 1548 kam). Dolfino Landolfi, Poschiavo 1549.
  • Istruttione Christiana (deutsch: Christliche Bildung). Landolfi, Poschiavo 1549.
  • Oratione de perseguitati et forusciti per lo Evangelio, et per Giesu Christo (deutsch: Gebete der Verfolgten und Vertriebenen für das Evangelium und für Jesus Christus). Landolfi, Poschiavo 1549.
  • Le otto difesioni del Vergorio vescovo di Capodistria (deutsch: Die acht Verteidigungen von Vergerio, Bischof von Koper). Basel 1550.
  • Dodici trattatellio di M. Pietro Paulo Vergerio Vesvoco di Capodistria, fatti poco avanti il suo partire d'Italia (deutsch: Zwölf Traktate von M. Peter Paul Vergerio Bischof von Koper, verfasst kurz vor seinem Weggang aus Italien). Basel 1550.
  • Epistola del Vergerio, nella quale sone descritte molte cose della Cità, et della Chiesa di Geneva (deutsch: Epistel von Vergerio, in der viele Dinge der Stadt und der Kirche von Genf beschrieben sind). Genf 1550.
  • La historia di M. Francesco Spiera, il quale per havere in varii modi negata la conosciuta verità dell'Evangelio, casco in una misera desperatione (deutsch: Die Geschichte von M. Francesco Spiera, der auf verschiedene Weise die bekannte Wahrheit des Evangeliums negierte, umgeben von einer schlimmen Verzweiflung). Basel 1551.
  • Historia di Papa Giovanni VIII, che fu femmina. Tübingen 1556.
    • Des Babsts Kindtbett: Ein warhaffte und gruntliche Histori von Babst Hansen, dises Namens dem Achten, wölcher ein Weib und Zauberin gewesen ist. Tübingen 1558.
  • Retrattatione del Vergerio. Tübingen 1556.
    • Widerruff Petri Pauli Vergerij. Welcher in zeit er zu Capodistria Bischof gewesen zweymal in das Teütsch land von dem Bapst ist gesandt worden. Tübingen 1558.

Literatur

  • Emidio Campi: Pietro Paolo Vergerio. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 10. Dezember 2014.
  • Angelika Hauser: Pietro Paolo Vergerios protestantische Zeit. Dissertation, Universität Tübingen 1980
  • Anne Jacobson Schutte: Pier Paolo Vergerio. The making of an Italian reformer. Edition Dróz, Genf 1977, ISBN 978-2-600-03072-4
  • Barbara Mahlmann-Bauer: Protestantische Glaubensflüchtlinge in der Schweiz (1540–1580). In: Hartmut Laufhütte, Michael Titzmann (Hrsg.): Heterodoxie in der Frühen Neuzeit. De Gruyter, Berlin 2006, ISBN 978-3-1109-2869-3 (= Frühe Neuzeit, Bd. 117), S. 119–160.
  • Robert A. Pierce: Pier Paolo Vergerio the propagandist. Roma: Edizioni di storia e letteratura, 2003, ISBN 88-8498-077-1
  • Silvana Seidel Menchi: Erasmus als Ketzer: Reformation und Inquisition im Italien des 16. Jahrhunderts, Studies in medieval and reformation thought, Band 49, Brill 1993, ISBN 978-9-00409-474-1, S. 67–72: Vergleich zwischen dem Fall Vergerio und dem Fall Nacchianti (digital bei Google Books)
  • Silvana Seidel Menchi: Häretiker im Italien des 16. Jahrhunderts. In: Uwe Israel; Michael Matheus: Protestanten zwischen Venedig und Rom in der Frühen Neuzeit, Studien der Schriftenreihe des Deutschen Studienzentrums in Venedig, Walter de Gruyter, 2013, ISBN 978-3-05006-326-3, S. 25–46 (digital bei Google Books)
  • Fulvio Tomizza: Das Böse kommt vom Norden. Die Geschichte des Pier Paolo Vergerio, Bischof, Ketzer, Reformator. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1988, ISBN 3-462-01870-1
  • Manfred E. Welti: Kleine Geschichte der italienischen Reformation. Mohn, Gütersloh 1985, ISBN 3-579-01663-6 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 193), S. 72–138 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  • Erich Wenneker: Vergerio, Pietro Paolo. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 7, Bautz, Herzberg 1994, ISBN 3-88309-048-4, Sp. 1242–1256.
  • Erich Wenneker: Heinrich Bullinger und die Reformation im Engadin. In: „Bündner Monatsblatt. Zeitschrift für Bündner Geschichte, Landeskunde und Baukultur“, Heft 4, Chur 2004
Commons: Pietro Paolo Vergerio – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ludwig Theodor Elze: Primus Trubers Briefe, Literarischer Verein in Stuttgart, Tübingen 1897, S. 28.
  2. Peter Paul Vergerius (Pietro Paolo Vergerio il giovane) (Memento des Originals vom 20. April 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., Biografie auf flacius.net.
  3. Silvana Seidel Menchi: Häretiker im Italien des 16. Jahrhunderts. In: Uwe Israel; Michael Matheus: Protestanten zwischen Venedig und Rom in der Frühen Neuzeit, Studien der Schriftenreihe des Deutschen Studienzentrums in Venedig, Walter de Gruyter, 2013, ISBN 978-3-05006-326-3, S. 25–46.
  4. Silvana Seidel Menchi: Erasmus als Ketzer: Reformation und Inquisition im Italien des 16. Jahrhunderts, Studies in medieval and reformation thought, Band 49, Brill 1993, ISBN 978-9-00409-474-1, S. 67–72: Vergleich zwischen dem Fall Vergerio und dem Fall Nacchianti.
  5. Paolo Tognina: Pier Paolo Vergerio (1498-1565), vescovo eretico (Memento des Originals vom 29. Mai 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.. In: „Voce Evangelica“.
  6. Simona Rauch: La Riforma in Bregaglia. In: „Vicosoprano“, 5 ottobre 2014.
  7. Emidio Campi: Pietro Paolo Vergerio. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 13. Dezember 2014, abgerufen am 14. Februar 2020.
  8. Erich Wenneker: Heinrich Bullinger und die Reformation im Engadin. In: „Bündner Monatsblatt. Zeitschrift für Bündner Geschichte, Landeskunde und Baukultur“, Heft 4, Chur 2004.
  9. Rudolf Pfister: Um des Glaubens willen. Die evangelischen Flüchtlinge von Locarno und ihre Aufnahme zu Zürich im Jahre 1555. Evangelischer Verlag, Zollikon 1955, S. 52–53.
VorgängerAmtNachfolger
Defendo ValvassoriBischof von Koper
1536–1549
Tommaso Stella
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