Der Poetische Plural wird von Dichtern (selten von Prosaikern) statt des Singulars gesetzt, obwohl keine Mehrzahl bezeichnet wird. Dieses Phänomen begegnet vor allem in den Sprachen Griechisch und Latein. Nicht selten ist die Verwendung des Poetischen Plurals durch metrische Zwänge bedingt; häufig jedoch dient der Plural zur Differenzierung: „die Himmel“ statt „die Sphären des Himmels“ bzw. zur Amplifizierung, das heißt, der Dichter lässt das Erwähnte durch die Pluralform größer wirken.

Beispiele aus der griechischen Literatur

ἐν σπέεσι (en speesi; in Höhlen)

ἐν στήθεσσι (en stethessi; in Brüsten)

„Plural bei Homer oft ohne erkennbare Bedeutung statt des Singulars“


Beispiele aus der lateinischen Sprache (oft findet sich der Poetische Plural bei Körperteilen):

ora (die Münder)

cervicibus (die Nacken)

colla (die Hälse)

corpora (die Körper)

pectora (die Brüste)


coepta (die Anfänge)

currus (die Wagen)

dona (die Geschenke)

sceptra (die Szepter)

silentia (Schweigen)

Anmerkungen

  1. Raphael Kühner, Bernhard Gerth: Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache. Satzlehre. Erster Teil. Vierte Auflage, Leverkusen 1955, S. 18
  2. Sophokles, Antigone 1041: ἐς Διὸς θρόνους: auf Zeus’ Throne, d. h. auf Zeus’ großen Thron
  3. Homer, Odyssee 1,15
  4. Homer, Odyssee 20,22
  5. Eduard Bornemann: Auswahl aus Homers Odyssee. Wortkunde. Diesterweg. Frankfurt/Main u. a., 17. Auflage 1970, S. 9
  6. Ovid, Metamorphosen 1,93; 1,181; 1,484; 2,324; 8,229
  7. Ovid, Metamorphosen 1,542
  8. Ovid, Metamorphosen 3,422
  9. Ovid, Metamorphosen 2,326
  10. Ovid, Metamorphosen 11,411
  11. Ovid, Metamorphosen 1,2
  12. Ovid, Metamorphosen 2,387
  13. Ovid, Metamorphosen 10,52
  14. Ovid, Metamorphosen 1,596; 11,560
  15. Ovid, Metamorphosen 10,30; 10,53

Literatur

  • Eduard Hailer: Beiträge zur Erklärung des poetischen Plurals bei den römischen Elegikern. Programm des Königlichen humanistischen Gymnasiums zu Freising für das Schuljahr 1901/02. Freising 1902
  • Raphael Kühner, Bernhard Gerth: Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache. Satzlehre. Erster Teil. Vierte Auflage, Leverkusen 1955
  • Raphael Kühner, Carl Stegmann: Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache. Zweiter Teil: Satzlehre. Erster Band. Darmstadt 1966, S. 82–85
  • Paul Maas: Studien zum poetischen Plural bei den Römern. Teubner, Leipzig 1903
  • Gregor Maurach: Lateinische Dichtersprache. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995, § 121 = S. 84–86 (mit Angabe älterer Literatur in Anm. 82)
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