Die Theorie des Polyzentrismus wurde von Palmiro Togliatti geprägt und verstand sich als Kennzeichnung der Arbeitsbedingungen der kommunistischen Parteien im Vergleich zwischen verschiedenen Ländern nach der Entstalinisierung in der Sowjetunion 1956.
Später wurde der Begriff erweitert als allgemeine Bezeichnung für ein System mit mehreren Zentren, als Einheit in der Vielfalt (u. a. Politikwissenschaft, Architektur und Stadtplanung). Michael Polanyi nutzte das Konzept der Ergründung der Relevanz von Selbstorganisation und dem Schutz von Grundrechten.
Im Bereich der interkulturellen Kompetenz wird Polyzentrismus verstanden als Einstellung beziehungsweise Geisteshaltung der Offenheit gegenüber anderen Kulturen, Ansichten und Lebensweisen: wenn interkulturelle Handlungszusammenhänge nicht nur vor dem Hintergrund eigener kultureller Erfahrungen interpretiert werden, sondern die Eigenständigkeit anderer Kulturen anerkannt wird und kulturspezifische Wertungen relativiert werden. Dies steht im Sinne von Non-Ethnozentrismus im Gegensatz zur Haltung des Ethnozentrismus.
Aktuelle Vertreter des Konzepts in der Politikwissenschaft sind Simin Davoudi, Elinor und Vincent Ostrom. Arturo Escobar hebt indigene Perspektiven und Praktiken des Polyzentrismus mit dem Begriff des Pluriversums hervor.
Literatur
- Hans Heinz Holz: Die Begründung der Lehre vom Polyzentrismus bei Gramsci und Togliatti, in: Ders., Strömungen und Tendenzen im Neomarxismus. Hanser Verlag, München 1972, S. 12–29.
Einzelnachweise
- ↑ Paul D. Aligica, Vlad Tarko: Polycentricity. From Polanyi to Ostrom, and Beyond. In: Governance. Band 25, Nr. 2, April 2012, S. 237–262, doi:10.1111/j.1468-0491.2011.01550.x (wiley.com [abgerufen am 11. Juni 2022]).
- ↑ Mark Stephan, Graham Marshall, Michael McGinnis: An Introduction to Polycentricity and Governance. In: Andreas Thiel, William Blomquist, Dustin Garrick (Hrsg.): Governing Complexity. Cambridge University Press, New York 2019, ISBN 978-1-108-32572-1, S. 21–44 (iu.edu [PDF]).
- ↑ Arturo Escobar: Designs for the pluriverse : radical interdependence, autonomy, and the making of worlds. Durham 2018, ISBN 978-0-8223-7181-6.