Der Prozess gegen das Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS war der vierte von insgesamt zwölf Nürnberger Nachfolgeprozessen gegen Verantwortliche des Deutschen Reichs zur Zeit des Nationalsozialismus. Er fand vom 13. Januar bis zum 3. November 1947 im Nürnberger Justizpalast vor einem US-amerikanischen Militärgericht statt.

Angeklagt waren 18 Spitzenfunktionäre des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes (SS-WVHA). Die Anklagepunkte betrafen vor allem die gemeinsame „Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Mitglied in einer verbrecherischen Organisation“.

Der Hauptangeklagte Oswald Pohl, Leiter des SS-WVHA, wurde hingerichtet. Bei drei weiteren Angeklagten wurde ebenfalls die Todesstrafe verhängt, aber in eine Haftstrafe umgewandelt. Elf Angeklagte erhielten Haftstrafen, davon drei lebenslänglich, die anderen mit Haftzeiten von 10 oder 20 Jahren. Drei wurden freigesprochen. Acht der Verurteilten profitierten von einer späteren Reduzierung des Strafmaßes. In den Jahren 1951 bis 1954 wurden elf Verurteilte vorzeitig aus der Haft entlassen.

Das Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS

Das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (SS-WVHA) verwaltete bis Mai 1945 die SS-eigenen Industrien, Gewerbe und Betriebe, auch in den Konzentrationslagern, und führten diese zu eigenen Konzernen zusammen. Die SS war somit nicht nur Teil des staatlichen Polizeiapparates, sondern mit dem Wirtschafts-Verwaltungshauptamt auch für wirtschaftliche Ausbeutung zuständig. Dabei arbeitete das WVHA eng mit dem allgemeinen SS-Hauptamt und dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zusammen.

Das SS-WVHA bestand aus folgenden Amtsgruppen:

Die Amtsgruppen wirkten unter anderem bei der Kontrolle des Lagersystems eng zusammen. Spätestens ab 1942/43 war dem SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt fast das gesamte Lagersystem unterstellt.

Der Prozess

Anklage

Die Anklageschrift vom 13. Januar 1947 behandelte gemäß Kontrollratsgesetz Nr. 10 vier Anklagepunkte:

I   Das gemeinsame Vorhaben oder die Verschwörung zur Begehung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
II   Kriegsverbrechen. Unter Kriegsverbrechen wurden Delikte verstanden, die bereits in den Haager Abkommen vor dem Ersten Weltkrieg definiert worden waren: Tötung oder Misshandlung von Kriegsgefangenen, Hinrichtung von Geiseln, Verschleppung zur Zwangsarbeit etc.
III   Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Darunter fielen vor allem die Verfolgung und Vernichtung der Juden in ganz Europa und die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, also Tötungsdelikte, die in allen zivilisierten Staaten verfolgt werden.
IV   Mitgliedschaft in der SS. Die SS war laut Urteil im Hauptkriegsverbrecher-Prozess eine verbrecherische Organisation.

Am 10. März 1947 wurde Anklage erhoben.

Vertreter der Anklage waren Telford Taylor (Chief of Counsel for War Crimes), James M. McHaney (Chef der SS Abteilung der Ankläger) und Jack W. Robbins (Chefankläger für dieses Verfahren).

Richter

Im Unterschied zum Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher saßen bei sämtlichen Folgeprozessen ausschließlich amerikanische Richter auf der Richterbank.

Ablauf der Hauptverhandlung

Die Hauptverhandlung wurde am 8. April 1947 eröffnet. Sie begann mit den Vorträgen der Ankläger, die mehr als einen Monat in Anspruch nahmen (bis 14. Mai). Anschließend gaben die Verteidiger erste Stellungnahmen ab. Die Verteidigung der einzelnen Angeklagten dauerte mehr als zwei Monate (5. Juni bis 18. August).

Nach zusätzlichen Vorträgen beider Seiten am 16. September folgte am 17. September das Schlussplädoyer der Ankläger. Am selben Tag begannen die Schlussplädoyers der Verteidiger. Am 22. September hatten die Angeklagten Gelegenheit zu einem Schlusswort. Das Urteil wurde am 3. November 1947 verkündet.

Verfahrensschritte nach der Hauptverhandlung betrafen die Revision der Urteile durch die Militärgouverneure, Verfahrenshinweise an die Verteidigung und die Ausfertigung der Urteile am 11. August 1948.

Angeklagte, Verteidiger, Urteile

Die 18 Angeklagten, ihre Verteidiger und die Urteile vom 3. November 1947. Bei den Urteilen werden auch spätere Reduzierungen des Straßmaßes und vorzeitige Entlassungen angegeben.

Bild Angeklagter
Rang bei der SS
Funktion Verteidiger Assistent des Verteidigers Schuldig nach Anklagepunkt Urteil
Johannes Baier
SS-Oberführer
* 1893; † 1969
Stabschef der Amtsgruppe W (Wirtschaftsunternehmen) Stefan Fritsch (bis 2. Juli 1948),
Georg Menzel (ab 2. Juli 1948)
Georg Menzel (bis 2. Juli 1948), Oskar von Jagwitz (ab 2. Juli 1948) II, III, IV 10 Jahre Haft
1951 vorzeitig aus der Haft entlassen
Hanns Bobermin
SS-Obersturmbannführer
* 1903; † 1960
Leiter des Amtes W II (Steine und Erden – Ost) Hans Gawlik Gerhard Klinnert II, III, IV 20 Jahre Haft
Reduziert auf 15 Jahre Haft
Franz Eirenschmalz          
SS-Standartenführer
* 1901; † 1995
Leiter des Amtes C VI (Bauunterhaltung) Bolko von Stein (bis 16. Juli 1948)
Robert Servatius (ab 16. Juli 1948)
Oskar von Jagwitz II, III, IV Todesstrafe
Umgewandelt in 9 Jahre Haft
Heinz Fanslau
SS-Brigadeführer
* 1909; † 1987
Leiter der Amtsgruppe A (1944–1945) Curt von Stackelberg - II, III, IV 20 Jahre Haft
Reduziert auf 15 Jahre Haft
1954 vorzeitig aus der Haft entlassen
August Frank
SS-Obergruppenführer
* 1898; † 1984
Leiter der Amtsgruppe A (bis 1944), Stellvertretender Leiter des WVHA (bis 1943) Gerhard Rauschenbach Johann Schätzler II, III, IV Lebenslängliche Haftstrafe
Reduziert auf 15 Jahre Haft
1954 vorzeitig aus der Haft entlassen
Hans Hohberg
Kein SS-Mitglied
* 1906; † 1968
Stabschef der Amtsgruppe W (Wirtschaftsunternehmen) Willi Heim (bis 29. Juni 1948),

Ernst Schulte (ab 29. Juni 1948)

Wilhelm Maas II und III 10 Jahre Haftstrafe
1951 vorzeitig aus der Haft entlassen
Max Kiefer
SS-Obersturmbannführer
* 1889; † 1974
Leiter des Amtes C II (Sonderaufgaben Bauwesen) Erich Mayer Ferdinand Leis II, III, IV Lebenslängliche Haftstrafe
Reduziert auf 20 Jahre Haft
1951 vorzeitig aus der Haft entlassen
Horst Klein
SS-Obersturmbannführer
* 1910; † 1977
Leiter des Amtes W VII (Sonderaufgaben) Friedrich Bergold Oskar Ficht Freispruch
Georg Lörner
SS-Gruppenführer
* 1899; † 1959
Leiter der Amtsgruppe B, Stellvertretender Leiter des WVHA (bis 1944–1945) Carl Haensel Heinz Müller-Torgow II, III, IV Todesstrafe
Umgewandelt in lebenslängliche Haft, reduziert auf 15 Jahre Haft
1954 vorzeitig aus der Haft entlassen
Hans Lörner
SS-Oberführer
* 1893; † 1983
Leiter des Amtes A I (Haushaltswirtschaft) Gerhard Rauschenbach (bis 15. Juni 1948),
Wilhelm Schmidt (ab 15. Juni 1948)
Johann Schätzler II, III, IV 10 Jahre Haft
1951 vorzeitig aus der Haft entlassen
Karl Mummenthey
SS-Obersturmbannführer
* 1906; † 1968
Leiter des Amts W I (Steine und Erden im Reich) Georg Fröschmann Karl Pracht II, III, IV Lebenslängliche Haftstrafe
Reduziert auf 20 Jahre Haft
1953 vorzeitig aus der Haft entlassen
Oswald Pohl
SS-Obergruppenführer
* 1892; † 1951
Leiter des WVHA Alfred Seidl Georg Gierl I, II, III, IV Todesstrafe
Am 7. Juni 1951 hingerichtet
Hermann Pook
SS-Obersturmbannführer
* 1901; † 1983
Stellvertretender Leiter des Amts D III (Sanitätswesen) Paul Ratz - II, III, IV 10 Jahre Haft
1951 vorzeitig aus der Haft entlassen
Rudolf Scheide
SS-Standartenführer
* 1908; † 1987
Leiter des Amtes B IV (Verkehrswesen) Karl Hoffmann - Freispruch

Karl Sommer
SS-Sturmbannführer
* 1915; † unbekannt
Stellvertretender Leiter des Amts D II (Arbeitseinsatz der Häftlinge) Eduard Belzer (bis 17. August 1948),
Karl Hoffmann (ab 17. August 1948)
Joseph Mayer II, III, IV Todesstrafe
Umgewandelt in lebenslängliche Haft, reduziert auf 20 Jahre Haft
1953 vorzeitig aus der Haft entlassen
Erwin Tschentscher
SS-Standartenführer
* 1903; † 1972
Stellvertretender Leiter der Amtsgruppe B Hans Pribilla Helmut Eisenblätter II, III, IV 10 Jahre Haft
1951 vorzeitig aus der Haft entlassen
Josef Vogt
SS-Standartenführer
* 1884; † 1967
Leiter des Amtes A IV (Prüfungsamt) Wilhelm Schmidt - Freispruch
Leo Volk
SS-Hauptsturmführer
* 1909; † 1973
Adjutant von Oswald Pohl Hans Gawlik (bis 30. Juni 1948),
Gerhard Klinnert (ab 30. Juni 1948)
Gerhard Klinnert (bis 30. Juni 1948) II und III 10 Jahre Haft
Reduziert auf 8 Jahre Haft
1951 vorzeitig aus der Haft entlassen

Historische Bedeutung

Der Prozess sollte der Öffentlichkeit zeigen, dass auch die Schreibtischtäter zur Verantwortung gezogen werden. Sie hatten mindestens die gleiche Schuld auf sich geladen wie die Mörder vor Ort. Damit wurde die Mitwirkung von Verwaltungsspitzen, ohne deren Dienste ein Terrorregime nicht handlungsfähig wäre, international erstmals strafrechtlich geahndet.

Der Prozess gegen Pohl und das WVHA verfehlte innerhalb Deutschland seine beabsichtigte Wirkung teilweise. Das Urteil wurde damals vielfach als Siegerjustiz bewertet und öffentlich zum Teil sogar als Schandurteil bezeichnet. Am 9. Januar 1951 überreichte eine Abordnung des Deutschen Bundestages dem amerikanischen Hochkommissar John Jay McCloy eine erfolglose Bitte um Pohls Amnestie.

Siehe auch

Literatur

  • Johannes Tuchel: Fall 4: Der Prozeß gegen Oswald Pohl und andere Angehörige des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes. In: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952 (= Fischer-Taschenbücher. Die Zeit des Nationalsozialismus 13589). Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-596-13589-3, S. 110–120.
  • Robert M. W. Kempner: SS im Kreuzverhör. Rütten & Loening, München 1964.
  • Records of the United States Nuremberg War Crimes Trials, Vol. V. United States Government Printing Office, District of Columbia 1950. (Band 5 der „Green Series“)
  • Jan Erik Schulte: Im Zentrum der Verbrechen. Das Verfahren gegen Oswald Pohl und weitere Angehörige des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes, in: Kim C. Priemel, Alexa Stiller (Hrsg.): NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung. Hamburg : Hamburger Edition, 2013, S. 67–99
  • Jan Erik Schulte: Zwangsarbeit und Vernichtung: Das Wirtschaftsimperium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt 1933–1945. Schöningh, Paderborn 2001, ISBN 3-506-78245-2
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