Ein Realvertrag (auch: Realkontrakt; lat. contractus re) war im römischen Recht ein Vertrag, bei dem zur konsensualen Verpflichtung eine Sachhingabe als Realakt hinzutrat. Die Sachübergabe diente nicht – wie bei den Konsenualverträgen – der Eigentumsverschaffung, sondern der Übergabe einer Darlehensvaluta oder zum Zwecke der Besitzmittlung einer Sache.
Charakteristische Realverträge waren das Darlehen (mutuum), die Verwahrung (depositum), die Leihe (commodatum) und das Faustpfand (pignus). Die Rückzahlung der Darlehensvaluta beziehungsweise der Rückerhalt der verliehenen oder verwahrten Sache, konnte durch eine Bereicherungsklage eingefordert werden.
Realverträge lassen sich bis ins 3. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgen, als mit einer lex Silia die erste Kondiktion geschaffen wurde. Bei abstrakter Fassung des (offenen) Schuldgrundes, diente sie dem Rückforderungsrecht. Die obligatio re contracta geht auf die spätere Republik zurück.
Geschichte
Das römische Recht unterschied den Realvertrag vom Konsensualvertrag, der hinsichtlich seines Begründungsaktes an keine Sachhingabe gebunden war, dem Litteralvertrag, der von einer Buchung im Hausbuch abhing und dem Verbalvertrag, der an eine Wortformel gebunden war.
Ausführungen zum Realvertrag finden sich in den Institutionen des hochklassischen Juristen Gaius, der innerhalb des Sachenrechts (res) auch das Schuldrecht (obligationes) ausgeführt hatte. Der Vertrag bildete einen schuldbegründenden Tatbestand, war also konstitutiv, wobei „jede Obligation aus Kontrakt oder aus Delikt“ entstand.
Die Idee des Realvertrags ist jedoch noch älter, so sind bereits die šubanti-Urkunden in altbabylonischer Zeit diesem Typus zuzurechnen. Im heutigen deutschen Recht kennt man den Realvertrag nicht mehr. Das österreichische ABGB hat hingegen die Regelung des römischen Rechts übernommen. So sind der Leihvertrag, der Verwahrungsvertrag und der Trödelvertrag (contractus aestimatorius) Realverträge. Das Erfordernis der „Übergabe“ der Leistung für den Darlehensvertrag wurde 2010 abgeschafft.
Literatur
- Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 4.
- Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 224 f.
- Heinrich Honsell: Römisches Recht. 5. Auflage, Springer, Zürich 2001, ISBN 3-540-42455-5, S. 102.
- Max Kaser: Divisio obligationum. In: Max Kaser: Rämische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode. Köln, u a. 1986. S. 155–172.
Anmerkungen
- ↑ Max Kaser: Römisches Privatrecht. 15., verbesserte Auflage. 1989. ISBN 3-406-33726-0. § 38 II 1a; S. 179.
- 1 2 Christian Grüneberg. In: Palandt. BGB, 67., neubearbeitete Aufl. München. 2008. ISBN 978-3406565915. Vor § 311 BGB Rn. 3.
- ↑ Uwe Wesel: Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Beck, München 2006, ISBN 3-406-47543-4. S. 213 ff. (219).
- ↑ Heinrich Honsell: Römisches Recht. 5. Auflage, Springer, Zürich 2001, ISBN 3-540-42455-5, S. 102.
- ↑ Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 4. Rnr. 24.
- ↑ Digesten 46,3,80.
- ↑ Max Kaser: Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode. in: Forschungen zum Römischen Recht. Band 36. Verlag Böhlau, Wien, Köln, Graz, 1986. ISBN 3-205-05001-0. S. 160 ff.
- ↑ Max Kaser: Römisches Privatrecht. 15., verbesserte Auflage. 1989. ISBN 3-406-33726-0. § 38 II 1d; S. 180.
- ↑ Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 224 f.
- ↑ Gaius 3, 89 ff., 128, 135 ff.
- ↑ Ulrike Köbler, Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010, S. 169 f.
- ↑ Gaius: Institutiones, 3, 88.
- ↑ Helmut Koziol/Rudolf Welser/Andreas Kletečka: Bürgerliches Recht. 15. Auflage. Band 1. Many, Wien 2014, ISBN 978-3-214-14710-5, S. Rz. 572.