Reerdigung ist eine alternative Bestattungsform. Der Neologismus „Reerdigung“ verbindet die Rückkehr zur Erde mit dem Prozess der Beerdigung. Bei dieser Form der Erdbestattung verwandelt sich der tote Körper in einem sargähnlichen Behältnis innerhalb von 40 Tagen in Humus.
Prozess
Der Leichnam wird in einem 2,50 m langen, sargähnlichen Kokon auf pflanzliche Materialien (Grünschnitt und Stroh) gebettet. Luftzufuhr sorgt für genügend Sauerstoff. Natürliche Mikroorganismen transformieren den Körper im biochemischen Prozess der Kompostierung innerhalb von 40 Tagen in humusartige Erde.
Die Erde wird anschließend aus dem Behältnis entnommen. Ähnlich wie bei der Kremierung werden verbleibende Zähne und Knochenfragemente aussortiert, in einer Knochenmühle zermahlen und anschließend der Erde wieder zugegeben. Außerdem werden Metallteile, wie beispielsweise Prothesen, entfernt.
In Deutschland muss die Erde gemäß der geltenden Friedhofspflicht auf einem Friedhof bestattet werden. Die Wahl des Friedhofs richtet sich nach dem Willen der verstorbenen Person.
Sicherheit
Die bei der Reerdigung beteiligten Mikroorganismen erzeugen Temperaturen von rund 70° Celsius. Der Körper und die pflanzlichen Materialien werden in Humus verwandelt, der für Mensch und Pflanze unbedenklich ist. Eine Studie der Washington State University aus dem Jahre 2018 ergab, dass das Ergebnis einer Humankompostierung „saubere, reichhaltige, geruchlose Erde war, die alle bundes- und landesweiten Sicherheitsrichtlinien für potenziell gefährliche Krankheitserreger und Schadstoffe, wie z. B. Metalle, erfüllte“.
Nachhaltigkeit
Die Reerdigung ist eine nachhaltige Bestattungsform. Die Verbrennung von Erdgas, Körper und Sarg entfällt. Darüber hinaus wird bei der Zersetzung der Kohlenstoff im Humus gebunden und nicht in die Luft freigegeben.
Laut einer Studie, die von einem amerikanischen Anbieter für Reerdigungen finanziert wurde, wird pro Reerdigung etwa eine Tonne CO₂ gegenüber einer Feuerbestattung eingespart. Dagegen gibt ein Hersteller von Technologie für Krematorien einen anderen Wert an und rechnet mit durchschnittlichen Emissionen von 242 Kilogramm CO₂ je Feuerbestattung in den USA.
Eine klassische Erdbestattung in einem Sarg hat den Nachteil, dass durch den fehlenden Sauerstoff die eigentliche Zersetzung nur über Fäulnisprozesse und nicht über die Kompostierung stattfindet.
Verbreitung
Die Idee der Reerdigung geht auf die US-Amerikanerin Katrina Spade zurück, die 2014 die gemeinnützigen Organisation Urban Death Project und 2017 darauf aufbauend die gemeinnützige Gesellschaft Recompose gründete. Washington wurde 2020 der erste Bundesstaat der USA, der das Prinzip der Reerdigung legalisierte, und mehrere Staaten sind seitdem gefolgt. Die erste Reerdigung in Deutschland wurde im Februar 2022 in Mölln (Schleswig-Holstein) vorgenommen, wo die Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde die Form der Beisetzung eine gute Alternative für alle nannte, „bei denen eine Bestattung im Sarg oder eine Feuerbestattung Unbehagen auslösen“. Eine weitere Reerdigung wurde im November 2022 in Stockelsdorf (Kreis Ostholstein) bekannt.
Akzeptanz in Deutschland
Geistliche aus den verschiedenen Kirchen unterstützen den Gedanken von Reerdigungen, auch weil der kirchliche Trauerprozess in seinen Grundsätzen unberührt bleibt. In einem moraltheologischen Gutachten befand Peter Schallenberg von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle, dass eine Reerdigung einer Feuerbestattung stets vorzuziehen sei. Die erste deutsche Reerdigung im Februar 2022 fand in Kooperation mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland statt. André Könnecke, Geschäftsführer des Verbandes der Friedhofsverwalter Deutschlands, befürwortete im Juli 2022 die Reerdigung. Im Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts erscheint die Reerdigung seit 2021 als Gattungsbegriff.
Die Rechtsmediziner Benjamin Ondruschka, Marcel Verhoff und Klaus Püschel warfen ein einer 2022 veröffentlichten Arbeit offene Fragen des Verfahrens auf. U. a. fordern sie für jede Alternative zur Erdbestattung eine zweite Leichenschau, so wie sie beispielsweise bei einer Kremierung meist vorgeschrieben ist, da nach einer Reerdigung eine Exhumierung des Leichnams zwecks gerichtlicher Leichenschau nicht mehr möglich ist.
Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen hat in einer Rundmail an die Bezirksregierungen klargestellt, dass die Reerdigung gemäß des Bestattungsgesetz NRW keine zulässige Bestattungsart ist.
Die Bestattungsform wird auch in einigen Medien diskutiert.
Einzelnachweise
- 1 2 Reerdigung – ein neuer Trend im hohen Norden?, abgerufen am 9. August 2023.
- 1 2 Brendan Kiley: Washington becomes first state to legalize human composting. In: The Seattle Times. 21. Mai 2019, abgerufen am 26. Oktober 2022 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Recompose — Our Model. In: Recompose Life. Abgerufen am 26. Oktober 2022 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Becky Little: Wenn Einäscherung zum Umweltproblem wird. National Geographic, 6. November 2019, abgerufen am 9. August 2023.
- ↑ Verwesung: Verwesungsprozess nach dem Ableben. In: Bestatter.de. Abgerufen am 26. Oktober 2022.
- ↑ Block A: Zersetzungsprozesse von Biomasse unter aeroben und anaeroben Bedingungen. In: Bodenkunde.de. Abgerufen am 26. Oktober 2022.
- ↑ Tracker: Where Is Human Composting Legal. In: Earth. Abgerufen am 20. April 2023 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Christoph Koch: Erde zu Erde. In: brand eins. Abgerufen am 17. November 2022.
- ↑ Klimaneutral bestatten: „Reerdigung“ wird im Norden erprobt. In: Die Zeit. 5. März 2022, abgerufen am 17. November 2022.
- ↑ Ilka Schmidt-Martens: Erste Reerdigung in Stockelsdorf. In: Lübecker Nachrichten online. 19. November 2022, abgerufen am 19. November 2022.
- ↑ Peter Schallenberg: Stellungnahme zur Einordnung der Reerdigung aus katholisch-theologischer und -ethischer Sicht. (PDF) Katholische Sozialwissenschaftliche Zentralstelle, 13. September 2022, abgerufen am 15. September 2023.
- ↑ Jörn Straehler-Pohl: Bestattungsform Reerdigung – Auf einem Bett aus Stroh zu Erde werden. deutschlandfunkkultur.de, 17. März 2022, abgerufen am 26. Oktober 2022.
- ↑ Tom Gräbe: Alternative zu Erd- oder Feuerbestattung: Friedhof will Reerdigung anbieten. In: MDR. 10. Juli 2022, abgerufen am 26. Oktober 2022.
- ↑ Stellungnahme zur Änderung des Landesbestattungsgesetzes übergeben - Verbände haben sich gemeinschaftlich positioniert. Naturstein Online, abgerufen am 26. Oktober 2022.
- ↑ Jürgen Gaedke, Bearbeitung: Torsten F. Barthel (Hrsg.): Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts. 13. Auflage. Carl Heymanns, Köln 2021, ISBN 978-3-452-29697-9, S. 207 f.
- ↑ Benjamin Ondruschka, Marcel Verhoff, Klaus Püschel: „Reerdigung“ – alternative Bestattung oder beschleunigte Kompostierung? Archiv für Kriminologie, 2022, abgerufen am 9. August 2023 (PDF).
- ↑ Kirchliches Amtsblatt des Erzbistums Paderborn 2023, Stück 8, Nr. 88 (S. 103). 18. August 2023, abgerufen am 17. September 2023.
- ↑ Jörn Straehler-Pohl: Auf einem Bett aus Stroh zu Erde werden. Deutschlandfunk, 17. März 2022, abgerufen am 9. August 2023.
- ↑ Bettina Mittelacher: Reerdigung: In 40 Tagen zu Humus – ethisch vertretbar? Hamburger Abendblatt, 27. Oktober 2022, abgerufen am 9. August 2023.