Reeve (auch bailiff, deutsch ‚Vogt‘, französisch Bailiare bailli) war eine Amtsbezeichnung im mittelalterlichen England, von der sich ein Familienname ableitete.
Herkunft
Reeve stammt vom Altenglischen gerēfe, das verwandt ist mit Deutsch greve.
Der Name stammt aus dem normannisch geprägten England, wo der Reeve ein Vertreter des Earl ‚Graf‘ war, der Verwalter, Steuereintreiber und Schöffe (Ankläger und Richter) zugleich war. Er war auch für die unmittelbare Landesverteidigung und die Aufstellung von Männern für das Heer seines Herrn zuständig. Im Falle eines Verbrechens organisierte er (mithilfe des Constables) die Verfolgung eines flüchtigen Täters und wurde auch zu größeren Unfällen gerufen.
Abgeleitet von dem Begriff Shire-Reeve ist die heute noch verwendete Bezeichnung Sheriff. Der Begriff wird vom altenglischen Wort Sċīrġerēfa abgeleitet. Sċīr bezeichnet eine Verwaltungseinheit, vergleichbar mit einer Grafschaft (Shire). Im angelsächsischen England war der Sċīrġerēfa oder Shire-Reeve ein hoher Verwaltungsbeamter, vergleichbar mit einem Vogt.
Aus angelsächsischer Zeit hatte sich für einzelne Städte und kronunmittelbare Gebiete der Begriff Sheriff erhalten, die in ihrer Funktion vergleichbar waren. Der Reeve bekam sein Amt als Verwalter und er konnte jederzeit abberufen werden, es bestand also kein Lehns-, sondern ein reines Dienstverhältnis. Dennoch bedeutete es für die Freien und Angehörigen des niederen Adels, die zum Reeve ernannt wurden, in der Regel eine Auszeichnung. Neben dem Wohnrecht auf einer (in der Regel sehr kleinen, manchmal nur aus einem Burgfried bestehenden) Burg waren auch die Versorgung mit Lebensmitteln und Heizgut und ein gewisses Einkommen damit verbunden.
Historisch ging die Errichtung dieses Systems auf die Etablierung der normannischen Herrschaft unter Wilhelm dem Eroberer zurück und war ein nach damaligem Bedarf angelegtes Netz von Schutz- und Zwingburgen. Daher variierten sowohl die Größe des Rechtsgebiets als auch die Einkünfte des Reeve stark. Später genoss der Reeve unter der Bevölkerung hohes Ansehen, allerdings kam es auch häufig zum Missbrauch des Amtes.
Innerhalb des Rechtsgebiets konnten auch die Ländereien von Lehnsmännern des Lehnsherrn liegen. In diesen hatte der Reeve keinerlei Rechte; in seinem Verwaltungsbezirk war er etwa einem Ritter an Rechten, jedoch nicht an Würde gleichgestellt. Im Laufe zunehmender Besiedelung wurde die Verwaltung immer mehr zentralisiert, wodurch das Amt an Bedeutung verlor und vor allem an Angehörige der herrschenden Familie vergeben wurde. Ein Teil der Bailiwicks ging auch in erblichen Lehen der Krone auf. Formal existieren heute noch zwei Bailiwicks: die Kanalsinseln Jersey und Guernsey. Sie haben jedoch keine Bailifs, sondern werden unmittelbar von der Krone verwaltet.
Namensträger
- Anthony Reeve (1938–2014), britischer Diplomat
- Arthur Benjamin Reeve (1880–1936), US-amerikanischer Journalist und Schriftsteller
- Arthur W. V. Reeve (Arthur Wellesley Vivian Reeve; 1912–2002), neuseeländischer Pfadfinderfunktionär
- Aubrey Reeve (1911–1996), britischer Leichtathlet
- Birdie Reeve Kay (1907–1996), US-amerikanische Unterhaltungskünstlerin und Schachspielerin
- Charles David Chanel Reeve (* 1948), irisch-US-amerikanischer Philosophiehistoriker
- Christopher Reeve (1952–2004), US-amerikanischer Schauspieler, Regisseur und Autor
- Clara Reeve (1729–1807), britische Schriftstellerin
- Dana Reeve (1961–2006), US-amerikanische Schauspielerin und Sängerin
- Elon Reeve Musk (* 1971), kanadisch-US-amerikanischer Unternehmer
- F. D. Reeve (Franklin Delano Reeve; 1928–2013), US-amerikanischer Dichter und Übersetzter
- Henry Reeve (Journalist) (1813–1895), britischer Journalist
- Henry Reeve (General) (1850–1876), US-amerikanisch-kubanischer General und Freiheitskämpfer
- Henry Fenwick Reeve (1854–1920), britischer Kolonialbeamter und Schriftsteller
- John Reeve (* 1937), Bobfahrer und Skirennläufer von den Amerikanischen Jungferninseln
- John Reeve de la Pole (1808–1874), britischer Adliger
- Louisa Reeve (* 1984), britische Ruderin
- Lovell Augustus Reeve (1814–1865), britischer Malakologe
- Mark Reeve (* 1978), Techno-DJ und -Produzent
- Michael D. Reeve (* 1943), britischer Altphilologe
- Philip Reeve (* 1966), britischer Schriftsteller
- Simon Reeve (* 1972), britischer Journalist und Schriftsteller
- Sue Reeve (* 1951), britische Leichtathletin
- Tapping Reeve (1744–1823), US-amerikanischer Jurist
- Tommy Reeve (* 1980), deutscher Popsänger
- William Reeve (1757–1815), britischer Komponist und Organist
Literatur
- Alan Harding: Reeve. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 7. LexMA-Verlag, München 1995, ISBN 3-7608-8907-7, Sp. 540.