Der Reichert-Knorpel (lateinisch Cartilago Reicherti, nach Karl Bogislaus Reichert) ist eine während der Organogenese beim Fetus paarig dorsal der Arteria stapedia auftretende Knorpelspange im zweiten Kiemenbogen. Aus diesem Knorpelkern entstehen

  • das kleine Horn (Cornu minus, kleines Zungenbeinhorn, auch Cornu minor ossis hyoidei) des Zungenbeins,
  • aus ihrem ventralen Ende der Arcus ossis hyoidei, also die obere Hälfte beziehungsweise der kraniale Abschnitt des Zungenbeinkörpers,
  • der Griffelfortsatz (Processus styloideus) des Schläfenbeins,
  • das Griffelfortsatz und Zungenbein verbindende Ligamentum stylohyoideum (Griffelfortsatz-Zungenbein-Band) sowie
  • aus dem oberen Knorpelteil auch das Gehörknöchelchen Steigbügel.

Nach anderer Darstellung bildet der dorsale Teil des Reichertschen Knorpels die Anlage des Steigbügels und den Knorpelring für die Fenestra vestibuli (ovales Fenster, Fenestra ovalis, Fenestra semiovalis). Der Knorpel ist also die Vorstufe der vier beschriebenen Knochen.

Diese Umbauvorgänge finden beim menschlichen Fetus in der achten bis neunten Schwangerschaftswoche statt.

Geschichte

Früher wurde der Reichertsche Knorpel in der Deutschen Demokratischen Republik als Zungenbeinbogen und anschließend von 1973 bis 1980 als Zungenbeinknorpel definiert. Von 1981 bis 1998 verzichtete man auf eine Erklärung. 1999 beschrieb das Wörterbuch der Medizin den Reichert-Knorpel als zweiten Kiemenbogenknorpel.

1958 schrieb ein Lehrbuch: „Der im Hyoidbogen liegende Knorpelstreif, der Reichertsche Knorpel, wird zum Suspensionsapparat des Schlundkopfes und des Kehlkopfes.“

Im Roche Lexikon Medizin erfolgte bereits 1984 die heute als richtig angesehene Definition als Knorpel im zweiten Kiemenbogen beziehungsweise im zweiten Branchialbogen.

Einzelnachweise

  1. Günter Thiele, Heinz Walter (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Loseblattsammlung, Urban & Schwarzenberg, München/ Berlin/ Wien 1973, ISBN 3-541-84005-6, 5. Ordner (Membra–Rz), S. R 61 f.
  2. Helmut Ferner, Jochen Staubesand (Hrsg.): Alfred Benninghoff, Kurt Goerttler: Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 2. Band (Eingeweide und Kreislauf) von Helmut Ferner, Urban & Schwarzenberg, 11. Auflage, München / Wien / Baltimore 1977, ISBN 3-541-00251-4, S. 68.
  3. Jan Langman: Medizinische Embryologie. 5. Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1977, ISBN 3-13-446606-6, S. 267.
  4. Die obere Hälfte des Zungenbeins und das kleine Zungenbeinhorn sind nicht getrennt; sie bilden eine Einheit. Quelle: Horst Claassen, Friedrich Paulsen, Rainer Müller, Rainer Schönweiler, Bettina Schönweiler, Sotirios Bisdas, Johann-Martin Hempel, Claus Pototschnig: Larynx – Anatomie, physiologische Grundlagen und Diagnostik. In: Facharztwissen HNO-Heilkunde. Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 2021, ISBN 978-3-662-58177-3, S. 723–737. https://doi.org/10.1007/978-3-662-58178-0_34.
  5. Pschyrembel online
  6. Maxim Zetkin, Herbert Schaldach: Lexikon der Medizin, 16. Auflage, Ullstein Medical, Wiesbaden 1999, ISBN 978-3-86126-126-1, S. 1710.
  7. Peter Reuter: Springer Klinisches Wörterbuch 2007/2008. Springer-Verlag, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-540-34601-2, S. 1582.
  8. Günter Thiele, Heinz Walter (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Loseblattsammlung, Urban & Schwarzenberg, München/ Berlin/ Wien 1969, ISBN 3-541-84000-5, 3. Ordner (F–Hyperlysinämie), S. F 60.
  9. Linus S. Geisler: Lexikon Medizin. Das Nachschlagewerk für Ärzte, Apotheker, Patienten. 4., neubearbeitete und erweiterte Auflage. Lexikon-Redaktion Elsevier GmbH München, Sonderausgabe, Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft, Köln ohne Jahr [2005], ISBN 3-625-10768-6, S. 1431.
  10. Anna-Rachel Germelmann: Beitrag zur pränatalen Morphogenese des Os hyoideum des Menschen. Dissertation Charité 2008, S. 82.
  11. Maxim Zetkin, Herbert Schaldach (Hrsg.): Wörterbuch der Medizin, Verlag Volk und Gesundheit, 1. Auflage, Berlin 1956, S. 757.
  12. Maxim Zetkin, Herbert Schaldach (Hrsg.): Wörterbuch der Medizin, Verlag Volk und Gesundheit, 5. Auflage, Berlin 1973, S. 661.
  13. Maxim Zetkin, Herbert Schaldach: Lexikon der Medizin, 16. Auflage, Fackelträger Verlag, Köln ohne Jahr [2005], ISBN 3-7716-4326-0, S. 1710.
  14. Felix Sieglbauer: Lehrbuch der normalen Anatomie des Menschen. 8. Auflage, Urban & Schwarzenberg, München / Berlin 1958, S. 158.
  15. Roche Lexikon Medizin, 1. Auflage, Verlag Urban & Schwarzenberg, München / Wien / Baltimore 1984, ISBN 3-541-11211-5, S. 1352.
  16. Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage, Verlag Urban & Fischer, München / Jena 2003, ISBN 3-437-15156-8, S. 1576.
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