Rufus aus Samaria (lebte um 100 oder eher im 2. Jh. n. Chr. in Palästina und Rom) war ein jüdisch-hellenistischer Arzt und Kommentator des Hippokrates.
Leben
Über sein Leben ist nur bekannt, dass er als gelehrter und wohlhabender Arzt aus seiner Heimatstadt Samaria nach Rom auswanderte. Möglicherweise nahm er dazu den römischen Namen Rufus an, abgeleitet aus dem hebräischen Wort Rofe (Arzt). Sein Name und seine Herkunft werden ausschließlich von Galen überliefert. Er ist der erste namentlich bekannte jüdische Arzt und darf nicht mit seinem bekannteren und von Galen ebenfalls zitierten Kollegen Rufus von Ephesos verwechselt werden.
Werk
Er schrieb auf Griechisch mehrere medizinische Bücher, erhalten blieben nur Fragmente (Zitate) aus seinem Kommentar (Glossar) zum 6. Buch des Hippokrates über die Epidemien. Sie finden sich im gleichnamigen Buch Galens, der sie als Quelle ausschlachtete, textkritisch kommentierte und bewertete.
Rezeption Galens
Galen hielt die beiden Rufi auseinander und achtete darauf, dass er seinen Zeitgenossen aus Ephesos nicht mit dem früheren aus Samaria zusammenwarf.
Seine Haltung zu Rufus war widersprüchlich. Seine umfangreiche Zitation zeigt zum einen, dass er ihn als Autorität anerkannte und von ihm beeinflusst wurde, in seiner hellenistischen und antijüdischen Haltung kritisierte er aber auch, dass Rufus als Jude den Geist des griechischen Hippokrates nicht würdigen und letztlich doch keine adäquaten Kommentare zu Hippokrates abgeben konnte.
Textbeispiel von Galen
Das Beispiel zeigt die widersprüchliche Einstellung Galens zu Rufus, zuerst kritisiert er den palästinensischen Juden, der der griechischen Sprache nicht mächtig sei und „hässliche“ Kommentare abgebe:
Ich kenne wahrlich viele Menschen, die, wie ich oft schon sagte, aus Unkenntnis der Sprache hässliche Erklärungen bewundern, wie z. B. die Erklärung, die Rufus aus Samaria lobt, indem er sagt: "Die Bedeutung 'von innen' ist nur das, was zwischen den beiden vorher genannten Dingen liegt, nämlich zwischen Trank und Körper. Denn das, was zwischen zwei Dingen liegt, ist innen von einem jeden von beiden." Es ist am besten, wenn ich die Worte des Rufus an dieser Stelle wörtlich wiedergebe, damit nicht einer glaubt, dass ich diesen Mann verleumde. Seine Worte lauten wörtlich: "Der Urin ist in Übereinstimmung mit der Farbe des Trankes und des Körpers, aber es ist nicht die Farbe von jedem von beiden mit ihm für sich allein in Übereinstimmung, sondern es ist gewissermaßen ein Zustand zwischen den beiden, nämlich dem Trank und dem Zerschmelzen des dünnen und feuchten Körpers. Das Zerschmelzen des dünnen und feuchten Körpers kommt nicht durch den Urin zum Vorschein, sondern bleibt im Körper." Dies sind genau die Worte des Rufus aus Samaria. Dies sind Worte, die nur ein Mann loben kann, dessen Heimat in dem Lande der Palästinenser genannten Volkes ist, und der die griechische Sprache nicht verstand, bevor er nach der Stadt Rom kam. Und es musste sich der Mann schämen, der unter Griechen wohnte und ihre Sprache so wenig kannte, dass er mit Recht Lachen und Spott erregte; siehe Quellen, Seite 293.
Galen stellt nach diesem Zitat trotzdem würdigend fest:
Denn wenn sie [die Erklärung] nun auch nicht so klar ist, dass man von ihr Nutzen hat, so ist sie doch für mich ein großer Gewinn und für die Wissenschaft der Heilkunde eine Hilfe, siehe Quellen, Seite 294.
Er interpretiert die Textstelle ausführlich auf den nächsten Seiten und benutzt sie so als Ausgangsmaterial für seine eigenen Ausführungen; siehe Quellen, Seite 294–296.
Literatur
Quellen:
- Galens Kommentare zum 6. Buch der Epidemien des Hippokrates, Galeni in Hippocratis Epidemiarum librum VI commentaria I–VIII, herausgegeben von Ernst Wenkebach, übersetzt von Franz Pfaff, Berlin 1956, Seite 213, 289, 293, 347, 413, 476, 503; im CMG, Band V 10,2,2; online auf galen.bbaw.de der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Sekundärliteratur:
- Süssmann Munter: Rufus of Samaria. A Jewish Medical Author of the I–II Century. In: Israel Medical Journal. Band 17, 1958, S. 273–275.
- Sibylle Ihm: Clavis Commentariorum der antiken medizinischen Texte. Brill, Leiden u. a. 2002, S. 192 f.: Rufus von Samaria; weitere Hinweise und Literaturangaben.
- Karl-Heinz Leven (Hrsg.): Antike Medizin. Ein Lexikon. C. H. Beck, München 2005, Sp. 473–475 s. v. Jüdische Medizin, mit Literatur- und Quellenangaben.
- Vivian Nutton: Rufus von Samaria. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 10, Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-01480-0, Sp. 1158 (mit Quellenbelegen).
- Franz Pfaff: Rufus aus Samaria, Hippokrateskommentator und Quelle Galens. In: Hermes. Band 67, Heft 3, 1932, S. 356–359; hebt seine Bedeutung für Galen heraus.
- Richard Rudolf Walzer: Galen on Jews and Christians. Oxford University Press, Oxford 1949, S. 9, 17, 80.
Anmerkungen
- ↑ Zur zeitlichen Einordnung, siehe Galen: Aber ich [Galen] will euch zuerst an etwas erinnern, was ich schon öfters gesagt habe, und zwar dass nach Rufus aus Ephesus ein anderer Mann dieses Namens … aus dem Volk der Juden in unseren Tagen gelebt hat … [nämlich] … Rufus aus Samaria, siehe Quellen Seite 413.
- ↑ So Süssmann Munter: Rufus of Samaria. A Jewish Medical Author of the I–II Century. In: Israel Medical Journal. Band 17, 1958, S. 273–275.
- ↑ Galen: Aber ich will euch zuerst an etwas erinnern, was ich schon öfters gesagt habe, und zwar dass nach Rufus aus Ephesus ein anderer Mann dieses Namens … aus dem Volk der Juden in unseren Tagen gelebt hat … Wenn ich nun bei einer Erklärung sage, dass Rufus sie bringe, so wisset von mir, dass der Vertreter dieser Lesart nur Rufus von Ephesus ist. Wenn ich aber den Rufus aus Samaria erwähnen will, so füge ich seinem Namen die Erwähnung seiner Vaterstadt bei; siehe Quellen, Seite 413.
- ↑ Galen: Das Volk der Juden hat zwar nicht die Fähigkeit, Bücher der Alten zu erklären, aber dieser Mann sammelte die Erklärungen zu ihnen aus den Kommentatoren der anderen. Denn er besaß sie alle. Aus diesen Kommentatoren sammelte er mit Fleiß und Eifer Erklärungen zu Hippokrates, siehe Quellen Seite 413.
- ↑ Karl-Heinz Leven (Hrsg.): Antike Medizin. Ein Lexikon. C. H. Beck, München 2005, Sp. 473–475, hier S. 474: Er „äußerte sich ... grundsätzlich kritisch über die mosaische Kosmologie, da in ihr die von Vernunft bestimmte Natur, die sich wesentlich in Materie (griechisch hylē) auspräge, keinen angemessenen Platz habe.“