Die Pfarrkirche Saint-Eustache gilt als die bedeutendste Pariser Kirche des 16. Jahrhunderts und die erste, die Motive der Antike zeigt. Sie steht an der Rue Rambuteau im 1. Arrondissement und war die Kirche der Händler des benachbarten Pariser Markthallen (heute mit dem Forum des Halles bebaut). Saint-Eustache ist dem frühchristlichen Märtyrer Eustachius geweiht und stellt den letzten Pariser Sakralbau der Gotik dar; er lässt bereits den Geist der aufkommenden Renaissance erkennen.
Geschichte
Die Kirche hat eine Länge von 100 Metern, eine Breite von 43 Metern und eine Gewölbehöhe von 33,5 Metern. Sie ist damit die größte Renaissancekirche Frankreichs.
Sie wurde auf Initiative König Franz I. zwischen 1532 und 1640 an der Stelle einer älteren Kirche aus dem Jahre 1214 errichtet. Dabei wurde die Großstruktur einer Kirche der Gotik mit den antikisierenden Einzelformen der Renaissance verbunden. Die Westfassade wurde im Jahre 1754 im Stil des Klassizismus errichtet. Während der Revolution wurde die Kirche verweltlicht, geplündert und als Stall verwendet.
In dieser Kirche fand die erste Kommunion des Sonnenkönigs Ludwig XIV. statt. Hier wurden u. a. Pierre Marivaux und Jean-Philippe Rameau bestattet. Beachtenswert ist auch das in einer Chornische links der Apsis befindliche Grabmal von Jean-Baptiste Colbert, Finanzminister Ludwigs XIV., das der Bildhauer Antoine Coysevox nach einem Entwurf von Charles Le Brun geschaffen hat. Auf dem heute nicht mehr existierenden Pfarrfriedhof war (vorübergehend) der exkommunizierte Bühnenautor und Schauspieler Molière bestattet worden, der, wie auch Madame de Pompadour, in Saint-Eustache getauft worden war. Auch Anna Maria Mozart fand dort ihre letzte Ruhe.
Eigentümlicherweise ist der Baumeister der Kirche unbekannt, was eigentlich für diese Zeit untypisch ist. Den Baumeister bei der Grundsteinlegung hingegen kennt man: Le Mercier.
Architektur
Der Innenraum vermittelt auf den ersten Blick den Eindruck einer großen gotischen Basilika. Erst wenn man länger und genauer hinsieht, bemerkt man die geschickte und durchaus durchdachte Einbindung von antikisierenden Renaissance-Elementen, vor allem Säulenvorlagen, in die gotische Grundstruktur. In Anlehnung an Notre Dame wurden der kreuzförmige Grundriss, der fünfschiffige Aufbau, das Triforium und das Netzgewölbe nach gotischem Vorbild gewählt. An den Pfeilern wird der eigenartige Charakter der Bauweise am deutlichsten: Die der Gotik nachgebildeten Pfeiler sind außen nochmals mit Renaissance-Säulen besetzt.
Die 1631 nach Zeichnungen von Philippe de Champaigne ausgeführten Chorfenster zeigen die Apostel, die Kirchenväter und den heiligen Eustachius. Dieser ist ebenfalls auf einem Gemälde von Simon Vouet (um 1635) über dem linken Türbogen zu sehen.
Die Kirche ist früher zum Teil sehr negativ beurteilt worden, z. B. von Viollet-le-Duc, einem der führenden Denkmalpfleger Frankreichs im 19. Jh.: „Saint-Eustache ist ein schlecht konzipierter und schlecht konstruierter Bau, eine konfuse Anhäufung von Bruchstücken, die – ohne Verbindung und ohne Harmonie – aus allen Ecken entliehen sind, eine Art gotisches Skelett, das mit römischen Lumpen bekleidet ist, die zusammengenäht sind wie die Stücke eines Harlekingewandes.“ In der heutigen Zeit, in der das Ideal der Stilreinheit weniger als Grundlage des Kunsturteils gilt, wird der Bau positiver gesehen, und es werden neue Deutungen entwickelt (z. B. von Anne-Marie Sankovitch).
- Kirchenschiff
- Blick zur Orgel
- Chorgewölbe mit hängenden Schlusssteinen
- Blick in die Vierung
- Blick in das Hauptschiff
Ausstattung
Das Grabmal Colberts von Le Brun im Inneren der Kirche zählt zu den bedeutendsten französischen Skulpturen des 18. Jahrhunderts. Während der Französischen Revolution und aufgrund eines Brandes im Jahre 1844 wurde ein Teil der Inneneinrichtung zerstört.
Zu den bekanntesten Werken, die eine Seitenkapelle der Kirche schmücken, zählt das Gemälde „Die Jünger von Emmaus“, das in der Werkstatt von Peter Paul Rubens entstand, wahrscheinlich zwischen 1608 und 1611.
Der Auszug der Händler aus den Markthallen nach deren Verlagerung nach Rungis Anfang 1969 ist in Saint-Eustache in Pappmaché nachgebildet.
In der Kirche befindet sich ein Seitenaltar, der von Keith Haring gestaltet wurde.
- Grabmal Jean-Baptiste Colberts
- Peter Paul Rubens, „Die Jünger von Emmaus“
Musik
Hauptorgel
Vorgängerinstrumente
Die erste Orgel in St. Eustache wurde im 16. Jahrhundert gebaut. Im Laufe der Jahrhunderte weist die Kirche eine lebhafte Orgelgeschichte auf. Dazu zählen auch eine Reihe von Missgeschicken, u. a. ein Orgelbrand im Jahre 1844: Das im selben Jahre von der Orgelbaufirma Daublaine-Callinet neu erbaute Instrument fing Feuer, nachdem Charles Spackman Barker, dem Konstrukteur des Instruments, bei Reparaturarbeiten eine brennende Kerze entglitten und in die Orgel gefallen war.
1854 erbauten die Orgelbauer Ducroquet und Barker ein neues Werk mit 68 Registern auf vier Manualwerken und Pedal; dieses Instrument wurde in kurzen Abständen immer wieder überarbeitet, u. a. durch die Orgelbauer Joseph Merklin, Rinkenbach und Gonzalez, Herman und Gonzalez, und zuletzt 1972. Das Ergebnis dieser letzten Restaurierung war derart unbefriedigend, dass die Stadt Paris im Jahre 1985 eine Reorganisation bzw. einen Neubau ausschrieb, da das Instrument von 1854 mehr oder minder unspielbar war.
Heutige Orgel
Jean-Louis Coignet und der damalige Organist von Saint-Eustache, Jean Guillou, entwarfen den Grundentwurf für das neue Instrument, welches in dem vorhandenen Orgelgehäuse des Instruments von 1854 Platz finden sollte. Auf dieser Grundlage fand eine Ausschreibung statt, aus der die Orgelbauer Van den Heuvel (Dordrecht, Niederlande) und Klais (Bonn) stimmgleich hervorgingen. 1986 fiel die Wahl schließlich auf die Firma Van den Heuvel.
Die Fertigung des Instruments begann unmittelbar darauf in den Orgelbauwerkstatt und dauerte bis August 1988. Die Orgel war dort fertig spielbar aufgestellt – mit Ausnahme des Gehäuses, das in der Kirche verblieb. Im Herbst 1988 wurden die Teile nach Paris transportiert, innerhalb von vier Monaten im Orgelgehäuse montiert und die Orgel im Frühjahr 1989 offiziell abgenommen.
Das Orgelwerk ist großteils neu, mit Ausnahme der Prospektpfeifen und wenigen Registern aus der alten Orgel. Wiederverwendet wurde u. a. das Cor de Basset 8′, welches der britische Orgelbauer Henry Willis dem Organisten Joseph Bonnet geschenkt hatte. Besonderheiten des Instrumentes sind u. a. die beiden 32-Fuß-Register in der Grand Orgue und im Récit, die Vielzahl überblasender Flöten (Flute harmoniques) im Solowerk, und auch zwei 32′-Zungenstimmen im Pedal. Die Orgelbaufirma stiftete die Contre-Bombarde 32′, nachdem die Contre-Trombone allein sich als zu schwach für diese große Orgel erwies.
Das Instrument lässt sich von zwei Spieltischen aus spielen. Der Hauptspieltisch auf der Orgelempore hat eine mechanische Traktur für das Positif und die Grand Orgue; die Trakturen für Récit, Grand Coeur, Solo und Pedal werden durch Barker-Maschinen unterstützt; außerdem ist auch die Traktur der Grand Orgue mit Barker-Maschinen ausgestattet, die allerdings zuschaltbar sind; die Barker-Maschinen selber sind in einem besonders schalldämmenden Gehäuse untergebracht. Der zweite Spieltisch ist beweglich im Kirchenschiff aufgestellt.
Das Windwerk besteht aus sechs Radialventilatoren. Eine Besonderheit ist die Verteilung der Winddrücke: Sie liegen zwischen 90 und 167 mm WS und werden durch 23 Magazinbälge besorgt. Bis auf das Positif haben alle Werke mindestens drei verschiedene Winddrücke, jeweils für Bass-, Mittel- und Diskantlage; die Tuben des Grand-Choeurs stehen auf 150 mm WS und die Chamaden-Register im Solowerk haben einen sechsfach gestuften Winddruck, der von 105 bis 167 mm WS reicht.
Das Instrument hat insgesamt 101 Register (147 Pfeifenreihen) mit über 8000 Pfeifen auf fünf Manualen und Pedal und ist damit eine der größten Orgeln Frankreichs.
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- Koppeln:
- Manualkoppeln: I/II, I/III, III/II, IV/II, V/II, V/III
- Pedalkoppeln (Tirasses): I/P, II/P, III/P, IV/P, V/P
- Suboktavkoppeln (Octaves Graves): II/II, III/III, IV/IV, V/V
- Koppeln nur am Kirchenschiffsspieltisch: III/P und IV/P jeweils als Superoktavkoppel; III/I, V/IV als Normalkoppeln; Altkoppel IV/II; Soprankoppel V/II
- Spielhilfen: Crescendo Générale, Sostenuto Positif, Sostenuto Récit, Sostenuto Solo, freie Kombinationen, Tutti. Appel Machine
- Anmerkungen:
- (h) = historisches Register aus Vorgängerinstrumenten
Titularorganisten
Titularorganisten an Saint-Eustache sind seit 2015 Thomas Ospital und Baptiste-Florian Marle-Ouvrard.
Titularorganisten an Saint-Eustache waren:
von | bis | Name |
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? | ? | Antoine Foucquet |
1696 | ? | Pierre Foucquet |
? | ? | Marie-Louis Foucquet |
1815 | 1834 | Jacques-Marie Beauvarlet-Charpentier |
1854 | 1876 | Édouard Batiste |
1876 | 1879 | vakant |
von | bis | Name |
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1879 | 1904 | Henri Dallier |
1905 | 1905 | A. Périlhou |
1906 | 1944 | J. Bonnet |
1945 | 1963 | André Marchal |
1963 | 2014 | Jean Guillou |
1971 | 1995 | André Fleury (Co-Titularorganist) |
von | Name |
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2015 | Baptiste-Florian Marle-Ouvrard |
2015 | Thomas Ospital |
Chororgel
Zur musikalischen Begleitung der Liturgie befindet sich rechts des Chorraumes auch eine kleine Chororgel mit 16 Registern in einem schlichten klassizistischen Gehäuse. Das Instrument geht vermutlich zurück auf den Orgelbauer Abbey im Jahr 1842, wurde allerdings in der Zwischenzeit häufig umgebaut.
Uraufführungen
In Saint-Eustache wurden mehrere bedeutende Werke der Kirchenmusik uraufgeführt:
- am 22. November 1855 die Cäcilienmesse von Charles Gounod
- ebenfalls im Jahre 1855 das Te Deum von Hector Berlioz
- im Jahre 1866 die Graner Messe von Franz Liszt
Literatur
- Julia Droste-Hennings, Thorsten Droste: Paris. DuMont Verlag, Köln 2003, ISBN 3-7701-6090-8, S. 282–285.
- J.L. van den Heuvel: The Van den Heuvel organ of Saint-Eustache, Paris. J.L. van den Heuvel, Dordrecht 1989.
- Anne-Marie Sankovitch, A Reconsideration of French Renaissance Church Architecture. In: Guillaume, Jean (Hrsg.): L’église dans l’architecture de la renaissance: actes du colloque tenu à Tours du 28 au 31 mai 1990. Picard, Paris 1995, ISBN 2-7084-0473-3, S. 161–180.
- Eglise St-Eustache (Hrsg.): Le grand-orgue de Saint-Eustache à Paris. Reconstruit en 1877 et 1878 par J. Merklin. Louis Perrin et Marinet, Lyon 1879.
- Heinfried Wischermann: Architekturführer Paris. Gerd Hatje Verlag, Ostfildern 1997, ISBN 3-7757-0606-2, S. 42.
Einzelnachweise
- ↑ Rubens. In: saint-eustache.org. Abgerufen am 28. Mai 2023 (französisch).
- ↑ Beschreibung auf der Website der Orgelbaufirma
- ↑ Umfassende Informationen zur Orgel (englisch, französisch)
- ↑ Informationen zur Orgel und Informationen zur Disposition auf der Website der Kirche
- ↑ Deux nouveaux organistes à l'église Saint-Eustache. In: leparisien.fr. 24. März 2015, abgerufen am 21. September 2021 (französisch).
- ↑ Beschreibung der Chororgel (auf englisch)
Weblinks
- Église Saint-Eustache in der Base Mérimée des französischen Kulturministeriums (französisch)
- Seite der Kirche (franz.)
- Saint-Eustache (Paris). In: Structurae
Koordinaten: 48° 51′ 48″ N, 2° 20′ 42″ O