Als scheinbare Größe oder scheinbarer Durchmesser eines Objekts wird in der Astronomie die geometrische Ausdehnung der beobachteten Erscheinung am Himmel bezeichnet. Sie entspricht dem Winkel, unter dem der Umriss eines Gegenstandes den Beobachtenden an ihrem Standpunkt erscheint, dem jeweiligen Gesichtswinkel, auch Sehwinkel genannt. Die Winkelausdehnung hängt von der tatsächlichen Größe des Objekts und dessen Entfernung vom Betrachter ab. Die Abbildung des Gegenstandes auf der Netzhaut (retinales Bild) im Auge wird außerdem durch brechende Medien wie die Augenlinse bestimmt – beziehungsweise durch zusätzliche optische Systeme vor dem Auge, die den Sehwinkel künstlich vergrößern, wie die eines Feldstechers oder eines Teleskops.

Unter ansonsten gleichen Bedingungen erscheinen Objekte gleicher Abmessungen in verschiedener Entfernung unterschiedlich groß. Objekte unterschiedlicher Maße können gleich groß erscheinen, wenn sie unter gleichen Sehwinkeln auf der Netzhaut abgebildet werden. Wie Betrachtende die scheinbare Größe in der Wahrnehmung interpretieren, hängt wesentlich mit ihrer Perspektive und Raumwahrnehmung zusammen.

Abmessung und scheinbare Größe

Nebenstehende Abbildung verdeutlicht den Zusammenhang zwischen scheinbarer Größe α, Entfernung r (Betrachtungsabstand) und den tatsächlichen Abmessungen g eines Objekts. Es lässt sich daraus folgende Beziehung zwischen den drei Größen ableiten:

und somit für den Winkel

In der Geodäsie kann mittels eines Objekts mit genormter Größe, beispielsweise einer senkrecht zur Blickrichtung aufgestellten Basislatte, aus der scheinbaren Größe die Entfernung berechnet werden:

In der Astronomie ergibt sich bei bekanntem Abstand eines Objekts dessen ungefähre wahre Ausdehnung quer zur Sichtlinie

Für kleine Winkel < 1° gilt die Kleinwinkelnäherung, im Bogenmaß: , so dass in Winkelminuten gilt:

.

Der Fehler beträgt bei α=1° nur 0,4" (1,7·10−6 rad oder 0,001%), bei α=6'=0,1° nur noch 0,004" (2·10−9 rad oder 0,0001 %).

Für ein sphärisches Objekt, dessen Durchmesser g und der Abstand zum Kugelmittelpunkt r ist, gilt die abweichende Formel , denn in dem Dreieck liegt der rechte Winkel nicht am Mittelpunkt, sondern am Berührpunkt der Tangente. Der Unterschied verschwindet für kleine Winkel.

Vertikaler und horizontaler Sehwinkel

In der Fotografie verwendet man den vertikalen und den horizontalen Sehwinkel eines Gegenstands. Den vertikalen Sehwinkel εv eines Gegenstands definiert man, indem man dem vom Auge fixierten Gegenstand ein waagrecht liegendes Rechteck umschreibt, dann die beiden vom Auge ausgehenden Strahlen zu den Endpunkten der senkrechten Strecke durch den Rechtecksmittelpunkt zieht und den Winkel zwischen diesen Strahlen bestimmt. Analog ist der horizontale Sehwinkel εh der Winkel zwischen den beiden Strahlen vom Auge zu den Endpunkten der waagrechten Strecke durch den Rechtecksmittelpunkt.

Wählt man das kartesische Koordinatensystem, dessen Ursprung im Mittelpunkt des Rechtecks liegt, dessen y- und z-Achse die vertikale und horizontale Symmetrieachse des Rechtecks bilden und bei dem sich der Betrachter im Halbraum x > 0 befindet, so lassen sich diese beiden Sehwinkel für das Rechteck mit der vertikalen Seitenlänge Gv = 2γv und der horizontalen Seitenlänge Gh = 2γh für einen beliebigen Beobachterpunkt (x,y,z) trigonometrisch bestimmen:

,
.

Auf Grund der Rotationssymmetrie des Funktionsgraphen des vertikalen Sehwinkels εv(x,y,z) bei der Drehung um die y-Achse (Zylindersymmetrie) kann dessen Untersuchung auf die x,y-Ebene eingeschränkt werden. Für die Sehwinkelfunktionen als Funktionen nur der Ebenenkoordinaten x und y erhält man die folgenden Terme und die in den Abbildungen dargestellten Funktionsgraphen:

,

Maximale Sehwinkel eines Gegenstandes für eine Kamera

Für die vollständige und scharfe Abbildung eines fest vorgegebenen Objekts mittels einer Kamera ist der Kamerastandort auf einen Zulässigkeitsbereich Z eingeschränkt. Dieser Bereich Z wird durch vier Ungleichungen beschrieben, in welche die Kameraparameter eingehen:

  1. εv(x,y,z) ≤ αv,
  2. εh(x,y,z) ≤ αh,
  3. ρ(x,y,z) = ≥ d = gmin – f,
  4. x > 0,

wobei αv der vertikale Bildwinkel, αh der horizontale Bildwinkel, gmin der minimale Objektabstand und f die fest fixierte Brennweite der Kamera sind.

Sucht man in diesem Bereich Z einen Standort, in dem der vertikale Sehwinkel εv bzw. der horizontale Sehwinkel εh des Objekts für die Kamera maximal ist, so liefert dies jeweils ein nichtlineares Optimierungsproblem, dessen Zielfunktion durch den zu maximierenden Sehwinkel und dessen Zulässigkeitsbereich durch Z gegeben ist. Will man dagegen für eine auf einem Kamerakran montierte Kamera einen Standort finden, in dem sowohl der vertikale als auch der horizontale Sehwinkel maximal sind, so führt dies auf die Lösung des Maximierungsproblems, bei dem beide Sehwinkel als Zielfunktionen simultan maximiert werden („multikriterielle Optimierung“).

Beschränkt man sich bei der simultanen Maximierung beider Sehwinkel εv und εh auf die x,y-Ebene, so wird der Rand des Zulässigkeitsbereichs Z durch zwei der folgenden drei Kreisbögen gebildet:

  1. Kd
    • ,
  2. Kh
    • ,
  3. Kv
    • ,

mit ηh = γh/tan(αh/2), wv = tan αv, xv = γv/wv, rv = γv·(1+wv2)1/2, ξv = xv + rv = γv/tan(αv/2), 0 < αh, αv < π.

Für die Bestimmung des Optimalitätsbereichs Os der simultanen Maximierung beider Sehwinkel εv und εh sind die drei Fälle I) 0 < αv < π/2, II) αv = π/2, III) π/2 < αv < π und dazu jeweils noch die Unterfälle zu unterscheiden, wie der Radius R:= max{d,ηh} zu den anderen beiden Parametern γv und ξv liegt. Im Fall I) mit γv < ξv sind dies die Unterfälle 1) R ≤ γv, 2) γv < R < ξv und 3) R ≥ ξv. Beispielsweise besteht in dem in der Praxis hauptsächlich auftretenden und in der Abbildung dargestellten Fall I.2) der Optimalitätsbereich Os aus den beiden Schnittpunkten S = (x*,y*) und Ŝ = (x*,-y*) der Kreisbögen KR und Kv.

Beispiele

BeispielBildwinkel in Grad (sortiert nach Maximum)BogenminutenGrößenvergleich (Bild)
Gesamtes Gesichtsfeld des gesunden menschlichen Auges
horizontal
vertikal

214°
130°–150°
Von der Erdoberfläche aus gesehen nimmt ein Regenbogen im Maximum einen Halbkreis ein.
horizontal
vertikal

84°
42°
Regenbogen mit 18-mm-Weitwinkelobjektiv.
Die eigene Faust mit ausgestrecktem Daumen am ausgestreckten Arm ca. 10° Abschätzen von Winkeln mit der Hand: 10°, 20°, 5°, 1°
Andromedagalaxie (fotografisch) ca.  186,2′ Fotomontage zum Größenvergleich mit dem Mond
die Breite des eigenen Daumens am ausgestreckten Arm 1,5–2°
der Bereich scharfen Sehens beim Menschen ca. 
Der Durchmesser des Vollmonds oder der Sonnenscheibe von der Erde aus betrachtet. ca. 0,5° ca. 32′ Scheinbare Größe von Sonne und Mond im Vergleich
Der Durchmesser des Landoltrings für einen Visus von 50 % 10′
Pferdekopfnebel ca. 8′
Kantenlänge des Hubble Ultra Deep Field ca. 3′
Tennisball in 100 m Entfernung ca. 2,5′
Venus in unterer Konjunktion 1,1′ Venustransit
Jupiter 29,8–50,1″ (Bogensekunden) Größenvergleich zum Mond
Internationale Raumstation 0,75′ = 45″ Größenvergleich zum Mond
Zum Vergleich: Auflösungsvermögen des bloßen menschlichen Auges unter idealen Bedingungen 0,5′ bis 1′
Saturn 18,5″ Saturn im Vergleich zum Mond bei einer Okkultation
Mars 13,9–24,2″ Größenvergleich zum Mond
Merkur 4,5-13,0″ Merkurtransit vor der Sonne
Schwarzes Loch in der Galaxie Messier 87 42 ± 3 Mikro-Bogensekunden wie ein Tennisball eines Astronauten auf dem Mond

Siehe auch

Literatur

  • Franz Pleier: Der optimale Standort für einen Fotografen. W-Seminararbeit am Kepler-Gymnasium Weiden/OPf., 2010

Einzelnachweise

  1. Bruce Goldstein: Wahrnehmungspsychologie – Der Grundkurs. 9. Auflage, Springer Verlag Berlin / Heidelberg 2015, S. 244.
  2. Siehe Gesichtswinkel im DWDS.
  3. Siehe Sehwinkel im Duden.
  4. Vergleiche Sehwinkel im DocCheck-Flexikon.
  5. Georg Eisner: Perspektive und Visuelles System – Wege zur Wahrnehmung des Raumes. S. 120.
  6. simbad.u-strasbg.fr
  7. baader-planetarium.de
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