Scheinkonturen sind Sinnestäuschungen, bei denen visuelle Konturen wahrgenommen werden, die keine physikalische Ursache haben. Somit gehören die Scheinkonturen zur Gruppe der optischen Täuschungen. Bei dem Phänomen der Scheinkonturen werden die jeweils zugrunde liegenden mehrdeutigen Situationen vom Gehirn falsch interpretiert.

Eine erste Beschreibung der Scheinkonturen stammt von dem Psychologen Friedrich Schumann in seiner Arbeit über die Gesichtswahrnehmung. Scheinkonturen lassen mitunter schon anhand einzelner Punkte ein unvollständiges Objekt in seiner Gesamtausprägung erkennen. Die fehlenden Bildinformationen werden hierbei durch das menschliche Gehirn automatisch ergänzt.

Untersuchungen haben ergeben, dass Scheinkonturen auch in Gehirnen von Tieren unterschiedlicher Evolutionsstufen (Säugetiere, Vögel und Insekten) wahrgenommen werden.

Kanizsa-Dreieck und analoge Figuren

Als eines der bedeutendsten Beispiele für das Phänomen der Scheinkonturen präsentierte der italienische Künstler und Gestaltpsychologe Gaetano Kanizsa das nach ihm benannte Kanizsa-Dreieck. In Abbildung 1 wurde aus drei Kreisen je ein 60°-Segment so entfernt, dass das menschliche Wahrnehmungssystem die Gestalt eines gleichseitigen Dreiecks erwarten lässt und es auch als solches erkennt, obwohl real keine Umfangskonturen existieren.

In Anlehnung an das Phänomen des Kanizsa-Dreiecks zeigt Abbildung 2 die Scheinkonturen eines Quadrats, welches durch das Entfernen eines 90°-Segments aus jedem der vier Kreise entsteht. Bei Verkleinerung bzw. Vergrößerung des rechten Winkels entstehen Verformungen der Quadratseiten nach innen bzw. nach außen, wie man in den Abbildungen 3 und 4 erkennt.

Die linke Figur in Abbildung 5 lässt in der Mitte die Scheinkonturen eines Quadrats erkennen. Dagegen beweist die rechte Figur, dass die Formen, welche die scheinbaren Konturen sichtbar erscheinen lassen, nicht beliebig gewählt werden können. Hier sind beispielsweise die umgebenden schwarzen Gestaltelemente zu dünn und verhindern deshalb die Scheinwahrnehmung des Quadrats.

Neon-Effekt

Weitere Scheinkonturen werden beim Neon-Effekt sichtbar. Gehen farbige Linien eines Objekts nahtlos in Linien eines größeren, z. B. schwarzen oder grauen, Objekts über, so wird der Hintergrund der farbigen Linien als ein blasser neonartig schimmernder Bereich wahrgenommen, obwohl dieser keine realen Konturen besitzt (Abbildungen 5 bis 7).

Literatur

  • Tai Sing Lee, My Nguyen: Dynamics of subjective contour formation in the early visual cortex, Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America February 13, 2001, 98 (4), pages 1907–1911
  • R. von der Heydt, E. Peterhans, G. Baumgartner, G. (1984): Illusory contours and cortical neuron responses, Science 224, pages 1260–1262
  • Jürg Nänni: Visuelle Wahrnehmung / Visual Perception. Niggli Verlag, Sulgen/Zürich 2008, ISBN 978-3-7212-0618-0.

Einzelnachweise

  1. Friedrich Schumann: Beiträge zur Analyse der Gesichtswahrnehmungen. Erste Abhandlung: Einige Beobachtungen über die Zusammenfassung von Gesichtseindrücken zu Einheiten, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Jahrgang 1900, Ausgabe 23, Seiten 1 bis 32
  2. Maschinelles Sehen: der neue Stand der Technik aus healthcare-in-europe.com, abgerufen am 11. Januar 2022
  3. Die Wahrnehmung von Scheinkonturen - Wie sich das Gehirn Illusionen macht, De Gruyter vom 14. Juli 2017, abgerufen am 11. Januar 2022
  4. Erfundene Konturen oder: Pacman trifft Weihnachtsbaum aus diesseits.de, abgerufen am 11. Januar 2022
  5. Marlene Schnelle-Schneyder: Sehen und Photographie - Ästhetik und Bild, Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2003, 2011, ISBN 978-3-642-15149-1, Seiten 111 und 112
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