Spannenlanger Hansel ist ein Kinderreim und Volkslied in deutscher Sprache, die Autoren sind unbekannt.

Geschichte

Karl Simrock veröffentlichte den Text 1848, Georg Scherer 1849 unter dem Titel Wie Hansel und Gretel Birn’ schütteln. Der österreichische Schriftsteller Joseph Rank zitiert den Kinderreim 1853 in seiner Erzählung Die Kinderpredigt. Ignaz Vinzenz Zingerle veröffentlichte 1857 die in Tirol aufgezeichnete Textvariante „Daumenlanger Hansel“. Maria Vinzenz Süß hatte 1865 in seinen Salzburgischen Volksliedern eine Fassung in österreichischer Mundart abgedruckt:

Damlånga Hansl,
Nudldikö Diarn!
Geh mit miar en Gårt’n,
Schütl ma dö Biarn!
Schütlst du dö groß’n,
Schütl i dö kloan
Und wånn ma ’s Sakarl vol håbmt
So gehma wieda hoam.

Franz Magnus Böhme zitiert diese Fassung 1897 mit dem Herkunftsvermerk „salzburgisch“. Hermann Frischbier veröffentlichte 1867 in den Preußischen Volksreimen und Volksspielen eine hochdeutsche Textfassung mit der Herkunftsangabe Dönhoffstädt in Ostpreußen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts findet sich das Lied häufig in Schulliederbüchern. 1911 wurde das Lied mit anderer Melodie im Badischen Liederbuch abgedruckt.

Die genaue Herkunft des Reims ist demnach unklar. Oft wird eine Herkunft im salzburgischen bzw. alpenländischen Raum vermutet. Wenn dies stimmen sollte, ist möglicherweise die Textvariante „Daumenlanger Hansl“ die ursprüngliche Form, die in Österreich auch bis heute noch verbreitet ist. Allerdings existieren ähnlich alte Textzeugen auch aus anderen Gegenden des deutschsprachigen Raums. In den ältesten bislang bekannten Nachweisen von Simrock (1848) und Scherer (1849) finden sich leider keine detaillierten Herkunftsangaben.

Es fällt auf, dass in den frühesten Drucken des 19. Jahrhunderts immer nur die erste Strophe erscheint. Die zweite Strophe erscheint erstmals in den 1870er Jahren in gedruckter Form und ist möglicherweise eine Hinzufügung jüngeren Datums.

Melodie und Text

Spannenlanger Hansel,
nudeldicke Dirn’,
gehn wir in den Garten,
schütteln wir die Birn’.
Schüttle ich die großen,
schüttelst du die klein’,
wenn das Säcklein voll ist,
gehn wir wieder heim.

Lauf doch nicht so närrisch,
spannenlanger Hans!
Ich verlier’ die Birnen
und die Schuh noch ganz.
Trägst ja nur die kleinen,
nudeldicke Dirn,
und ich schlepp den schweren Sack
mit den großen Birn’.

Inhalt

Das Lied ist vordergründig ein Jahreszeitenlied, das von der Obsternte bei Herbstbeginn handelt. Dabei wurden in früheren Zeiten die Birnen vom Baum geschüttelt und dann als Fallobst aufgelesen.

Nicht ganz klar scheint zu sein, wie die Relation zwischen den beiden Figuren des Lieds zu deuten ist. In modernen Illustrationen wird häufig das komisch wirkende Gegensatzpaar eines hochgewachsenen, leptosomen Knaben oder Mannes und eines kleinen dicklichen Mädchens bzw. Frau dargestellt. Während sich „nudeldick“ vom Nudeln und davon dick gewordenen Masttieren ableitet, scheint bei „spannenlang“ das originale Verständnis verlorengegangen zu sein, denn das Adjektiv bezieht sich ursprünglich auf die Länge der Handspanne, also ein verhältnismäßig kleines Maß. Franz Branky weist schon 1877 darauf hin, dass der Hans des Liedes „in zwergenhafter Gestalt, aber dennoch mächtig und stark“ erscheint und somit an die Märchenfiguren Daumesdick oder Däumling erinnere. Auch in den Illustrationen von Moritz von Schwind und Eugen Neureuther in Georg Scherers Liederbuch (1849) sind beide Figuren als ausgesprochen klein dargestellt.

In demselben Sinn wird der Begriff „spanne(n)lang“ auch in dem pfälzisch-hessischen Lied vom spannelange Mann gebraucht, das vom sagenumwobenen Pankratiusbrünnchen handelt, aus dem alle neugeborenen Mainzer stammen sollen. Die Titelfigur des „Dip(pe)che“ definiert das Pfälzische Wörterbuch als „kleiner Mann“.

Aus dem Pankratiusbrinnche
kam einst, nur spannelang,
ähn klaner Knirps geschwumme,
der wie e Flötche sang:
  Dudel dudel Dipche,
  hört, was der Knirps nit kann,
  dudel dudel Dipche,
  fängt er zu singen an.

[…]

  Dudel dudel Dipche,
  spannelanger Mann,
  fing er laut zu singe
  selbst beim Lehrer an.

Wie häufig in der Volkspoesie stellt sich die Frage nach einem versteckten oder verschütteten erotischen Subtext. Ernest Bornemann zählt das Lied zu den „verbotenen“ Versen, „die Kinder meist nur in der Abwesenheit der Erwachsenen zitieren“, und bezieht sich dabei auf eine Textfassung, die 1970 bei einem siebenjährigen Mädchen aus Wolfsburg aufgezeichnet wurde:

„Spannenlanger Hansel“,
Sagt die nudeldicke Dirn,
„Komm mit in den Garten,
Schüttel meine Birn’!
Schüttel meine Feige,
Schüttel meine Pflaum,
Schüttel, bis wir schlafen gehn
Unterm Apfelbaum!“
Spannenlanger Hansel,
Nudeldicke Gret,
Gingen in den Garten,
Schliefen im Mistbeet.

Unverkennbar erotische Züge zeigt ein fränkisches Volkslied, das mit dem Lied vom spannenlangen Hansel thematisch eng verwandt scheint.

Bei der Nacht schütt’l ich meine Birn,
Fall’ns, oder fallens nit?
Heut geh’ ich zu mein Dirn:
Will’s, oder will’es nit?
Geh’ wohl über Berg und Thal,
Ist mir kein Weg zu schmal;
Zu mein Schätzlein will ich gehn
All’ Wochen siebenmal.

Rezeption

Das Lied wird in Kindergärten oft als bewegtes Singspiel ausgeführt.

Der Komponist Carl Reinecke vertonte 1860 den Text der ersten Strophe unter dem Titel Wie Hansel und Gretel Birnen schütteln im 3. Heft seiner Kinderlieder mit Klavierbegleitung (op. 75). Die Vertonung entstand eigenständig und hat keine Ähnlichkeit mit der heute verbreiteten Melodie.

Das Lied wurde 1995 von der Popsängerin Nena auf ihrem Kinderliedalbum Unser Apfelhaus aufgenommen. Die Frankfurter a-cappella-Gruppe U-Bahn-Kontrollöre in tiefgefrorenen Frauenkleidern nahm 2007 eine Reggae-Fassung für den Kinderlied-Sampler Zuckerschnecksche, Prinzje & Co auf.

In der deutschen Übersetzung von Band 4 der Otherland-Romanserie Meer des silbernen Lichts von Tad Williams werden der spannenlange Hansel und die nudeldicke Dirn als Personen eingeführt. Der englische Originaltext bezieht sich an dieser Stelle auf den Kinderreim Jack Sprat.

Einzelnachweise

  1. Karl Simrock: Das deutsche Kinderbuch. Brönner, Frankfurt am Main 1848, S. 85 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  2. 1 2 Georg Scherer: Alte und neue Kinderlieder, Fabeln, Sprüche und Räthsel. Mayer, Leipzig 1849, S. 110 f. (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  3. Josef Rank: Geschichten armer Leute. Mäcken, Stuttgart 1853, S. 81 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  4. Ignaz Vinzenz Zingerle: Sitten, Bräuche und Meinungen des Tiroler Volkes. Wagner, Innsbruck 1857, S. 166 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  5. Maria Vinzenz Süß: Salzburgische Volkslieder mit ihren Singweisen. Mayrische Buchhandlung, Salzburg 1865, S. 19 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  6. Franz Magnus Böhme: Deutsches Kinderlied und Kinderspiel. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1897, S. 196 (Digitalisat).
  7. Hermann Frischbier: Preußische Volksreime und Volksspiele. Enslin, Berlin 1867, S. 151 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  8. 1 2 3 Theo Mang, Sunhilt Mang (Hrsg.): Der Liederquell. Noetzel, Wilhelmshaven 2007, ISBN 978-3-7959-0850-8, S. 696.
  9. deutscheslied.com
  10. Otto Autenrieth: Badisches Liederbuch für die Schule und Familie. Konkordia, Bühl 1911. Zitiert bei: Theo Mang, Sunhilt Mang (Hrsg.): Der Liederquell. Noetzel, Wilhelmshaven 2007, ISBN 978-3-7959-0850-8, S. 696.
  11. 1 2 Anne Diekmann (Hrsg.), Tomi Ungerer (Ill.): Das große Liederbuch. Diogenes, Zürich 1975, ISBN 3-257-00947-X, S. 131.
  12. Anton Hofer: Sprüche, Spiele und Lieder der Kinder (= Corpus musicae popularis Austriacae Band 16). Böhlau, Wien 2004, ISBN 3-205-98857-4, S. 89 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  13. 1 2 Franz Branky: Hans. Volksüberlieferungen aus Nieder-Österreich. In: Zeitschrift fur deutsche Philologie. Beiheft, Band 8, 1877, S. 73–101, hier S. 86 (Digitalisat). Dort in der Fußnote Verweis auf den Aufsatz Ein österreichischer Schulmeister [Johann Wurth] von Karl Landsteiner im 22. Jahresbericht des Josefstädter Gymnasiums, 1871.
  14. Melodie und Text zitiert nach: Ingeborg Weber-Kellermann: Das Buch der Kinderlieder. Schott, Mainz, 1997, 2010, ISBN 978-3-254-08370-8, S. 94
  15. 1 2 Spannenlanger Hansel im Liederprojekt von Carus-Verlag und SWR2
  16. nudeldick, adj.. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Hrsg.): Deutsches Wörterbuch. Band 13: N, O, P, Q – (VII). S. Hirzel, Leipzig 1889 (woerterbuchnetz.de).
  17. spannenlang, adj.. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Hrsg.): Deutsches Wörterbuch. Band 16: Seeleben–Sprechen – (X, 1. Abteilung). S. Hirzel, Leipzig 1905 (woerterbuchnetz.de).
  18. Pfälzisches Wörterbuch Band 2 (D–F) 1975, Sp. 293 (woerterbuchnetz.de).
  19. Hessische Blätter für Volkskunde, Band 46, S. 85 f. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  20. Ernest Bornemann: Die Umwelt des Kindes im Spiegel seiner verbotenen Lieder, Reime, Verse und Rätsel. Walter, Olten 1974, S. 15 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  21. Ernest Bornemann: Die Umwelt des Kindes im Spiegel seiner verbotenen Lieder, Reime, Verse und Rätsel. Walter, Olten 1974, S. 161 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  22. Franz Wilhelm von Ditfurth: Fränkische Volkslieder mit ihren zweistimmigen Weisen, wie sie vom Volke gesungen werden. Band 2: Weltliche Lieder. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1855, S. 130 f. (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  23. Kinderlieder von Carl Reinecke: Noten und Audiodateien im International Music Score Library Project
  24. Carl-Reinecke-Werkverzeichnis
  25. Nena Diskografie: Unser Apfelhaus
  26. U-Bahn Kontrolloere – Spannenlanger Hansel auf YouTube
  27. Zuckerschnecksche, Prinzje & Co (Memento des Originals vom 5. März 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  28. Tad Williams: Otherland. Meer des silbernen Lichts. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring. Klett-Cotta, Stuttgart 2002, ISBN 3-608-93424-3, S. 780 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  29. vgl. Jack Sprat in der englischen Wikipedia
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