Sussy Dakaro oder Tagarah ist der gebräuchliche Name einer Frau (* um 1868 Palm-Island-Inselgruppe, Queensland, Australien; † 23. Juni 1885 in Elberfeld), die von einem Menschenhändler 1882 aus ihrer Heimat auf Great Palm Island vor Australien entführt und in den Vereinigten Staaten und Europa als lebendes Ausstellungsstück einer Völkerschau vorgeführt wurde.

Leben

Entführung

Die Frau, deren Name nicht gesichert ist, wurde um 1868 als Angehörige der Aborigines auf der Palm-Island-Inselgruppe geboren. Ende 1882, im Alter von etwa 14 Jahren, wurde sie gemeinsam mit ihrem Partner Kukamunburra, der als „Tambo“ bezeichnet wurde, und sieben weiteren Personen entführt. Sie dürften den auf den Palm Islands und Hinchinbrook Island lebenden Manbarra angehört haben. Ein Kanadier namens Robert A. Cunningham war 1882 nach Australien gekommen in der Absicht, Ureinwohner zu entführen und als lebende Attraktionen auszubeuten, mutmaßlich im Auftrag des US-amerikanischen Schaustellers und Zirkuspioniers P. T. Barnum, der exotisch aussehende Menschen für seine geplante Völkerschau suchte. Das zum Teil gewaltsame Anwerben australischer Ureinwohner als billige Arbeitskräfte war zu diesem Zeitpunkt bereits gesetzlich beschränkt. Es war Cunningham bald gelungen, mit Duldung der lokalen Regierung in Darwin „fünf schöne Exemplare“ unter seine Kontrolle zu bringen. Jedoch verdarb ihm ein örtlicher Polizeiinspektor den Plan: dieser gab den Ureinwohnern zu verstehen, dass sie ihre Heimat niemals wiedersehen würden, worauf sie die Flucht ergriffen. In Townsville heuerte Cunningham ein Boot und Seeleute an, um mit Ureinwohnern Handel zu treiben und dabei Ausschau nach neuen Opfern zu halten. Von dieser Unternehmung brachte er neun Ureinwohner, sechs Männer, zwei Frauen, und einen Jungen, nach Sydney, wobei die genauen Umstände dieser Anwerbung unklar blieben. Neben Sussy Dakaro und ihrem Partner Kukamunburra (Tambo) gehörten ein Ehepaar mit den Rufnamen „Jenny“ und „Toby“, deren Sohn, ebenfalls „Toby“ genannt, sowie „Jimmy“, „Bob“ und „Billy“ (tatsächliche Namen unbekannt) zu der Gruppe. Die Zuordnung dieser Rufnamen zu bestimmten Personen ist nicht völlig gesichert. In Sydney wollte Cunningham auf das nächste Dampfschiff in die Vereinigten Staaten warten.

Fluchtversuch in Sydney

Als während der Wartezeit in Sydney zwei Männer aus der Gruppe flohen, suchte Cunningham nach ihnen, unter anderem mit öffentlichen Aushängen „Aborigines entlaufen“. Ein Polizist wollte die beiden Flüchtigen ergreifen. Dabei kam es zu Widerstandshandlungen, bei denen der Polizist durch einen Messerstich verletzt wurde. Dies endete mit der Festnahme der beiden Flüchtigen. Die beiden Männer waren bei ihrer Festnahme nackt, lediglich einer trug ein Hemd. Möglicherweise hatte Cunningham ihnen die Kleider abgenommen, um ihre Flucht zu erschweren. Am 20. Februar 1883 wurden die beiden Männer einem Richter vorgeführt. Hier gab sich Cunningham als Agent P. T. Barnums zu erkennen. Der Richter befand, dass der Verdacht der Entführung der beiden Männer bestehe, und ordnete eine Untersuchung an. Der Fall erregte Aufsehen, als sich der örtliche Vorsitzende des Aboriginal Protection Board und die Presse einschalteten. Die Zeitung „Evening News“ schrieb, es sei nicht akzeptabel, dass Sydney zum „Zwischenlager eines Menschenraubgeschäfts“ werde. Letztlich gelang es Cunningham jedoch, die Bedenken zu zerstreuen. Die Verletzung des Polizisten wurde nicht weiterverfolgt mit der auffälligen Begründung, man könne sich mit dem Beschuldigten nicht verständigen und ihm den Tatvorwurf nicht eröffnen. Zwei der Männer, die Englisch verstanden, gaben zu verstehen, freiwillig mit Cunningham zu reisen, die anderen Personen konnten mangels Verständigung nicht befragt werden. Es war jedoch offensichtlich, dass sie keine Vorstellung davon hatten, wohin sie gebracht werden sollten.

Auftritte in Nordamerika

In den USA angekommen, wurde die Gruppe der wandernden Völkerschau von P. T. Barnums Zirkustournee „Ethnological Congress of Strange Tribes“ hinzugefügt, jedoch von Cunningham auch unabhängig davon weiter vermarktet. So ließ Cunningham sie zusätzlich auch in Vergnügungsstätten und Kuriositätenkabinetten aller Art auftreten. Dazu wurde sie von Cunningham, den Erwartungen des Publikums entsprechend, als Wilde dekoriert und inszeniert, unter anderem ließ er Piercings aus Knochen an ihren Körpern anbringen und sie kulturfremde, vermutlich von ihm erfundene Tänze aufführen. Sussy Dakaro wurde von Cunningham als „Prinzessin Tagarah, Tochter des Kannibalenkönigs von Nordqueensland“ angepriesen.

Kukamunburras Tod

Durch die allgemein schlechte Behandlung, die die australischen Ureinwohner erfuhren, verstarben zwei Personen aus der Gruppe, zuerst Kukamunburra, noch in den USA. Letzterer brach am 23. Februar 1884 in Cleveland, Ohio, zusammen. Ein Arzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Als Todesursache kamen eine Lungenentzündung oder Tuberkulose in Betracht, nach Einschätzung eines Journalisten der Zeitung „Cleveland Evening News“ Folge der erzwungenen Lebensweise. Kukamunburra wurde ungefähr einundzwanzig Jahre alt. Sussy Dakaro betrauerte ihn sichtbar und weigerte sich tagelang zu essen. Cunningham unterband Versuche der Aborigines, ihre Sterberituale durchzuführen. Mit Barnums Zustimmung wurde der Körper präpariert und letzten Endes bis ins 20. Jahrhundert hinein in einem Kuriositätenkabinett zur Schau gestellt. Den Australiern gegenüber wurde angegeben, er sei sofort beerdigt worden. Nach ihm starb ein weiterer Mann, dessen Name unbekannt blieb. Tuberkulose war unter reisenden Zirkusleuten eine verbreitete Krankheit und es kann angenommen werden, dass auch die Erkrankten ununterbrochen zu weiteren Auftritten genötigt wurden und die Einnahme ihnen unbekannter Medizin verweigerten. Kukamunburra konnte auf einem Gruppenfoto vom 2. Januar 1884 identifiziert werden.

Auftritte in Europa

Cunningham brachte die durch die Todesfälle geschrumpfte Gruppe Anfang 1884 nach Westeuropa, obwohl sie auch in diesem Jahr für die Tournee Barnums vorgesehen war. Vermutlich wollte er seine Unabhängigkeit von Barnum bewahren und seine Gewinnmarge erhöhen. Auch Barnums Politik, verletzte und kranke Darsteller grundsätzlich in Krankenhäuser einzuliefern, könnte bei diesen Überlegungen eine Rolle gespielt haben. In Europa erweckte die Gruppe großes wissenschaftliches und pseudowissenschaftliches Interesse. Rudolf Virchow befasste sich mit den Australiern, es wurden Gipsabgüsse ihrer Körper gefertigt, die noch heute im Museum für Völkerkunde Dresden aufbewahrt werden. Die Zeitschrift Das Buch für Alle - Illustrirte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung. Für die Familie und Jedermann. berichtete 1885 über die Auftritte der „Australneger“ in Berlin.

Sussy Dakaros Tod

Im Juni 1885 erreichte die Gruppe das heutige Wuppertal, wo sie als „Kannibalen“ mit Bumerangs im Zoo von Elberfeld vorgeführt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Sussy Dakaro bereits schwer erkrankt, vermutlich an Tuberkulose. Sie verstarb am 23. Juni 1885 in Elberfeld und wurde auf einem Friedhof in Sonnborn beigesetzt. In der Sterbeurkunde ist als Todesursache „Anämie“ vermerkt. Sie soll zum Zeitpunkt ihres Todes etwa siebzehn Jahre alt gewesen sein.

Weiteres Schicksal der Gruppe

Über das weitere Schicksal der Gruppenmitglieder bestehen keine gesicherten Erkenntnisse, jedoch kehrte keines von ihnen nachweisbar in seine Heimat zurück. Es wird angenommen, dass sie weiter zur Schau gestellt wurden und dabei schließlich den Tod fanden. Da Cunningham 1892 eine weitere Gruppe Ureinwohner von Australien wegbrachte, liegt nahe, dass die Mitglieder seiner ersten Gruppe verstorben waren. Nachgewiesen ist, dass „Bob“ am 7. November 1884 in Chemnitz und „Jimmy“ am 31. Mai 1885 im städtischen Hospital Darmstadt im Alter von 23 Jahren starb.

Wissenschaftliche Aufarbeitung

Die australische Ethnologin Roslyn Poignant recherchierte das Schicksal der aus Great Palm Island entführten Gruppe und veröffentlichte ihre Ergebnisse in dem 2004 erschienenen Buch Professional Savages. Es gelang ihr, in Paris entstandene Fotos der Gruppe ausfindig zu machen, Personen zu identifizieren, und die Bilder nach Australien zu bringen. Ferner identifizierte sie den 1993 in Cleveland aufgefundenen Leichnam Kukamunburras und leitete seine Rückführung in die Heimat ein. Die Rückholung und Bestattung war Gegenstand der Ausstellung Captive Lives: looking for Tambo and his companions der National Library of Australia.

Gedenken

Der im August 1993 bei der Auflösung eines Beerdigungsinstituts in Cleveland, Ohio, aufgefundene Leichnam Kukamunburras wurde im Dezember 1993 mit einer Zeremonie in Anwesenheit der konsularischen Vertretung Australiens an Angehörige seines Stammes übergeben. 1994 traf er in Great Palm Island ein und wurde dort am 23. Februar nach den Gebräuchen seines Volkes bestattet. Sussy Dakaros Grab befindet sich noch immer auf dem Friedhof von Sonnborn. Dort erinnert seit Mai 2017 ein Gedenkstein an ihr Schicksal. Seither wurden wiederholt Pläne diskutiert, sie zu exhumieren und ebenfalls in ihrer Heimat zu bestatten. Es wurden Zweifel geäußert, ob dies nach einer Liegezeit von über 130 Jahren möglich und sinnvoll ist. Daher wurde auch die symbolische Überbringung von Erde aus dem Grab in Betracht gezogen.

Literatur

Einzelnachweise

  1. 1 2 Die Australneger in Berlin, „Das Buch Für Alle.“ Schönlein, 1885. Print, veröffentlicht von der Herzogin Anna Amlia Bibliothek, Stiftung Klassik Weimar, abgerufen am 21. August 2022
  2. Aboriginal and Torres Strait Islander peoples – Palm Island, Hrsg.: Queensland Government, abgerufen am 16. März 2022
  3. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. Yale University Press, 2004, ISBN 978-0-300-10247-5, S. 63.
  4. 1 2 Carolyn Barry: The strange tale of Aboriginal circus performers. Australian Geographic, 8. Juni 2012, abgerufen am 15. März 2022.
  5. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. Yale University Press, 2004, ISBN 978-0-300-10247-5, S. 67 ff.
  6. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. Yale University Press, 2004, ISBN 978-0-300-10247-5, S. 72.
  7. 1 2 Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. Yale University Press, 2004, ISBN 978-0-300-10247-5, S. 9.
  8. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. Yale University Press, 2004, ISBN 978-0-300-10247-5, S. 69 ff.
  9. 1 2 3 Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. Yale University Press, 2004, ISBN 978-0-300-10247-5, S. 106 ff.
  10. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. Yale University Press, 2004, ISBN 978-0-300-10247-5, S. 90.
  11. 1 2 Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. Yale University Press, 2004, ISBN 978-0-300-10247-5, S. 1.
  12. Kulasegaram Sanchayan: An indigenous Australian, Jimmy Tambo, is laid to rest (Audiobeitrag in Tamil). Special Broadcasting Service, 16. März 2015, abgerufen am 16. März 2022 (englisch, Tamil).
  13. 1 2 Elias Dehnen: Verschleppt, vorgeführt – aber nicht vergessen. In: Der Spiegel. 15. März 2022, abgerufen am 15. März 2022.
  14. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. Yale University Press, 2004, ISBN 978-0-300-10247-5, S. 160.
  15. Lorena Allam: ‘It’ll certainly intrigue people’: roadside art tells hard truths about Indigenous history. In: The Guardian. 6. August 2021, abgerufen am 16. März 2022 (englisch).
  16. Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. Yale University Press, 2004, ISBN 978-0-300-10247-5, S. 144.
  17. Standesamt Darmstadt, Sterbenebenregister 1885 Band 1, Nr. 391, veröffentlicht im Archivinformationssystem Hessen, abgerufen am 25. August 2022
  18. Martin Thomas: Roslyn Poignant obituary. In: The Guardian. 16. Dezember 2019, abgerufen am 15. März 2022 (englisch).
  19. Boomerang thrower going home. In: Elyria Chronicle Telegram, S. 23, newspaperarchive.com. 9. Dezember 1993, abgerufen am 16. März 2022 (englisch).
  20. Thomas, Leo. & North Queensland News Bureau. 1994, Return of Tambo's body for ceremonial re-burial, Palm Island, Queensland, 23 February 1994 picture / Leo Thomas
  21. Das Schicksal eines Aborigine-Mädchens. In: Westdeutsche Zeitung. 3. Juli 2017, abgerufen am 15. März 2022.
  22. „Völkerschau“ im Zoo Wuppertal – Ein Gedenkstein für „Sussy Dakaro“. Deutschlandfunk, 3. Juli 2017, abgerufen am 15. März 2022.
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