Die Swing-Jugend war eine oppositionelle Jugendkultur und Generation in vielen deutschen Großstädten während der Zeit des Nationalsozialismus, besonders in Hamburg, Frankfurt und Berlin – nach dem Anschluss Österreichs 1938 auch dort sowie ab 1939 im Protektorat Böhmen und Mähren. Sie bestand aus Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren meist aus dem Mittelstand und dem gehobenen Bürgertum, Gymnasiasten aus wohlhabenden Familien, aber auch aus Lehrlingen und Schülern aus Arbeiterfamilien. Die Swing-Jugend suchte im amerikanisch-englischen Lebensstil, vor allem in der Swing-Musik und dem Swing-Tanz, eine autonome Ausdrucksmöglichkeit und Abgrenzung zum Nationalsozialismus, hauptsächlich gegen die Hitlerjugend.

Begriff

Der Begriff Swing-Jugend stammt vermutlich ursprünglich von nationalsozialistischen Strafverfolgungsbehörden zur Kennzeichnung von Jugendlichen, die ihre Begeisterung für amerikanische Swing-Musik offen zeigten. Daneben existierten auch die Begriffe „Swings“ oder „Swingheinis“. Sie selbst gaben sich Spitznamen wie „Swing-Boy“, „Swing-Girl“ oder „Old-Hot-Boy“. Eine abwertende Benennung in Deutschland war „Tangobubi“.

In Österreich war der Begriff Schlurf verbreitet, eine bis heute gebrauchte abwertende Bezeichnung für einen ungepflegten Mann mit Haaren, die im Nacken bis zum Hemdkragen reichen. In Bezug auf die österreichische Swing-Jugend wurde dieses Schimpfwort allerdings wertneutral als Selbstbezeichnung verwendet. Die Wiener Schlurfs, die großteils aus den Arbeiterbezirken Wiens stammten, waren an Kleidung, Hut, pomadisierter Haartracht, Vorliebe für amerikanische Musik samt zugehöriger Modetänze und die Bevorzugung bestimmter öffentlicher Plätze als Treffpunkte erkennbar und fielen dadurch in der Öffentlichkeit auf.

Eine Parallele in Stil und Ausdrucksformen gibt es ebenso zu den Zazous in Frankreich. Ähnliche Gegenbewegungen waren die Leipziger Meuten oder die Edelweißpiraten.

Der tschechische Schriftsteller Josef Škvorecký schreibt in mehreren seiner Bücher, u. a. in Eine prima Saison, über seine Jugend im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren über eine ähnliche jugendliche Subkultur. Typisch in seinen Erzählungen sind Situationen von vor den Nazi-Behörden geheimgehaltenen Jazzkonzerten, Verhören, und Versuchen, Songtexte und Songtitel von Jazzklassikern vor der Zensur zu retten, indem man ihnen harmlose Titel oder auf dem Papier den Anschein von Volksliedern gab.

Geschichte

Die Swing-Jugend ist ein zunächst im Hamburger Bildungs- und Großbürgertum auftretendes Phänomen. Die Anhänger versuchten sich durch eine Gegenkultur und auffällige, dem anglo-amerikanischen Stil nachempfundene Kleidung abzugrenzen. Zunächst durch Treffen mit Swingmusik. Sie organisierten Tanzveranstaltungen und engagierten Jazzbands. Auf Swing-Hits dichteten sie Spottverse, in denen sie sich über Nazis, Soldaten und besonders über die unbeliebte Hitlerjugend lustig machten. Sie trugen englische Mäntel und Hüte, lasen ausländische Zeitungen und grüßten sich untereinander mit „Swing heil!“ statt mit „Sieg Heil!“. Die Swings hatten oft lange Haare, karierte Sakkos, Hut und Regenschirm und trafen sich in Cafés oder Clubs, um Swing zu hören, und nutzten Anglizismen.

Ab dem Kriegsjahr 1943, als die Oberschüler der Jahrgänge 1926 bis 1928 nacheinander als Luftwaffenhelfer eingezogen wurden, bildeten sich auch in Flak-Batterien lose Gruppen von Swing-Fans. So bildete der Flakturm VI in Wilhelmsburg den Treffpunkt der „Pfennigbande“, eine Gruppe Jugendlicher, die als Erkennungszeichen einen Pfennig mit dem herausgekratzten Hakenkreuz am Jackenaufschlag trugen. In Berlin war das nachts nur für Wehrmachts­angehörige geöffnete Varieté Haus Vaterland am Potsdamer Platz ein Geheimtipp für die Luftwaffenhelfer vom Flakturm Zoo, denn dort spielte das populäre Tanzorchester Kurt Widmann in traditioneller Bigband-Besetzung amerikanischen Swing, der unter harmlos klingenden deutschen Titelnamen angesagt wurde. („In the mood“ hieß „Gut aufgelegt“.)

Auch in anderen Städten im Deutschen Reich trafen sich Jugendliche, um Swingmusik zu hören und in anglo-amerikanisch angehauchter Kleidung tanzen zu gehen. Unter anderem gibt es eine wissenschaftliche Studie über die Swing-Jugend in Bremen.

Jugendkultur auf dem Weg zur Opposition

Die Mitglieder der Swing-Jugend waren wie die Edelweißpiraten zunächst unpolitisch. Sie drückten ihren Widerspruch zum Nationalsozialismus durch zivilen Ungehorsam aus, indem sie offen eine andere als die nationalsozialistische Jugendkultur lebten. Ohne dezidiert politisch-oppositionell eingestellt zu sein, wichen sie nur durch ihr Aussehen und Verhalten stark vom nationalsozialistischen Vorbild der Jugend ab. Durch die forcierte gewalttätige Verfolgung der Swing-Cliquen durch die Gestapo und den HJ-Streifendienst in Zusammenarbeit mit dem Oberschulrat und Senatsrat Albert Henze politisierten sich ab 1940 Teile der Swing-Jugend.

Die 1940 erlassene „Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend“ verbot Jugendlichen unter 18 Jahren den Besuch „öffentlicher Tanzlustbarkeiten“. In der Folge veranstalteten die Swings vermehrt selbst private Partys mit Swing- und Jazzmusik.

Am 18. August 1941 trat die „Sofort-Aktion gegen die Swing-Jugend“ in Kraft, so wurden über 300 Angehörige der Swing-Jugend verhaftet. Die Repressionen reichten vom Abschneiden der langen Haare über Schutzhaft und Schulverweise bis zur Verhaftung angeblicher Rädelsführer und deren Deportation in Konzentrationslager. Die Verhaftungswelle hatte zur Folge, dass einige Swing-Jugendliche begannen, den Nationalsozialismus auch politisch abzulehnen. Sie verteilten beispielsweise regimekritische Flugblätter.

Im Januar 1943 wurde Günter Discher als „Rädelsführer“ der Swing-Jugend eingestuft und in das Jugendkonzentrationslager Moringen eingewiesen.

Kontakt zur Weißen Rose

Während der zunehmend schärferen Verfolgung kamen einige Swingboys mit dem Hamburger Zweig der Weißen Rose in Kontakt. Mitglieder der Weißen Rose sympathisierten teilweise mit dem Lebensstil der Swing-Jugend, insbesondere mit der Musikrichtung. Es bestand unter anderem eine persönliche Verbindung, da Bruno Himpkamp ein Nachhilfeschüler von Hans Leipelt gewesen war. Im Mai 1943 verstärkten sich die Kontakte durch gemeinsame Diskussionen und Planungen.

Zu einer konkreten Zusammenarbeit kam es nicht, da eine erneute Verhaftungswelle gegen die Swingjugend einsetzte, während der auch Himpkamp und zwei seiner Freunde, Gerd Spitzbart und Thorsten Müller, festgenommen wurden. Diese drei wurden über den Vorwurf der Zersetzung der deutschen Jugend hinaus wegen Hochverrats, staatsfeindlicher Propaganda und Wehrkraftzersetzung vor dem Volksgerichtshof angeklagt. Der Prozess fand am 19. April 1945 in Hamburg statt, während die englischen Truppen bereits nahe der Stadt waren. Vorgeführt werden konnte lediglich Thorsten Müller. Die Staatsanwaltschaft beantragte für ihn 10 Jahre Zuchthaus, die Urteilsverkündung wurde vertagt und fand nie statt. Bruno Himpkamp und Gerd Spitzbart waren bereits am 12. April 1945 durch amerikanische Streitkräfte im Landgerichtsgefängnis Stendal befreit worden. Thorsten Müller wurde Ende Mai 1945, nach der Befreiung durch die englischen Besatzungstruppen, aus dem Untersuchungsgefängnis Hamburg entlassen.

Zitate

„Die Angehörigen der Swing-Jugend stehen dem heutigen Deutschland und seiner Polizei, der Partei und ihren Gliederungen, der HJ, dem Arbeits- und Wehrdienst, samt dem Kriegsgeschehen ablehnend oder zumindest uninteressiert gegenüber. Sie empfinden die nationalsozialistischen Einrichtungen als einen ‚Massenzwang‘. Das große Geschehen der Zeit rührt sie nicht, im Gegenteil, sie schwärmen für alles, was nicht deutsch, sondern englisch ist. Dies gilt es mit aller uns zur Verfügung stehender Macht zu unterbinden.“

Aus einem Bericht der Reichsjugendführung

„Meines Erachtens muß jetzt das ganze Übel radikal ausgerottet werden. Ich bin dagegen, daß wir hier nur halbe Maßnahmen treffen. Alle Rädelsführer sind in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dort muss die Jugend zunächst einmal Prügel bekommen und dann in schärfster Form zur Arbeit angehalten werden.“

Brief von Himmler an Heydrich am 26. Januar 1942

Swing tanzen verboten – ein Mythos?

Swingtanz-Verbote wurden ab 1937 „auf örtlicher oder regionaler Ebene verhängt“ und betrafen vor allem Tanzlokale, in denen regelmäßig Swing getanzt wurde. Ab 1938 waren rund um den Berliner Tanzpalast Moka Efti, wo das Orchester von Erhard Bauschke spielte, Schilder mit der Warnung aufgestellt, dass Swingtanzen verboten sei. „Kellner gingen gegen Zuwiderhandelnde höflich, aber entschieden vor.“ Diese Verbote kamen „in jedem Fall mit ausdrücklicher Unterstützung durch das Berliner Regime“; 1939 zogen die Wehrmacht und Parteiorgane nach. Der damals führende Swingmusiker Teddy Stauffer berichtete ebenfalls von Verboten, in den Tanzlokalen Swingmusik zu spielen.

Dass verpflichtend in allen Gaststätten Schilder mit Swing tanzen verboten hingen, ist eine moderne Legende. Die Schilder wurden in den 1970er Jahren als Marketinggag nachgeahmt und seitdem vertrieben. Zeitzeugen berichten auch davon, dass linientreue Gastronomen oder solche, die Ärger mit der Reichskulturkammer oder der Gestapo vermeiden wollten, selbst solche Schilder anfertigten und aufhängten. Nach Kriegsbeginn 1939 wurden ohnehin öffentliche Tanzveranstaltungen zunehmend untersagt. Nach der deutschen Niederlage mit dem Untergang der 6. Armee in der Schlacht von Stalingrad vom Februar 1943 musste das vom Reichsinnenminister und SS-Führer Heinrich Himmler erlassene allgemeine Tanzverbot strikt befolgt werden.

Film

Das Thema wurde auch in den Filmen Swing Kids (USA 1993) und Schlurf – Im Swing gegen den Gleichschritt (Österreich 2007) dargestellt. In der Folge „Wehrkraftzersetzung“ der Fernsehserie Löwengrube geht es um Angehörige der Swing-Jugend, die sich 1940 der Einberufung in die Wehrmacht entziehen wollen.

Musical

Das Musical Swinging St. Pauli nimmt die Thematik auf. Es spielt 1941 in einer Hamburger Bar. Ebenso setzt sich das 2003 uraufgeführte Musical „Swing Time! Wir tanzen weiter“ mit der Thematik auseinander.

Siehe auch

Literatur

  • Alenka Barber-Kersovan, Gordon Uhlmann (Hrsg.): Getanzte Freiheit. Swingkultur zwischen NS-Diktatur und Gegenwart. Hamburg 2002, ISBN 3-935549-05-9. (im Auftrag des Landesmusikrates Hamburg und der Hamburgischen Kulturstiftung)
  • Otto Bender, Heiko Haupt: Swing unterm Hakenkreuz, Hamburg 1933 bis 1945. 1993, ISBN 3-7672-1168-8.
  • Wolfgang Beyer, Monica Ladurner: Im Swing gegen den Gleichschritt. Die Jugend, der Jazz und die Nazis. Residenz Verlag, Salzburg 2011.
  • Wilfried Breyvogel (Hrsg.): Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 1991.
  • Jens Kolata: Zwischen Sozialdisziplinierung und "Rassenhygiene". Die Verfolgung von "Asozialen", "Arbeitsscheuen", "Swingjugend" und Sinti. In: Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier (Hrsg.): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern. Stuttgart 2013, ISBN 978-3-89657-138-0, S. 321–337.
  • Jan Kurz: Swinging Democracy. Jugendprotest im 3. Reich. In: Geschichte der Jugend. Bd. 21. Lit, Münster 1995.
  • Sascha Lange: Meuten, Swings & Edelweißpiraten. Jugendkultur und Opposition im Nationalsozialismus, Ventil Verlag, 2015, ISBN 978-3-95575-039-8.
  • Bettina Leder: Lauingers. Eine Familiengeschichte aus Deutschland. Hentrich und Hentrich, Berlin 2015, ISBN 978-3-95565-080-3 (= Jüdische Memoiren, Band 26; über Artur Lauringer und seinen Sohn Wolfgang).
  • Bernd Polster, Astrid Eichstedt: Wie die Wilden. Tänze auf der Höhe ihrer Zeit. Rotbuch, Berlin 1985, ISBN 3-88022-709-8.
  • Bernd Polster (Hrsg.): Swing Heil! Jazz im Nationalsozialismus. Transit, Berlin 1989, ISBN 3-88747-050-8.
  • Fred K. Prieberg: Musik im NS-Staat. Fischer, Frankfurt am Main 1982, ISBN 978-3-920862-66-8 (wichtige Korrespondenzen).
  • Kerstin Rathgeb: Helden wider Willen. Frankfurter Swing-Jugend – Verfolgung und Idealisierung. Westfälisches Dampfboot, Münster 2001, ISBN 3-89691-705-6.
  • Uwe Storjohann: ‹Hauptsache: Überleben›: eine Jugend im Krieg 1936 - 1945 Hamburg, Dölling und Galitz, 1993
  • Anton Tantner: „Schlurfs“ – Annäherungen an einen subkulturellen Stil Wiener Arbeiterjugendlicher. Diplomarbeit an der Universität Wien: Institut für Zeitgeschichte, 1993; Lulu, Morrisville 2007, ISBN 978-1-84753-063-9; (E-Text und weitere Veröffentlichungen).
  • Jörg Überall: Swing Kids. Archiv der Jugendkulturen, Berlin 2004, ISBN 978-3-943774-21-4.
  • Joseph Wulf: Kultur im Dritten Reich. Musik. Ullstein, Berlin 1989.
  • Mike Zwerin: La tristesse de Saint-Louis, Swing unter den Nazis. Hannibal, Wien 1988, ISBN 3-85445-039-7.

Einzelnachweise

  1. Andreas Merighi: Wandel des Musikgeschmacks der österreichischen Jugend von 1900 bis 1950. Diplomarbeit. GRIN, 2004, ISBN 3-638-68520-9 (Volltext in der Google-Buchsuche).
  2. Eine prima Saison. Ein Roman über die wichtigsten Dinge des Lebens. Aus dem Tschechischen von Marcela Euler, Deuticke: Wien-München 1997; ISBN 3-216-30322-5.
  3. Swing na malém městě. Vzpomínky na orchestr Miloslava Zachovala, výsnamný amatérský swingband protektorátní éry. Zusammengestellt von Josef Škvorecký und Boris Mědílek. Ovo Železný, Praha 2002, ISBN 80-237-3710-4.
  4. Newsletter „kulturkurier“, September 2012
  5. Frank Lehmann, Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg (Hrsg.): Zerbrochene Zeit: Wilhelmsburg in den Jahren 1923–1947. Dölling und Galitz, 1993, S. 162.
  6. Birgit Köhler, "...immer wenn Glenn Miller 'In the Mood' spielte, dann hatte ich den ganzen Schmerz der Welt vergessen!" Bremer Swingjugend im Dritten Reich. Magister-Arbeit, Bremen 1997.
  7. kurze Biographie der Gedenkstätte Deutscher Widerstand zu Bruno Himpkamp abgerufen am 9. Mai 2012.
  8. Ursel Hochmuth, Gertrud Meyer: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand. 1933–1945. Frankfurt 1980, ISBN 3-87682-036-7, S. 404 und 420 f.
  9. Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke, Hans Adolf Jacobsen: Deutschland 1933-1945: neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, Bundeszentrale für Politische Bildung, 1992, S. 238
  10. Manuela Neugebauer, Die polizeilichen Jugendschutzlager im Nationalsozialismus,in: DVJJ (Hrsg.), Jugend im sozialen Rechtsstaat. Für ein neues Jugendgerichtsgesetz, Bonn 1996, S. 672, dort als Quelle angegeben Bundesarchiv Koblenz, NS 18/507, Blatt 71 f.
  11. Michael H. Kater: Gewagtes Spiel. Jazz im Nationalsozialismus. Kiepenheuer und Witsch, Köln 1995, S. 203 f.
  12. Wolfgang Stock: Teddy Stauffer kann das braune Pack nicht ausstehen. In: STOCKPRESS.de. 31. Oktober 2010, abgerufen am 21. September 2022 (deutsch).
  13. An der plakativen Front: Eine Fälschung macht Geschichte, Pop History
  14. Die Lauingers – eine böse Familiengeschichte in FAZ vom 2. Juni 2015, Seite 31.
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