Der Töddenhandel als besondere Form des Hollandgangs war im 17. und 18. Jahrhundert Bestandteil eines Warenhandelssystems, des Nordseesystems, das sich bis ins Baltikum erstreckte.

Tödden, auch Tüötten oder Tiötten genannt, waren saisonal wandernde Kaufleute und Hausierer aus Westfalen und angrenzenden Regionen, die insbesondere das in ländlich-häuslichen Betrieben während des Winters hergestellte Leinen im folgenden Sommer erst in den Niederlanden (ugs. Holland) und dann in ganz Nordeuropa, von England bis Riga verkauften. Der Name Tödden soll nach einer Lesart aus dem Niederländischen kommen und Tauschen, Handeln bedeuten. In einer anderen Lesart soll sich der Begriff von niederdeutsch tödden ‚schleppen‘, ‚ziehen‘, ‚schwer bepackt dahertrotten‘ ableiten. Die analogen Namen Tüötten oder Tiötten sind aus örtlich verschiedenen Aussprachen entstanden.

Entstehung des Töddenhandels

Der Handel begann als Tauschhandel nach dem Dreißigjährigen Krieg, als nachgeborene Bauernsöhne sich in Holland als Torfstecher und in der Landwirtschaft verdingten und sich durch Verkauf von überzähligen Leinenrollen ein Zubrot verdienen wollten. Die Holländer nutzten das schwere, feste Leinen als Segeltuch für ihre Segelschiffe und für wetterfeste Kleidung. Einige Wanderarbeiter stellten schnell fest, dass sich mit dem Handel einfacher und mehr Geld verdienen ließ als mit der schweren landwirtschaftlichen Arbeit. So entwickelte sich ein lebhafter Handel zunächst mit Garnen und Geweben. Später kamen auch Metallwaren hinzu.

Das Aufblühen des Töddensystems stand in ursächlichem Zusammenhang mit der Freihandelspolitik der Niederlande. Begünstigt wurde das Töddenwesen in der Grafschaft Lingen vor allem durch die vorhandenen Fernstraßen. Mit Erschließung immer neuer Absatzgebiete im übrigen Nordeuropa und der starken Nachfrage nach Tuchen entstand in den Heimatorten der Tödden ein gewisser Wohlstand. Hier existieren noch heute etliche Töddenhäuser. Das Handelsvolumen muss nach neuerer Forschung beachtlich gewesen sein.

Das Töddensystem

Man kann von einem regelrechten „Töddensystem“, das straff durchorganisiert war, sprechen: Jeder Tödde hatte sein bestimmtes Absatzgebiet und damit einen festen Kundenstamm. Die Tödden waren eine mehr oder weniger in sich geschlossene Gesellschaft, sie verwendeten sogar eine eigene, nur unter ihren männlichen Mitgliedern bekannte und benutzte Sprache, das Bargunsch oder Humpisch. Es bildete sich schließlich eine Produktspezialisierung mit arbeitsteilig organisierter Schichtung in Großhändler und Verkäufer vor Ort heraus. Zwischen den Herkunft- und Absatzgebieten entwickelten sich durch Heiraten familiäre und wirtschaftliche Verbindungen, die schließlich zu Handelsunternehmen mit festen wirtschaftlichen Organisationsformen, meist auf verwandtschaftlicher Basis, führten.

Westfälische Tödden waren vor allem im Tecklenburger Land in den Gemeinden Mettingen, Hopsten, Recke und Ibbenbüren beheimatet. Sie waren aber auch im nordmünsterländischen Rheine sowie im südlichen Westfalen, insbesondere in Winterberg tätig. Es gab ebenfalls Tödden in Schapen, Beesten, Freren, Messingen und Thuine, wie Konzessionsanträge, sonstige schriftliche Dokumente und Töddenhäuser belegen. Das Mettinger „Tüötten-Museum“ im Haus Telsemeyer ist der Geschichte des Töddenhandels und speziell den Lebensumständen der Mettinger Tüöttenfamilien gewidmet.

Wettbewerb mit den Tödden

Die Tödden waren durchaus nicht überall gerne gesehen. Es kam oft vor, dass die örtliche Kaufmannschaft sie als unwillkommene Konkurrenz ansah und ordnungspolitische Regelungen verlangte. So erließ Preußen zwischen 1703 und 1806 für die mittleren und östlichen Provinzen gewerbepolitische Maßnahmen gegen die Tödden mit Konfiszierung ihrer Waren und Hausierverbot.

Etablierung als ansässige Händler

Einigen Wanderhändlern gelang es, in den jeweiligen Orten ansässig zu werden und in die Kaufmannschaft aufzusteigen. Die Entwicklung verlief somit vom ambulanten zum stationären Handel. Aus Töddengemeinschaften haben sich noch heute bekannte, große Handelshäuser wie C&A Brenninkmeijer (Brenninkmeyer), Hettlage, Boecker, Peek & Cloppenburg (P&C) oder Vroom & Dreesmann (V&D) entwickelt.

Ende des Töddenhandels

Die größte Ausdehnung des Töddenhandels war im 18. Jahrhundert. Der Niedergang setzte nach 1818 ein. Das Ende der Kontinentalsperre veränderte die Wirtschaftslage. Die neu entstandenen Fabriken in England, die das Bedrucken von Kattun selbst besorgten, übernahmen auch das Sammeln und Transportieren der Tuchballen. Die Niederlassungen der Tödden begannen zu schrumpfen. Dieser Prozess wurde durch die neu entstehenden Eisenbahnen verstärkt, die eine größere Mobilität anboten und größere Mengen transportieren konnten.

Siehe auch

Literatur

  • Hannelore Oberpenning: Migration und Fernhandel im Tödden-System. Wanderhändler aus dem nördlichen Münsterland im mittleren und nördlichen Europa des 18. und 19. Jahrhunderts. (Studien zur historischen Migrationsforschung, Band 4; zugl. Dissertation). Rasch, Osnabrück 1996, ISBN 3-930595-34-6
  • Bernhard Nonte, Eugen Eslage et al.: Tüötten-Museum Mettingen. Ein Museum im Museum. Museumsführer, herausgegeben vom Heimatverein Mettingen. Ibbenbürener Vereinsdruckerei, Ibbenbüren 2002, ISBN 3-932959-25-6
  • Klaas Goinga: Auf den Spuren der Tödden. Ibbenbürener Vereinsdruck, Ibbenbüren 1995, ISBN 3-921290-84-8
  • Josef Veldtrup: Bargunsch oder Humpisch. Die Geheimsprache der westfälischen Tiötten. Aschendorff 1981, ISBN 3-402-05985-1
  • Hubert Rickelmann: Die Tüötten in ihrem Handel und Wandel. Ein Beitrag zur Wirtschafts-, Sozial- und Familiengeschichte in der ehemaligen Obergrafschaft Lingen, der Grafschaft Tecklenburg und der benachbarten Gegenden. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 1960, 2. Auflage 1976, ISBN 3-506-77221-X

Einzelnachweise

  1. Tüöttenmuseum auf mettingen.de Abgerufen am 18. November 2022.
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