Tawagalawa (auch Tawakalawa) ist der Name des „Bruders“ eines Königs von Aḫḫijawa in hethitischer Schreibweise. An dessen namentlich nicht genannten Bruder ist ein Brief des hethitischen Großkönigs, wahrscheinlich Ḫattušili III. (ca. 1266–1236 v. Chr.), gerichtet, der als Tawagalawa-Brief bezeichnet wird und in dem unter anderem die Auslieferung des Pijamaradu gefordert wird. In der jüngeren Forschung wird angenommen, dass Tawagalawa womöglich selbst König von Aḫḫijawa war.

Quellenlage

Die einzigen gesicherten Informationen zu Tawagalawa bietet der in der Fachwelt viel diskutierte sogenannte Tawagalawa-Brief (KUB 14.3; CTH 181), ein Schreiben des hethitischen Großkönigs an den König von Aḫḫijawa. Beide Herrschernamen sind nicht erhalten. Reste des wahrscheinlichen Entwurfs dieses Briefs wurden in den Archiven der hethitischen Hauptstadt Ḫattuša entdeckt und von Emil Forrer Anfang der 1920er erstmals bearbeitet. Erhalten ist lediglich die dritte von wahrscheinlich insgesamt drei Tafeln. Diese ist teilweise in schlechtem Erhaltungszustand und weist einige Lücken auf, weswegen der Text an diversen Stellen schwer verständlich ist und einige Übersetzungen umstritten sind. Zusätzlich existiert ein Fragment (KUB 23.93), das wahrscheinlich ebenfalls zu dem Brief gehörte und dann aus einer der ansonsten verlorenen ersten beiden Tafeln stammt. Der Brief wird von der Mehrheit der Forschung aus inhaltlichen und paläographischen Gründen dem hethitischen Großkönig Ḫattušili III. zugeschrieben, jedoch kann auch nicht ganz ausgeschlossen werden, dass er bereits von dessen Bruder und Vor-Vorgänger auf dem hethitischen Thron, Muwatalli II. stammt.

Name

Bereits Forrer nahm an, dass Tawagalawa die hethitisierende Schreibweise einer frühen Form des griechischen Namens Eteokles sei, die er als *Etewoklewes rekonstruierte. Diese Theorie blieb lange Zeit sehr umstritten und ihr wurde u. a. von Ferdinand Sommer heftig widersprochen. Nachdem durch Linear-B-Texten aus dem Palast von Pylos (Anfang 12. Jahrhundert v. Chr.) mittlerweile tatsächlich eine frühgriechische Form Etewoklewes nachgewiesen und zudem die Identifizierung des Landes Aḫḫijawa mit Griechenland wesentlich erhärtet wurde, wird Forrers Deutung heute von fast allen Wissenschaftlern akzeptiert.

Informationen zu Tawagalawa

Tawagalawa ist der Bruder des Königs von Aḫḫijawa, einem Reich westlich der Hethiter, das höchstwahrscheinlich mit einem mykenischen Staat gleichgesetzt werden kann. Einige Neufunde bzw. Neuinterpretationen führten dazu, dass mittlerweile viele Forscher annehmen, dass das böotische Theben zumindest über einen längeren Zeitraum im 13. Jahtrhundert v. Chr. das Zentrum Aḫḫijawas war, was aber in der Forschung strittig ist. Tawagalawa hatte offenbar gute Beziehungen zum hethitischen Hof und einen hohen Rang; so wird in dem Brief unter anderem daran erinnert, dass er einst zusammen mit dem königlichen Wagenlenker, der von hohem Stande und mit einer Frau aus der Familie der Großkönigin verheiratet war, auf dem Wagen gefahren sei. Aufgrund von Angriffen des Pijamaradu auf die Lukka-Länder (im Südwesten Kleinasiens) riefen die Bewohner der Lukka-Länder den hethitischen Großkönig um Hilfe, wie sie auch Tawagalawa um Hilfe gerufen hatten. Dabei ist nicht geklärt, ob sich Tawagalawa zu jenem Zeitpunkt im von Aḫḫijawa beherrschten Teil Westkleinasiens – z. B. in Millawanda (sehr wahrscheinlich Milet) – aufhielt oder aus Griechenland anreiste. Pijamaradu floh, nachdem er mit seinem Bruder Laḫurzi den Hethiterkönig bei Ijalanda (möglicherweise Alinda in Karien) in einen Hinterhalt gelockt hatte, nach Millawanda. Von dort sollte er, wohl durch eine Anweisung des Königs von Aḫḫijawa, festgesetzt und an den hethitischen Großkönig ausgeliefert werden. Jedoch gelang Pijamaradu die Flucht über das Meer, bevor der hethitische Großkönig in Millawanda eintraf.

Auffallend und sehr ungewöhnlich ist, dass Tawagalawa vom hethitischen Großkönig als „Bruder“ bezeichnet wird. Üblicherweise wurden nur leibliche Brüder oder als gleichrangig angesehene Könige anderer Staaten, wie die Herrscher Ägyptens oder Babyloniens von hethitischen Großkönigen als Bruder angesprochen, worauf schon Forrer aufmerksam machte. Dass Tawagalawa der leibliche Bruder des Hethiterkönigs war, kann ausgeschlossen werden, und dass eine Titulierung als „Bruder“ nur aus Hochachtung geschah, gilt als sehr unwahrscheinlich. Andererseits gibt es keinen Hinweis darauf, dass Tawagalawa Herrscher eines anderen Reichs war, das aus hethitischer Sicht mindestens ebenso bedeutsam war wie Aḫḫijawa – dessen Großkönig auch als „Bruder“ bezeichnet wird. Eine mögliche Erklärung ist eine in ihrer Übersetzung sehr umstrittene Stelle des Tawagalawa-Briefs (I, 71-73), die von Heinhold-Krahmer dahingehend interpretiert wird, dass Tawagalawa einst selbst König von Aḫḫijawa war. Ihrer Meinung schlossen sich andere Forscher an. Demzufolge hätten Tagawalawa und sein Bruder entweder ein Doppelkönigtum über Aḫḫijawa ausgeübt oder Tawagalawa wurde von seinem Bruder als König abgelöst, bekleidete aber, sofern er zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefs nicht verstorben war, ein sehr hohes Amt und residierte im von Aḫḫijawa kontrollierten Teil Westkleinasiens, vermutlich Millawanda. Als Beleg für diese These wird von Alparslan das Fragment KUB 23.93 angeführt, in dem sowohl der (unbekannte) Adressat als auch dessen (vermutlich leiblicher) Bruder möglicherweise vom hethitischen Großkönig als „Bruder“ bezeichnet werden. Ob dieses Fragment zum Tawagalawa-Brief gehört, ist allerdings noch nicht sicher.

Literatur (chronologisch)

  • Emil O. Forrer: Vorhomerische Griechen in den Keilschrifttexten von Boghazköi. (= Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft zu Berlin. Band 63). 1924, S. 1–24, besonders S. 9–15. (online)
  • Hans Gustav Güterbock: Wer war Tawagalawa? In: Orientalia. Band 59, 1990, S. 157–165.
  • Wolfgang Röllig: Achäer und Trojaner in hethitischen Quellen? In: Ingrid Gamer-Wallert (Hrsg.): Troia. Brücke zwischen Orient und Okzident. Attempto Verlag, Tübingen 1992, S. 183–200.
  • Metin Alparslan: Einige Überlegungen zur Ahhiyawa-Frage. In: A. Süel (Hrsg.): Acts of the Vth Congress of Hittitology. Corum September 02 – 08, 2002. Buasım Takihi, Ankara 2005, S. 33–41, besonders S. 34–38 (behandelt dort vor allem einige Detailfragen zum Tawagalawa-Brief).
  • Jared L. Miller: Ein König von Ḫatti an einen König von Aḫḫijawa (der sogenannte Tawagalawa-Brief). In: TUAT. Neue Folge Band 3, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006, S. 240–247. (online als PDF)
  • Jared L. Miller: Some disputed passages in the Tawagalawa Letter. In: Itamar Singer (Hrsg.): ipamati kistamati pari tumatimis. Luwian and Hittite studies presented to J. David Hawkins on the occasion of his 70th birthday. Emery and Claire Yass Publications in Archaeology, Tel Aviv 2010, S. 159–169.
  • Harry A. Hoffner, Jr.: Letters from the Hittite Kingdom. Society of Biblical Literature, Houston 2009, S. 296–313.
  • Gary M. Beckman, Trevor R. Bryce, Eric H. Cline: The Ahhiyawa Texts (= Writings from the Ancient World 28). Society of Biblical Literature, Atlanta 2011, ISBN 978-1-58983-268-8, S. 101–122.
  • Susanne Heinhold-Krahmer, Elisabeth Rieken (Hrsg.): Der "Tawagalawa-Brief": Beschwerden über Piyamaradu. Eine Neuedition. (= Untersuchungen zur Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie. Bd. 13). de Gruyter, Berlin/ Boston 2019, ISBN 978-3-11-058116-4.

Anmerkungen

  1. Robert Fischer: Die Aḫḫijawa-Frage. Mit einer kommentierten Bibliographie. Harrassowitz, 2010, S. 54.
  2. Die vollständige Übersetzung wurde von Forrer allerdings erst 1929 in Emil Forrer: Forschungen I/2. Berlin 1929, publiziert
  3. Dazu ausführlicher Takihi 2005, S. 37 f. (mit weiteren Belegen)
  4. siehe u. a. Miller 2006, S. 241.
  5. Forrer 1924, S. 9 f.
  6. John Chadwick: Die Mykenische Welt. Reclam, Stuttgart 1979, S. 89.
  7. Wolf-Dietrich Niemeier: Griechenland und Kleinasien in der späten Bronzezeit. Der historische Hintergrund der homerischen Epen. In: Michael Meier-Brügger (Hrsg.): Homer, gedeutet durch ein großes Lexikon. Akten des Hamburger Kolloquiums vom 6.-8. Oktober 2010 zum Abschluss des Lexikons des frühgriechischen Epos (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Neue Folge. Band 21). de Gruyter, 2012, S. 153, Anm. 124, der nur den Altorientalist Gerd Steiner auflistet, der an einer anderen (luwischen) Herleitung festhält.
  8. Siehe zu Ahhijawa und Theben zuletzt Klaus Tausend: Bemerkungen zur Identifikation der Ahhijawa. In: Gustav Adolf Lehmann, Dorit Engster, Alexander Nuss (Hrsg.): Von der bronzezeitlichen Geschichte zur modernen Antikenrezeption. (= Syngramma. Bd. 1). Universitätsverlag Göttingen, 2012, S. 145–156 (seine Wiedergabe des Tawagalwa-Briefs weicht zum Teil allerdings erheblich von den in den letzten drei Jahrzehnten veröffentlichten Übersetzungen ab und folgt offenbar der Übersetzung von Ferdinand Sommer).
  9. Alexander Herda: Karkiša-Karien und die sog. Ionische Migration. In: Frank Rumscheid (Hrsg.): Die Karer und die Anderen. Habelt, Bonn 2009, ISBN 978-3-7749-3632-4 (Internationales Kolloquium an der Freien Universität Berlin, Oktober 2005), S. 54; siehe dazu aber auch Max Gander: Die geographischen Beziehungen der Lukka-Länder. Texte der Hethiter, 27 (2010), S. 197.
  10. Forrer 1924, S. 10 f.
  11. Alparslan 2005, S. 27 mit Bezug auf die theoretisch möglichen drei Erklärungen bei Güterbock 1990.
  12. Susanne Heinhold-Krahmer: Untersuchungen zu Piyamaradu. In: Orientalia. Band 55, S. 54 f.
  13. u. a. Hans Gustav Güterbock: Wer war Tawagalawa? In: Orientalia. Band 59, 1990, S. 164f.; Alparslan 2005, S. 37 f.
  14. Miller 2006, S. 241 deutet diese Möglichkeit an.
  15. Alparslan 2005, S. 37 f.
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