Tijuana Moods
Studioalbum von Charles Mingus

Veröffent-
lichung(en)

1962

Label(s) RCA

Format(e)

LP, CD

Genre(s)

Modern Jazz

Titel (Anzahl)

5

Länge

35:15 (LP)

Besetzung
  • Stimmen: Lonnie Elder

Produktion

Bob Rolontz, Steve Backer (reissue)

Studio(s)

RCA Victor’s Studio A, New York City

Chronologie
Oh Yeah
(1961)
Tijuana Moods The Black Saint and the Sinner Lady
(1963)

Tijuana Moods ist ein Jazzalbum von Charles Mingus, das 1957 aufgenommen, aber erst 1962 veröffentlicht wurde.

Vorgeschichte des Albums und Begleitumstände

Nach einer Trio-Einspielung mit Hampton Hawes und seinem Schlagzeuger Dannie Richmond für Jubilee Records am 9. Juli und Aufnahmen unter Jimmy Kneppers Leitung für Mingus’ Musiklabel Debut Records am 10. Juli 1957 entstand in den folgenden Wochen sein erstes Album in Stereo, das auch seine erste Produktion für ein größeres Label sein sollte.

Bei einem Auftritt in einem Kinokonzert Mitte Juli im Greenwich Village versuchte der Bandleader einem Bericht von Metronome zufolge „neue Formen der Improvisation mit der Jazz-Form“. Neben „The Clown“ mit dem Schauspieler Jean Shepherd (1921–1999) führte er erstmals „Tijuana Table Dance“ mit der Flamencotänzerin Ysabel Moran auf. Während der folgenden Gastspiele in Washington, D.C. und auf dem ersten Great South Bay Festival am 20. Juli 1957 in Great River (Long Island) spielte Mingus erstmals öffentlich mit der Besetzung, mit der er das Album einspielte; neu in die Band kamen der Pianist Bill Triglia und der Detroiter Trompeter Clarence Shaw.

Inhalt des Albums

Die meisten Stücke gelten als Programmmusik und bilden zusammen eine Art Konzeptalbum: Es gibt die Eindrücke eines Trips von Mingus mit seinem Schlagzeuger (und Schüler) Danny Richmond in die mexikanische Grenzstadt zu Kalifornien Tijuana wieder. Mingus wollte die Trennung von seiner Frau und Managerin Celia vergessen („a very blue period in my life“) und stürzte sich in das Vergnügungsviertel – nach eigenen Worten im Wettstreit mit Richmond, für den das alles ziemlich neu war (Mingus: „Danny lost – he was very hungry, I was starved“). Richmond: Mingus wollte Gangster, Musiker, Zuhälter, Liebhaber in einer Person sein. Mingus fasst in seinen Liner Notes zusammen: „Tequila-Wine-Woman-Song-and-Dance“.

Dizzy Moods beruht auf Dizzy Gillespies Woody´n You von 1943, und wurde den Liner Notes zufolge von Mingus auf dem Hinweg nach Tijuana in froher Erwartung des Kommenden im Auto skizziert.

Ysabel’s Table Dance schildert eine Nachtclubszene einschließlich (Striptease-)Tänzerinnen, dargestellt im treibenden Flamenco-Rhythmus mit Kastagnetten-Einlagen. Das Stück baut auf einer Paso-Doble-Figur über zwei Harmonien auf: Eingestreut sind free-jazz-artige Gruppenimprovisationen, boppende Soli und unbegleitete Rubato-Passagen. Erst in der zweiten Hälfte des Stücks wird das eigentliche Thema präsentiert. Mingus lässt seinen Bass zeitweise wie Gitarren und Violinen (am Anfang mit Streichbogen) klingen.

Das kurze Zwischenspiel Tijuana Gift Shop erinnert nach Mingus an einen Wandteppich, den er in einem dortigen Mitbringsel-Laden erwarb.

Los Mariachis schildert die Straßenmusiker, die den Touristen folgen und in Erwartung von Trinkgeld die Stücke spielen, die ihrer Meinung nach Gefallen finden – in diesem Fall beispielsweise eine Calypso-Nummer und (nach Mingus ein ziemlich steifer) Blues. Dabei werden in satirischer Absicht populäre Klischees gegen Momente von Traurigkeit gesetzt. Nach Ansicht des Kritikers Hans Jürgen Schaal ist das „auch heute noch ein gewaltiges, verstörendes Stück Musik.“

Flamingo ist ein Swing-Standard, auf dem Mingus in verhaltenem Tempo seinem großen Vorbild Duke Ellington seine Reverenz erweist und der nach seinen Liner Notes die Erinnerung New Yorks (der „wild city“) in der Ferne heraufbeschwören soll. Mingus lässt am Schluss noch am Bass den Flamenco aus Ysabel’s Table Dance anklingen. Knepper und Shaw sind mit Solos zu hören (Shaws Solo wird von Mingus in den Liner Notes ausdrücklich hervorgehoben).

Auf seinen Liner Notes 1962 erweist Mingus zunächst seinen Mitmusikern seine Reverenz, die er als eine der größten Musiker bezeichnet, mit denen er je gespielt habe. An erster Stelle den Trompeter Clarence Shaw, den er als idealen musikalischen „Gesprächspartner“ (conversationalist) bezeichnet („er wußte, wann er schweigen sollte“), aber schon damals (1962) nicht mehr auffinden konnte und nur auf Gerüchte verweist, er wäre als Hypnotiseur tätig. Shaw machte 1957 noch zwei Aufnahmen mit Mingus, verschwand dann aber von der Szene. Richmond hatte er erst kurz zuvor kennengelernt – allerdings nicht ein paar Wochen, wie er schreibt, sondern schon ein gutes halbes Jahr, als er ihn in einem Club mitten in der Aufführung für Willie Jones am Schlagzeug (eigentlich war Richmond bis dahin Tenorsaxophonist) einspringen ließ, der angeblich dem Tempo nicht mehr folgen konnte. Mit Richmond fand Mingus den idealen Rhythmusgruppen-Partner. Sie verstanden sich später so gut, dass ein kurzer Blickkontakt auf der Bühne zur Verständigung über die Steuerung des Improvisationsgerüsts reichte. Außerdem wurde er ein enger Freund von Mingus, der – wie er zufrieden in einem Interview bekannte – „alles zusammenhielt“.

Mingus war 1962 sichtlich stolz auf das Album („This is the best record I ever made“ als Überschrift in den Liner Notes, auch bestätigt durch Erinnerungen seines Freundes Nat Hentoff).

Titel des Albums

  1. Dizzy Moods (5:47, alternate take 8:17)
  2. Ysabel’s Table Dance (10:24)
  3. Tijuana Gift Shop(3:44, alternate take 4:39)
  4. Los Mariachis (10:18, alternate take 12:23)
  5. Flamingo (5:31, alternate take 6:37)

(Angaben nach RCA/BMG France 1994 (BM 720 – 74321257702) mit alternate takes, außer für Ysabels Tabel Dance).

Alle Kompositionen von Charles Mingus, außer Dizzy Moods, das auch Dizzy Gillespie zugeschrieben ist, und Flamingo (E. Anderson, T. Grouya).

Die Stücke wurden am 18. Juli ([1], [2],[4]) und am 6. August 1957 ([3], [5]) in den RCA Victor Studios in New York aufgenommen; Toningenieur war Bob Simpson.

Editionsgeschichte

Das Original erschien erst 1962 bei RCA-Victor (LSP 2533). Weber und Filtgen gehen davon aus, dass RCA das Album zunächst als zu avanciert erschien; 1962 hatte sich die Jazzwelt dann schon völlig gewandelt und auch Mingus Schaffen war allgemein anerkannt. Möglicherweise lagen aber auch Vertragsstreitigkeiten vor.

Das ursprüngliche Album ist (außer [2]) teilweise „brutal geschnitten“ (Ed Michel) Neu aufgelegt wurde das Album als Mexican Moods 1979 bei Camden/Pickwick. Mit den Alternate Takes (ungeschnitten, in der eingespielten Länge) ist das Album auch als New Tijuana Moods (Bluebird 5635-1-RB) auf zwei LP 1986 veröffentlicht worden (mit einem Alternate Take von 13 Minuten für Ysabels Table Dance), wobei die ursprünglichen Stücke auch neu editiert wurden. In einer 2-CD-Ausgabe bei RCA (2001, Bluebird 09206-63840-2) ist neben diesen Stücken weiteres Material enthalten, unter anderem auch abgebrochene „takes“; zusätzlich gibt es den von dem Schriftsteller Lonnie Elder gesprochenen Mingus-Text „A colloquial dream“, den Mingus im selben Jahr 1957 (als Scenes in the City) von dem afroamerikanischen Schauspieler Mel Stewart nochmals aufnehmen ließ (A Modern Jazz Symposium of Music and Poetry, Bethlehem 1957, Branford Marsalis benannte danach sein Debütalbum Scenes in the City 1983). Der Text reflektiert über die Härten des Lebens in der Großstadt New York und der Rolle des Jazz als Ausflucht. Die Credits für Lonnie Elder im Original werden durch diese Neuveröffentlichung verständlicher.

Rezensionen

Der Jazzkritiker Martin Williams schrieb im Covertext, Mingus sei aufgebrochen, „seinen Jazz in Konzertmusik zu verwandeln“. Werner Stiefele (Rondo 2000) stimmt ihm zu und betont, dass „das komplexe Werk auch weit über die Verschmelzungsversuche von Jazz und Klassik hinausreicht, die im Third Stream der fünfziger Jahre unternommen wurden. Es bekennt sich zu seinem Jazz-Sein und ist daher ein direkter Vorläufer von Werken wie Wynton Marsalis’ postmodernem Ballett ›Citi Movement‹“. Für Hans-Jürgen Schaal ist das Album „ein erster Triumph“ der engen Zusammenarbeit zwischen Mingus und seinem Drummer Danny Richmond und zugleich Dokument des Umbruchs im Werk von Mingus: „Die Neu-Definition ungebärdiger Jazz-Archaik. Und zugleich Vor-Alarm zum Free Jazz.“ Scott Yanow ist der Ansicht, dass „diese aufwühlende Musik in jede Jazzsammlung gehört, da sie eine der schönsten Stunden von Charles Mingus präsentiert“. Ed Michel, der die New Tijuana Moods produzierte, betont in den Liner Notes, dass es sich eindeutig um ein „Meisterwerk“ handelt.

Erwähnenswertes

Das Original-Cover zeigt ein den Rock schürzendes mexikanisches Mädchen vor einer Jukebox. Im Original erschien das Album auch unter dem Namen „Charlie Mingus“ (statt „Charles“), eine Vertraulichkeit, die Mingus gar nicht schätzte (er selbst bevorzugte die Anrede Mingus).

Hadi und Knepper blieben insgesamt sechs Monate bei Mingus; dies war damit die front Line des Bandleaders, die länger als alle bisherigen Jazz Workshops Mingus’ Bestand hatte. Hadi spielt entgegen den Credits neben Alt- (in Dizzy Moods) auch Tenorsaxophon.

Neben den Liner Notes von Mingus (1962) sowie Martin Williams, der Mingus auf dem Weg „vom Jazz zur Konzertmusik“ sah, gibt es bei der Neuauflage von RCA solche von Nat Hentoff.

Von der Entstehungszeit her (nicht nach Erscheinen) ist das Album zwischen The Clown (aufgenommen Februar/März 1957) und einer Trio-Aufnahme mit Hampton Hawes und Richmond (Juli 1957) einerseits und East Coasting (ebenfalls im August 1957 und mit Shaw) und A Modern Jazz Symposium of Music and Poetry (Oktober 1957) andererseits einzuordnen.

Literatur

  • Charles Mingus: Beneath The Underdog. Nautilus, Hamburg 2003, ISBN 3894014164
  • Brian Priestley: Mingus: A Critical Biography, Quartet Books, London, 1982, ISBN 0-7043-2275-7
  • Horst Weber, Gerd Filtgen: Charles Mingus. Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten. Oreos, Gauting-Buchendorf, o. J. (1984), ISBN 3-923657-05-6 (mit Erinnerungen von Richmond)
  • Werner Stiefele: Meilensteine des Jazz, Rezension auf rondomagazin.de

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Die Kastagnetten in Ysabel’s Table Dance werden Dunlop zugeschrieben; Ysabel Morel wird in den Credits erwähnt, weil sie während der Aufnahme den Flamenco mit den Händen klatschte. Vgl. Angaben Tijuana Moods 2001
  2. Nach Ansicht des Mingus-Biographen Brian Priestley war die Produktion des Albums Teil einer Vereinbarung mit RCA, die getroffen wurde, weil Thad Jones, damals bei dem Label unter Vertrag, bei zwei Alben, die 1955 auf Mingus’ Label Debut Records entstanden sind, mitgewirkt hatte. Vgl. B. Priestley. S. 83 f.
  3. Vgl. Brian Priestley, S. 83. Priestley stellt heraus, dass Mingus auf dem Festival dieses Stück ebenfalls spielte; außerdem auch Dizzy Moods. In einem anderen Konzert des Festivals am 21. Juli 1957 gab er eine Solodarbietung seines „Haitian Fight Song“ und begleitete die Sängerin Blossom Dearie; am Schlagzeug (!) saß dabei Roy Eldridge.
  4. Priestley führt aus, dass der A-Teil des Stücks im 4/4-Takt verfasst sei und auf dem Gillespie-Original beruhe, das wiederum eigentlich auf den Tonfolgen von Fats Wallers Stücken „Blue Turning Grey“ und „I´ve Got a feeling I'm Falling“ basierte; hinzugekommen sei ein neuer B-Teil im 6/4-Takt, der von Mingus stamme. Vgl. Priestley, S. 84.
  5. Auf dem Alternate Take ist das im Original beschnittene Schlagzeug-Solo von Richmond vollständig zu hören.
  6. So hieß das Stück nur auf dem Album. Bei Live-Auftritten wurde es Priestley zufolge als Tijuana Table Dance gespielt
  7. Priestley weist darauf hin, dass es vom Rhythmus her mit dem zu vergleichen ist, was auf der klassischen Aufnahme des Trios von Red Norvo in Time and Tide zu hören ist. Die Harmonien sind der Septakkorde von E-Dur und F-Moll
  8. Liner Notes zur Neuauflage bei RCA/BMG
  9. Legacy Recordings (Memento des Originals vom 7. Oktober 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  10. So fehlen ganze Soli.
  11. Angaben Tijuana Moods 2001 BMG
  12. Vgl. B. Priestley, S. 85.
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