Tobe Levin Freifrau von Gleichen (* 16. Februar 1948 in Long Branch (New Jersey)) ist eine amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Aktivistin gegen weibliche Genitalverstümmelung (engl. Female genital mutilation – FGM).

Ausbildung und Werdegang

Levin wurde als Tochter von Morris William Levin und Janice Metz Levin in Long Branch, NJ, geboren.

1970 erwarb sie ihren Bachelor of Arts in Anglistik am Ithaca College (NY) mit „summa cum laude“. Drei Jahre später schloss sie an der New York University Paris und der Universität Paris III als Master of Arts im Fach Französisch ab. Ihre Master-Arbeit behandelte Frauenbilder bei Rousseau und Diderot und stellte ein frühes Beispiel für die feministische Literaturkritik dar.

1973 schrieb sie sich als Doktorandin an der Cornell University ein. Während eines Forschungsaufenthaltes in München erfuhr sie erstmals über Alice Schwarzers feministisches Magazin EMMA von der weiblichen Genitalverstümmelung und beteiligte sich an der deutschen Kampagne zur Bekämpfung der FGM.

1979 promovierte sie in vergleichender Literaturwissenschaft an der Cornell University mit einer Dissertation über Ideologie und Ästhetik in neo-feministischer deutscher fiktionaler Literatur: Verena Stefan, Elfriede Jelinek und Margot Schroeder. Hierbei war sie die erste Wissenschaftlerin, deren Doktorarbeit sich mit der Literaturnobelpreisträgerin von 2004 Elfriede Jelinek beschäftigte.

Engagement gegen Genitalverstümmelung

Im Juni 1977 erschien in der EMMA ein Artikel mit dem Titel „Klitorisbeschneidung“. Nachdem säckeweise bestürzte Leserbriefe die Redaktion erreichten, entschlossen sich die Herausgeber, in allen größeren westdeutschen Städten Aktionsgruppen zu organisieren. Alice Schwarzer, die Chefredakteurin, übertrug die nationale Koordination an Levins Gruppe in München. 1979 veröffentlichte Levin zusammen mit anderen Autorinnen den ersten Leitfaden für „Aktionsgruppen gegen Klitorisbeschneidung“.

Diese frühe Arbeit führte zu Kooperationen mit den führenden europäischen Persönlichkeiten, die sich im Kampf gegen FGM engagierten, vor allem Awa Thiam in Paris und Efua Dorkenoo OBE, die in Großbritannien die Organisation FORWARD gegründet hatte und die Entwicklung der „kleinen deutschen Schwester“ unterstützte.

1998 gründete Levin zusammen mit anderen FORWARD-Germany e. V., eine Non-Profit-Organisation, die sich den Kampf in Deutschland mit dem Ziel einer weltweiten Ächtung der FGM zum Ziel machte. FORWARD ging bald Kooperationen mit gleichgesinnten Organisationen ein, die sich mit der zunehmenden Immigration aus Afrika nach Deutschland beschäftigen. Ein bedeutender Anteil dieser Immigration geschah in Folge des Staatszerfalls und dem nachfolgenden Bürgerkrieg in Somalia. Heute arbeitet FORWARD eng mit staatlichen Stellen zusammen, z. B. mit kommunalen Frauenbeauftragten und mit für Einwanderung, Entwicklung und Gesundheit zuständigen Bundesbehörden. Weiter arbeitet FORWARD mit der größten NGO für afrikanische Frauen in Deutschland, MAISHA, und vielen anderen Vereinigungen in INTEGRA zusammen, einer Dachorganisation für deutsche NGOs gegen FGM.

2002 nahm Levin für FORWARD den Preis der Ingrid-zu-Solms-Stiftung für Menschenrechte und Völkerverständigung entgegen.

2005 erhielt sie den von der SPD verliehenen Olympe-de-Gouges-Preis für ihr Somalia-Mädchen-Projekt.

Sonstige Aktivitäten

2014 wurde Levin Mitarbeiterin beim Women’s Institute for Freedom of the Press (WIFP). Das WIFP ist eine amerikanische gemeinnützige Presseorganisation, die die Kommunikation zwischen Frauen steigern und Frauen-Medien in der öffentlichen Diskussion etablieren möchte.

Tobe Levin ist CEO des in Frankfurt ansässigen Verlags UnCUT/VOICES Press, der als einziger Verlag der Welt ausschließlich Bücher über weibliche genitale Verstümmelung veröffentlicht.

Levin schrieb ein vielbeachtetes Buch über die amerikanische Autorin Alice Walker und deren Einsatz gegen FGM.

2015 erschien in Kooperation mit Maria Kiminta und der Fotografin Britta Radike eine Studie über FGM in Ostafrika, Kiminta. A Maasai's Fight against Female Genital Mutilation.

Levin sprach sich auch gegen die Zirkumzision bei Jungen aus.

Berufsleben

1979 wurde Levin Fakultätsmitglied am University of Maryland College in Europe und unterrichtete Englisch und Frauenstudien bei U.S. Militärangehörigen. 1985 erhielt sie parallel einen Lehrauftrag an der Goethe-Universität Frankfurt, wo sie neben ihrem FGM-Schwerpunkt auch erstmals in Deutschland Kurse über afrojüdische Schriftstellerinnen abhielt.

2002 erhielt sie den Presidential Award des University of Maryland University College für herausragende Leistungen in der Lehre.

2004 ging sie erstmals zu einem Forschungsaufenthalt an das Institut für „Women’s Studies Research“ an das Mount Holyoke College.

Sie forschte an der Brandeis University (2006), der Cornell University (2010), und an den „International Women’s Studies“ an der Lady Margaret Hall der University of Oxford (2014).

Seit 2006 arbeitete sie auch am Harvard University’s W.E.B. Du Bois Institute für Afrikan-Amerikanische Forschung.

Levin ist Lehrbeauftragte am Hutchins Center for African and African American Research at Harvard University. Sie ist Gastprofessorin am International Gender Studies Centre, Lady Margaret Hall, University of Oxford. Als Anglistikprofessorin an der University of Maryland, University College ist sie inzwischen emeritiert.

Literatur

  • Feminist Europa Review of Books, Deutsche Stiftung Frauen- und Geschlechterforschung in Heidelberg (Hrsg.), ddv-verlag, Heidelberg, 1998–2010
  • zusammen mit Augustine H. Asaah (Hrsg.) Empathy and Rage. Female Genital Mutilation in African Literature, Oxfordshire: Ayebia, 2009.
  • Waging Empathy. Alice Walker, Possessing the Secret of Joy, and the Global Movement to Ban FGM. Tobe Levin (Hrsg.), Frankfurt: UnCUT/VOICES Press, 2014
  • zusammen mit Maria Kiminta. A Maasai’s Fight against Female Genital Mutilation. Frankfurt: UnCUT/VOICES Press, 2015.
  • Blood stains : a child of Africa reclaims her human rights / Khady zusammen mit Marie-Thérèse Cuny. Übersetzung von Tobe Levin, Frankfurt, M. : UnCut/Voices Press, 2010, ISBN 978-3-9813863-0-1

Einzelnachweise

  1. Love, Barbara J., ed. Feminists Who Changed America 1963–1975. Champaign, IL: University of Illinois Press, 2006.
  2. Undergraduate Faculty Listing (Memento des Originals vom 16. März 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., Website der University of Maryland University College Park. Abgerufen am 16. März 2014
  3. Levin, Tobe. “Welcome and Editorial.” Feminist Europa. Review of Books. Vol. 9, No 1, 2009; Vol. 10, No 1, 2010; S. 9–10. Abgerufen am 16. März 2014
  4. Profile: Dr. Tobe Levin von Gleichen, Jessie Obidiegwu Education Fund. Abgerufen am 16. März 2014
  5. Ingrid Braun, Tobe Levin und Angelika Schwarzbauer (Hrsg.) Materialien zur Unterstützung von Aktionsgruppen gegen Klitorisbeschneidung. München: Verlag Frauenoffensive, 1979.
  6. Marion Hulverscheidt: Health Rights or Human Rights? in: Alex Mold, David Reu (Hrsg.): Assembling Health Rights in Global Context, Routledge 2013, ISBN 978-0-415-53011-8
  7. FORWARD-Germany e. V. website: www.forward-deutschland.de (Memento des Originals vom 27. Juli 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  8. http://www.maisha.org/
  9. Ingrid zu Solms Foundation website: www.ingrid-zu-solms-stiftung.de
  10. Associates | The Women’s Institute for Freedom of the Press. In: www.wifp.org. Abgerufen am 21. Juni 2017 (englisch).
  11. Alice Walker The official Website. (Nicht mehr online verfügbar.) Ehemals im Original
  12. Video auf YouTube
  13. “Three UMUC Employees Receive Presidential Award.” Achiever: The Alumni Magazine of the University of Maryland University College. Spring 2003. S. 4
  14. “Five Colleges Alumni and Associates Directory”
  15. Tobe Levin Wins Prestigious USM Board of Regents’ Faculty Award. University of Maryland, archiviert vom Original am 17. März 2014; abgerufen am 10. März 2014.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
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