Tuntenball, häufig im Plural Tuntenbälle, auch nach Karl Heinrich Ulrichs Urnings- und Urnindenbälle, sind ballartige Tanz-Festlichkeiten, von denen die Veranstaltungen in Berlin eine mehr als hundertzwanzigjährige Tradition haben. Obwohl sie in Großstädten häufiger veranstaltet, waren sie in der Provinz nicht unbekannt. Das Publikum unterschied zwischen Schwulen- und Lesben-Veranstaltungen: Während auf den Lesbenveranstaltungen häufiger flotte Couleurstudenten mit mächtigen Renommierschmissen auftraten, Landsknechte, dicke Bettelmönche oder Matrosen den Ballsaal bevölkern, ließen sich auf den Schwulen-Bällen häufiger große weibliche Rokoko-Roben aus Taft und Seide sehen, hochtoupierte Frisuren mit passenden Hüten samt eindrucksvollem Parfum.

Zeit vor Stonewall (1969)

Die wohl ersten Filmaufnahmen eines Tuntenballes aus der Zeit vor Stonewall finden sich in Anders als die Andern, einem Film von Richard Oswald zum Thema Homosexualität aus dem Jahr 1919. Auf dem Berliner Tuntenball spielen Szenen im Film Taxi zum Klo von Frank Ripploh, gedreht 1980.

Mit Unterbrechungen nach der Harden-Eulenburg-Affäre und während der gesamten Zeit des Nationalsozialismus (mit einem Aufflackern während der Olympiade 1936) gab es besonders in den Wintermonaten im 20. Jahrhundert regelmäßig derartige Veranstaltungen. Unterschieden wurden Maskenbälle, Orchester-Bälle und auch Debütantinnenbälle. In der Zeit der Jahrhundertwende vor dem Ersten Weltkrieg und in den zwanziger Jahren waren die Tuntenbälle gesellschaftliche Höhepunkte, auf denen auch gesellschaftliche Prominenz verkehrte.

Zeit nach Stonewall

Anfang der 1970er-Jahre riefen der Gastwirt Andreas Höhne (eigentlich: Willi Höhne; Inhaber von „Andreas’ Kneipe“ am Wittenbergplatz) und Arthur, damals Betreiber der Kalesche, in Walterschens Ballhaus in der Bülowstraße 37 den Berliner Tuntenball ins Leben. Nach dem Abriss von Walterschens Ballhaus 1975 zog der Tuntenball in die Neuköllner „Neue Welt“ Ab 1978 organisierte Andreas Höhne den Tuntenball ohne Arthur. Fortgeführt 1979 im neu eröffneten Berliner ICC – Comeback-Gaststar war Hildegard Knef – entwickelte sich dieser zum Kultball jährlich zu Beginn der Saison im November. Gefeiert wurden bis 1995 im ICC, ab 1996 im Palais am Funkturm. 1998 wurde er abgesagt – zu hohe Kosten, zu wenig Gäste. Als kleiner Erbe des Tuntenballes galt in Berlin der „Fummelball“, der bis 2000 sechsmal stattfand, unter anderem in der Universal Hall in Moabit. Auch Veranstaltungen wie der „Regenbogenball“, 2001 im Schöneberger Rathaus, gelang es nicht mehr, an diese Tradition erfolgreich anzuknüpfen. Seit den 1990er-Jahren findet in Basel in der Kneipen-Kollektive Hirscheneck alljährlich am 25. Dezember ein Tuntenball statt.

Nach Aufkommen der zweiten Schwulenbewegung, die anfangs politisch stark links, kommerzielle Veranstaltungen ablehnte, wurden Tuntenbälle mehr und mehr durch Großdiskotheken wie das Heaven in London oder – kleiner – das Metropol und Lipstick sowie gesamtdeutsch Die Busche in Berlin abgelöst.

Auch in Wien sind Tuntenbälle in den 1920er-Jahren unter der Bezeichnung „Lila Redoute“ im „Myrthenhof“ verbürgt. In den 1960er Jahren gab es den „Bal Parée“ im „Kopernikusstüberl“ in der Corneliusgasse, wie das „Nightshift“ damals noch hieß.

Gegenwart

Tuntenbälle als Maskenbälle im großen Stil sind selten. Auf eine gewisse Kontinuität kann der Hamburger Tuntenball zurückblicken, der nach fünfjähriger Pause 2011 zum 28. Mal stattfand und für 2012 angekündigt war. In Freiburg hat der explizit nichtkommerzielle Tuntenball eine gewisse Tradition.

In Österreich startete in Graz der Tuntenball 1990 in der Uni-Mensa der ÖH Graz und entwickelte sich über die Jahre zu einem Höhepunkt der Ballsaison im Grazer Congress mit breitem Publikum. Er wird von den RosaLila PantherInnen veranstaltet. Aus der Tradition der Tuntenbälle heraus ist auch der seit 1993 stattfindende Wiener Life Ball mit seinen glamourösen Kostümen entstanden. Der seit 1992 stattfindende Wiener Rosenball hat als Mischung aus Clubbing und Tuntenball begonnen.

Literatur

  • Magnus Hirschfeld: Berlins Drittes Geschlecht. H. Seemann, Berlin/Leipzig 1904, Nachdruck 1991, Verlag Rosa Winkel, ISBN 3-92149559-8 (77 Seiten).
  • Berliner Zeitung, 30. Oktober 2001, S. 21.

Einzelnachweise

  1. In die Hocke, 800 er! In: Der Spiegel. Nr. 48, 1975, S. 173 (online 24. November 1975).
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