Uli-Figuren (auch nalik-Figuren) sind Holzskulpturen, die im Zentrum des kultischen Lebens im mittleren Teil der Insel Neuirland standen. Sie gehören zu den bekanntesten Kunstwerken Neuirlands, das unter dem Namen Neumecklenburg von 1885 bis 1899 unter der Verwaltung der deutschen Neuguinea-Kompagnie stand, von 1899 bis 1914 Teil der Kolonie Deutsch-Neuguinea war und heute zu Papua-Neuguinea gehört. Aus Museumsbeständen und privaten Sammlungen sind insgesamt etwa 250 Uli-Figuren bekannt.
Herkunft und Geschichte
Die Skulpturen wurden zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und 1930 in ihrer Herkunftsregion, dem Gebiet der Madak-Sprachgruppe auf dem Lelet-Plateau im nördlichen Teil Mittel-Neuirlands von Sammlern und Forschungsreisenden entdeckt und nach Europa bzw. Amerika gebracht. Die Uli-Skulpturen standen mit verschiedenen anderen Kulten und Praktiken, wie sexueller Freizügigkeit, Beschneidung der initiierten Jungen, übermodellierten Zeremonialschädeln, und wahrscheinlich auch der Kopfjagd in Verbindung.
Die Kulte und die sexuelle Freiheit, die mit den Uli-Figuren im Zusammenhang standen, wurden von den Missionaren bekämpft, die Uli-Riten verschwanden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.
Beschreibung
Uli bedeutet möglicherweise: „weiß bemalen“. Die aus einem Stück geschnitzten, 1,40 Meter bis zwei Meter großen Skulpturen zeichnen sich durch weiße Bemalung und gedrungene Körperformen aus. Ein massiver Körper mit kurzen, stämmigen Beinen und einem großen, von einem verzierten Scheitelkamm gekrönten, Spiritualität symbolisierenden Kopf mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und breitem Bart kennzeichnet die überwiegende Mehrzahl der Figuren. In den kraftstrotzenden Wesen mit den grimmigen Gesichtern scheinen alle in begrifflichen Kategorien fassbaren Unterschiede aufgelöst. Ob sie Ärger oder Freude ausdrücken, ist ebenso ungewiss wie die Frage ihres Geschlechts. Es sind größtenteils Hermaphroditen mit ausgeprägten weiblichen Brüsten und männlichen Genitalien. Die männlichen Merkmale stehen für körperliche Kraft, die erforderlich ist, um den Verwandtschaftsklan zu beschützen. Die weiblichen Brüste symbolisieren Fruchtbarkeit und die Pflicht, die Gruppe zu nähren. Die Figuren symbolisieren die Macht und Kraft, über die ein Klanführer verfügen musste, um seinen Führungsanspruch behaupten zu können. Da der ideale Anführer sowohl stark und aggressiv als auch nährend und fürsorglich sein sollte, erklärt sich die Zweigeschlechtlichkeit der Uli-Figuren. Charakteristisch für die Uli-Skulpturen sind die kleineren, der Hauptfigur auf den Schultern, vor dem Bauch oder unter den Füßen hinzugefügten Kultfiguren, die die größere Figur duplizieren.
Der deutsche Anthropologe Augustin Krämer, der im frühen 20. Jahrhundert an mehreren Sammlungs- und Forschungsexpeditionen nach Deutsch-Neuguinea teilnahm, sowie andere, ältere wissenschaftliche Quellen vertraten die Auffassung, dass die Uli-Figuren mythische Urahnen bzw. verstorbene männliche Oberhäupter darstellen.
Heute geht man davon aus, dass die Skulpturen weibliche und männliche Merkmale zu einer symbolhaften Darstellung der über die mütterliche und väterliche Linie weitergegebenen Lebensenergie und die zum Fortbestand der Gesellschaft notwendigen männlichen und weiblichen Aspekte verbinden. Sie wurden jedoch nicht für einen bestimmten Ahnen angefertigt.
Vergleichende Forschungen an der Gestalt der Uli-Figuren lassen elf oder zwölf Grundstile unterscheiden. So bezeichnet der Typus lembankákat lakós eine Uli-Figur, die auf einer zweiten, sehr viel kleineren, auf dem Bauch liegenden und nach oben gekrümmten Figur steht. Eine mit diesem Uli-Typ verbundene Legende erzählt von Sokokau aus dem Dorf Paranu, der auf sein Kind Liu stieg, um die Eier aus dem Nest des Vogels Avensik zu nehmen und dabei sein Kind erdrückte. Einige Bildwerke repräsentieren, indem sie auf einer anderen Figur stehen und von dieser getragen werden, den Mond als Verkörperung weiblicher Fruchtbarkeit und männlicher Regenerationskraft. Bei den Skulpturen des Typs selambungin lorong steht auf jeder Schulter der Uli-Figur eine weitere, kleinere Figur. Der Typus lembankakat egilampe bezeichnet Figuren, die als Sinnbild für das Wohlbefinden die Hände auf den Magen legen.
Uli-Kult
Die Figuren wurden im Rahmen von umfangreichen Totengedenkfeiern verwendet, bei denen die Skulpturen unter anderem als Dachaufsätze oder als Zweier- bzw. Dreiergruppen in kleinen konischen Hütten ausgestellt wurden. Die Bewohner benachbarter Dörfer brachten ihre Uli-Figuren zu den Festen des Kultes mit. Sie wurden nicht für jede Feier neu gestaltet, sondern sorgfältig aufbewahrt und durch Bemalung neu belebt. Die kostspieligen Zeremonien, die mehrjähriger Vorbereitungen bedurften, setzten sich aus einer Serie einzelner Feste zusammen, die sich über Jahre hinzogen. Tänze und Festessen prägten das öffentliche Geschehen, während die rituellen Handlungen weitgehend im Verborgenen vollzogen wurden. Es wurden Übergangsriten vom Leben zu einer anderen, nicht sichtbaren Existenz zelebriert. Die Männer übernahmen die normalerweise den Frauen zugeschriebene Rolle des Ernährens im weitesten Sinne und stellten, mit Hilfe künstlicher Brüste und „weiblicher“ Baströcke, deren Rolle dar. Nach dem Totenfest bewahrte man die Figuren eingewickelt in den Zeremonialhäusern auf. Oft wurden sie auch an andere Inselbewohner, die eine Totenfeier auszurichten hatten, weiterverkauft.
Rezeption
Die Kunstwerke aus Neuirland haben gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele westliche Künstler inspiriert und beeinflusst, so zum Beispiel deutsche Expressionisten wie Emil Nolde. Noldes Gemälde „Stillleben mit Holzfigur“ wurde im Museum Folkwang in Hagen und später in Essen zusammen mit Uli-Figuren ausgestellt. André Breton schrieb in seinem Gedicht „Uli“: „Sicher bist ein großer Gott …. du ängstigst, du verzauberst“.
Uli-Figuren in Museen und privaten Sammlungen
Uli-Figuren gibt es in ethnologischen Sammlungen rund um die Welt. Zwei Uli-Figuren zeigt das Ethnologische Museum Berlin in der Dauerausstellung „Südsee“. Eine von Franz Boluminski, der ab 1900 Stationsleiter und Bezirksverwalter von Nord-Neumecklenburg war, gesammelte Figur wurde 1908 im Linden-Museum in Stuttgart inventarisiert. In die Sammlung des Museum Folkwang gelangten die Kunstwerke durch Vermittlung des Malers Emil Nolde, der 1913 im Rahmen der „Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition“ in die Südsee reiste. Die Missionsschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu von Hiltrup verwahren eine Sammlung der Patres Peekel und Fink, die zwischen 1904 und 1942 als Missionare auf der Insel Neuirland tätig waren. Sie hatten etwa 50 größere und mehrere kleinere Stücke erworben.
Literatur
- Brigitte Derlon: De mémoire et d’oubli: anthropologie des objets malanggan de Nouvelle-Irlande. CNRS Éditions/Éditions de la Maison des sciences de l’homme, [ohne Ort] 1997, ISBN 2-7351-0752-3, S. 111 (Direktlink zur Seite 111 in der Google-Buchsuche).
- Philip C. Gifford: The Iconology of the Uli Figure of Central New Ireland. Dissertation, New York, Columbia University 1974: 219 (Nummer 64).
- Michael Gunn: Ritual Arts of Oceania: New Ireland. Skira editore, Mailand 1997, ISBN 88-8118-207-6, S. 37–63.
- Michael Gunn, Pierre-Alain Ferrazzini: Ritual Arts of Oceania, New Ireland. In: Collections of the Barbier-Mueller Museum, Skira International Corporation, [ohne Ort] 2005.
- Gerhard Peekel: Uli und Ulifeier oder vom Mondkultus auf Neu Mecklenburg. Archiv für Anthropologie, Band 23, Braunschweig 1932, S. 41–75.
Weblinks
Einzelnachweise
- 1 2 3 4 Uli-Figur aus Zentral-Neuirland Bildwelten – Afrika, Ozeanien und die Moderne, 25. Januar 2009 – 28. Juni 2009, Ausstellung der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel
- ↑ Ethnologue, Languages of the World: Madak, A language of Papua New Guinea
- ↑ keine Autorenangabe: Figure (uli), Mandak-Barak area, Lelet Plateau, Central New Ireland. The Metropolitan Museum of Art, New York
- 1 2 3 4 5 Yvonne Mensching: Ein Meisterwerk der „Südsee-Kunst“ (Memento des vom 7. September 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Museumsportal Berlin
- 1 2 Niklas Maak: (2. Oktober 2007) Südseekunst in Dahlem, Der Mann mit dem Tropenhelm Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 229, Frankfurt 2007 S. 43
- ↑ Claudia Kuhland: Uli-Figur im Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln
- ↑ keine Autorenangabe:Uli-Figur im Übersee-Museum Bremen (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven.) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ keine Autorenangabe: Uli-Skulpturen (Memento des vom 25. Juli 2009 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Staatliches Museum für Völkerkunde München, Freundeskreis
- ↑ Brigitte Derlon: De mémoire et d'oubli: anthropologie des objets malanggan de Nouvelle-Irlande, CNRS Éditions/ Éditions de la Maison des sciences de l’homme, 1997, ISBN 2-7351-0752-3, S. 111
- 1 2 keine Autorenangabe: Figure (Uli), Typ lembankakat lakos, Brooklyn Museum, Collections, Arts of the Pacific Islands
- ↑ keine Autorenangabe: Männliche Figur, nalik, 18./19. Jahrhundert. (Memento des vom 14. September 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Fondation Beyeler
- ↑ keine Autorenangabe: Uli-Figur vom Typ selambungin lorong. Los Angeles County Museum of Art
- 1 2 Mario von Lüttichau: Uli-Figur vom Typ lembankákat ëgilámpe Museum Folkwang
- ↑ keine Autorenangabe: Uli aus der völkerkundlichen Sammlung des Julius-Riemer-Museums Wittenberg Museum für Stadtgeschichte, Naturkunde und Völkerkunde „Julius Riemer“, Lutherstadt Wittenberg
- ↑ Museum Folkwang Essen: Emil Nolde - Stillleben mit Holzfigur, Kulturstiftung der Länder, Patrimonia Nr. 91, Berlin 1995
- ↑ André Breton: Uli Association Atelier André Breton
- ↑ Info des Landesmuseums Hannover in der Menschenwelten-Ausstellung