Ulrich Gaudenz Müller (* 18. Oktober 1922 in Winterthur; † April 2005 in Zürich-Höngg) war ein Schweizer Pionier der Computerlinguistik. Gemeinsam mit dem Germanisten und Computerlinguisten Raimund Drewek gelang ihnen bereits 1981 bis 1999 die Entwicklung eines Systems zur Textgenerierung, genannt SARA (Satz-Random-Generator).

Leben

Nach dem Besuch der Primar- und der Kantonsschule (Gymnasium), der 1941 abgelegten Maturität (Abitur) an der Kantonsschule Winterthur, nahm er ein Medizinstudium in Zürich und Genf auf. 1947 legte Gaudenz das Eidgenössische Staatsexamen in Zürich ab und arbeitete anschliessend als Assistenzarzt mit Ausbildung in Psychiatrie, Chirurgie und Frauenheilkunde. Die Dissertation bei Manfred Bleuler, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich von 1950 lautet Gesunde Familien Schizophrener im Rorschach-Versuch. Seit 1954 betrieb er eine eigene Praxis in Zürich(-Altstetten) als Spezialarzt FMH für Gynäkologie und Geburtshilfe. 1973 begann er ein Ägyptologiestudium an der Universität Zürich bei Peter Kaplony, Nebenfach Urgeschichte (E. Vogt, M. Primas). An Ostern 1975 kam ein erster Kontakt mit Raimund Drewek (Computerlinguist am Deutschen Seminar der Universität Zürich) zustande und seit diesem Jahr bis etwa 1981 besuchte Gaudenz Lehrveranstaltungen zur Sprachdatenverarbeitung und Computerlinguistik zusammen mit Guido Würth. 1977 nach dem Lizentiat (Magister) der philosophischen Fakultät der Universität Zürich, arbeitete er an Visualisierungsmethoden für numerische Merkmalsdarstellung („Chernoff Plot“) zusammen mit Guido Würth.

1982 erfolgte die Promotion zum Dr. phil. in Ägyptologie mit einer Computerlinguistischen Studie zu 315 altägyptischen Göttersprüchen. Von 1981 bis 1999 war er an der Entwicklung eines Systems zur Textgenerierung „Sara“ in MProlog Produktion von Texten mit Sara am Rechenzentrum der Universität Zürich tätig. 1996 lernte er Bernd Josef Bartolome kennen und arbeitete intensiv mit ihm zusammen. Im Februar 1998 zog er sich wegen des Todes seiner Ehefrau ins Privatleben zurück. Mehrere Schlaganfälle mit Lähmungsfolge beendeten sein aktives Berufsleben. Er verstarb 2005 im April in Zürich-Höngg nach schwerer Krankheit.

SARA

Das Programm SARA produziert mit Zufallsgeneratoren, Selektionsmatrizen und einem Wortgedächtnis auf variierenden Aktionsebenen verständliche Texte mit stimmbaren Adjektiven und satzübergreifendem semantischem Duktus. Das Weltwissen von Sara, die Textmodelle und Denkmuster liegen in mehrdimensionalen Matrizen. Zur synthetischen Herstellung von Texten füllt Sara die syntaktischen Nischen mit randomisiertem Inhalt. Sara generiert moderne Lyrik, Gedichte und Prosa. Für Text-Variationen randomisiert Sara Syntax oder Inhalt der ausgewählten Texte. Es entstehen „Artefakte von Celan bis Blick“. In Anlehnung an CAD (Computer Aided Design) nennt Müller dieses „poetische Randomsystem“ carp (computer aided random poetry).

Sara imitiert die menschliche Textproduktion; anstelle der Phantasie des Schriftstellers tritt der Zufallsgenerator. Werden die syntaktischen Nischen eines Celangedichtes nicht mit Zufallsworten aus dem Celanlexikon, sondern mit Zufallsworten aus dem Nietzschelexikon gefüllt, so bleibt das Gedicht ein „Celan-Gedicht“; die syntaktische Struktur dominiert, das Lexikon coloriert. Sara imitiert die Texte empirisch; gesteuert durch die syntaktischen und semantischen Topographien der zugrunde liegenden Texte generiert sie die randomisierten Textvariationen. Bei der Nachbildung bleibt Sara nicht bei einer reinen Kopie des Gedichtes stehen, sondern übernimmt die metrische Struktur und variiert mit dem Zufallsgenerator den Inhalt. Sara kreiert Gedichte und Prosa mit variierenden literarischen Algorithmen. Stereotypien sind naturgemäss die Domäne des Computers.

Ein Sara-Text entsteht folgendermassen: Ohne Computer wird ein beliebiger Text in Nischen zerlegt; pro Nische werden dem Lexikon diverse Variationen eingegeben. Das Programm Sara füllt mit dem Zufallsgenerator diese Nischen mit dem entsprechenden Inhalt. Die Nischenfüllungen, also Worte oder Frasmen, können im Lexikon mit semantischen oder syntaktischen Markern versehen werden.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Zentralblatt für die gesamte Neurologie und Psychiatrie, Band 111
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