Im Unabhängigkeitsreferendum im Südsudan 2011, das vom 9. bis zum 15. Januar 2011 stattfand, entschied die Bevölkerung des Südsudans darüber, ob das Gebiet Teil des Sudans bleiben oder als eigener Staat unabhängig werden würde.

Dem amtlichen Endergebnis zufolge sprachen sich rund 99 % der Wähler für die Unabhängigkeit aus. 3,8 Millionen Wähler stimmten für einen unabhängigen Staat, nur knapp 45.000 sprachen sich für den Verbleib beim Sudan aus. Infolgedessen wurde der Südsudan am 9. Juli 2011 unabhängig.

Hintergrund

Das Referendum geht auf den Friedensvertrag von 2005 zurück, der den Sezessionskrieg im Südsudan beendete. Davor hatten Rebellen im Südsudan 1956–1972 und erneut ab 1983 für eine größere Autonomie oder Unabhängigkeit gekämpft, wogegen die Zentralregierung unter Einsatz der Armee und paramilitärischer Milizen vorging. Gründe für den Konflikt waren die historischen Beziehungen zwischen Süd- und Nordsudan, wirtschaftliche Interessen an den natürlichen Ressourcen des Südens, ethnische und religiöse Disparitäten und die mangelnde politische Teilhabe des Südsudans sowohl in der eigenen Region als auch im Gesamtstaat.

Gemäß dem Friedensabkommen, das die Regierung und die SPLA-Rebellen 2005 schlossen, wurde der Südsudan zur autonomen Region innerhalb des Sudan, und für Anfang 2011 wurde ein Referendum angesetzt, in dem sich die südsudanesische Bevölkerung zwischen Unabhängigkeit und Verbleib im Sudan entscheiden sollte.

Parallel dazu war ein eigenes Referendum für das umstrittene Gebiet Abyei geplant, welches entscheiden sollte, ob dieses Gebiet künftig zum Norden oder zum Süden gehören soll. Dieses Referendum wurde jedoch bis auf Weiteres abgesagt, da sich Norden und Süden nicht darauf einigen konnten, wer wahlberechtigt sein würde. Für die Nubaberge und Teile von an-Nil al-azraq – die im Nordsudan liegen, wo sich aber Teile der Bevölkerung auf Seiten des Südens am Krieg beteiligt hatten – sind Volksbefragungen (Popular Consultations) vorgesehen, was allerdings nur vage definiert ist.

Vorbereitungen

Der sudanesische Präsident Omar al-Baschir betonte im April 2010, er werde das Ergebnis des Referendums anerkennen. Dies wurde jedoch wegen der großen wirtschaftlichen Bedeutung der Erdölvorräte im Südsudan bezweifelt.

Im Oktober 2010 wurde bekannt, dass die Vorbereitungen für das Referendum um Wochen hinter dem Zeitplan lagen. Der Vorsitzende der Wahlkommission, Mohammed Ibrahim Khalil, gab bekannt, dass die Registrierung der Wähler erst im November stattfinden könne.

Mitte November 2010 begann in den 2600 Stationen die Registrierung für die Wahl, die bis zum 1. Dezember dauerte. Die Partei von Omar al-Baschir, die Nationale Kongresspartei (NCP), warf der früheren Rebellenbewegung SPLM vor, die Registrierung in der Hauptstadt Khartum zu behindern. Die SPLM befürchtete ihrerseits, dass die NCP dort Nordsudanesen auf die Liste setzen würde, die dann durch einen Wahlboykott die Wahlbeteiligung unter den erforderlichen Wert von 60 Prozent drücken sollen.

Wegen des Bürgerkriegs waren seit den 1980er Jahren zahlreiche Südsudanesen in den Norden geflohen. Mitte 2010 lebten etwa 2,5 Millionen Flüchtlinge im Großraum Khartum. Über eine Million von ihnen kehrte Ende 2010 in ihre Heimat zurück, um am Referendum teilzunehmen. Im Falle der Unabhängigkeit erhofften sie sich dort größere Sicherheit und bessere Lebensbedingungen. Die Stimmabgabe war zwar auch im Norden möglich, jedoch befürchteten die meisten Südsudanesen Wahlfälschungen und spätere Übergriffe vonseiten des sudanesischen Regimes. Unter anderem hatte ein Minister im Falle der Unabhängigkeit mit Racheakten gedroht. Die Wahlbüros in Khartum blieben bei der Registrierung daher weitgehend leer, was gleichermaßen für das Referendum am 9. Januar 2011 erwartet wurde, jedoch ausblieb.

Am Ende der Wählerregistrierung hatten sich etwa vier Millionen Personen im Südsudan erfassen lassen sowie einige weitere zehntausend Südsudanesen im Nordsudan sowie Exil-Sudanesen in den afrikanischen Nachbarstaaten, in Nordamerika und Europa.

Da die Mehrheit der Südsudanesen Analphabeten sind, war die Gestaltung der Wahlzettel Gegenstand von Diskussionen. Man einigte sich schließlich auf eine winkende Hand als Symbol für „Unabhängigkeit“ und zwei treue Hände als Symbol für „Einheit“. Die Wählenden würden die Zettel per Fingerabdruck ausfüllen. Das Bild der winkenden Hand wurde mit Plakaten, Aufklebern, T-Shirts etc. bekannt gemacht.

Internationale Wahlbeobachtung

Es bestanden Befürchtungen, dass es nach dem Referendum zu einem erneuten Krieg zwischen Norden und Süden kommen könnte. Beide Seiten hatten im Vorfeld massiv aufgerüstet. In den Vorjahren hatte die SPLM dem Norden vorgeworfen, er rüste heimlich Stammesmilizen auf, um den Süden zu destabilisieren.

Das Referendum wurde von rund 3.000 ausländischen Wahlbeobachtern überwacht, darunter mehr als 100 EU-Wahlbeobachter, Vertreter des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sowie Beobachter der Afrikanischen Union, verschiedener Kirchen und lokaler Nichtregierungsorganisationen.

Die Organisation Not on Our Watch organisierte in Zusammenarbeit mit Google, den Vereinten Nationen und verschiedenen Anti-Genozid-Organisationen unter dem Namen Satellite Sentinel eine durchgehende Überwachung des Gebietes mit hoch auflösenden Echtzeitsatellitenbildern. Im Fokus befanden sich Truppenbewegungen und Veränderungen unter der Zivilbevölkerung.

Durchführung

Das Referendum startete plangemäß und alle Wahllokale öffneten pünktlich. Die Verantwortung trug die nationale Referendumskommission in Khartum. 60.000 Polizisten beschützten die Urnen und die Wahllokale.

Beobachter lobten den überwiegend friedlich verlaufenden Wahlprozess und berichteten von einer hohen Wahlbeteiligung. Nur wenige gewaltsame Zwischenfälle wurden registriert. So wurden am 9. Januar 2011 in Abyei bei zwei Angriffen mit Panzerabwehrwaffen und Artillerie 20 südsudanesische Polizisten getötet und 30 verletzt. Die südsudanesische Regierung bezichtigte arabische Stammesangehörige und die nordsudanesischen Streitkräfte, den Angriff durchgeführt zu haben. Ansonsten soll das Referendum friedlich begonnen haben.

Ergebnisse

Am 12. Januar 2011 gab die SPLM bekannt, dass das nötige Quorum von 60 Prozent erreicht worden sei. Bereits die ersten Zwischenergebnisse wiesen auf eine Zustimmung von rund 99 Prozent für die Unabhängigkeit hin. Am 25. Januar äußerte sich der sudanesische Präsident Omar Hassan al-Baschir erstmals öffentlich zu den Ergebnissen und erkannte an, dass der Süden für die Unabhängigkeit gestimmt habe.

Das am 30. Januar 2011 veröffentlichte vorläufige amtliche Ergebnis bestätigte die Zwischenergebnisse. Demnach sprachen sich 3,8 Millionen Wähler (98,8 Prozent) für die Unabhängigkeit aus. Nur knapp 45.000 Südsudanesen stimmten für die Einheit, vor allem im Nordsudan, wo der Anteil der Stimmen für die Unabhängigkeit mit 58 % deutlich am tiefsten war. Die einzige Region, in der sich eine Mehrheit der Abstimmenden gegen die Unabhängigkeit aussprach, war Süd-Darfur, wo allerdings nur etwa 9.000 Personen abstimmten. Auch die Südsudanesen im Ausland, die vor allem in den Nachbarstaaten Kenia, Uganda, Äthiopien und Ägypten ihr Wahlrecht ausübten, stimmten mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeit.

In der ersten offiziellen Reaktion aus Khartum nach der Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnis sagte Vizepräsident Ali Osman Taha am 31. Januar 2011, dass die Regierung des Sudan mit dem Ausgang der Volksabstimmung einverstanden sei. Der Vizepräsident versprach, gute Beziehungen zu dem neuen Staat anzustreben. Am 9. Juli 2011 wurde der 193. Staat der Welt offiziell gegründet.

Das amtliche Endergebnis wurde am Abend des 7. Februar 2011 in Juba bekanntgegeben. Die sudanesische Regierung unter al-Baschir hatte kurz zuvor mitgeteilt, dass sie die Unabhängigkeit des Südsudans anerkennen wird. Am 9. Juli 2011 wurde der Südsudan unabhängig.

Region/Bundesstaatabgegebene
Stimmen
für die
Unabhängigkeit
gegen die
Unabhängigkeit
Ungültige
Stimmen
leere
Stimmzettel
für die
Unabhängigkeit
in Prozent
gegen die
Unabhängigkeit
in Prozent
Central Equatoria (Zentral-Äquatoria) 457.439 449.311 4.985 1.523 1.620 98,90 % 1,1 %
Eastern Equatoria (Ost-Äquatoria) 463.706 462.663 246 70 727 99,95 % 0,05 %
Jonglei 430.056 429.583 111 124 238 99,97 % 0,03 %
Lakes (Seen) 299.040 298.214 227 149 450 99,92 % 0,08 %
Northern Bahr el Ghazal (Gazellen-Fluss (Nord)) 382.049 381.141 234 148 526 99,94 % 0,06 %
Unity (Einheit) 498.231 497.477 190 166 498 99,98 % 0,02 %
Upper Nile (Obernil) 347.390 344.671 1.815 381 523 99,48 % 0,52 %
Warrap 469.648 468.929 167 120 432 99,96 % 0,04 %
Western Bahr el Ghazal (Gazellen-Fluss (West)) 162.594 153.839 7.237 728 790 95,51 % 4,49 %
Western Equatoria (West-Äquatoria) 214.041 211.639 1.017 382 1.003 99,52 % 0,48 %
Südsudanesen im Nordsudan 69.597 38.003 27.918 2.230 1.446 57,65 % 42,35 %
Südsudanesen im Ausland 58.203 57.048 841 201 113 98,55 % 1,45 %
Gesamt 3.851.994 3.792.518 44.888 8.366 6.222 98,83 % 1,17 %

Siehe auch

Literatur

  • James Copnall: A Poisonous Thorn in Our Hearts: Sudan and South Sudan's Bitter and Incomplete Divorce. C. Hurst & Co., London 2014, ISBN 978-1-84904-330-4.
Commons: Unabhängigkeitsreferendum im Südsudan – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 1 2 Südsudanesen stimmen für Unabhängigkeit vom Norden In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Januar 2011.
  2. Ilona Eveleens: Der Zankapfel im Herzen des Sudans. auf taz.de, 4. Januar 2011.
  3. The Nuba Mountains – straddling the north-south divide. In: IRIN News vom 12. November 2009.
  4. Thomas Scheen: Ränke um Öl, Ethnien – und Krieg. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 22. September 2010, abgerufen am 22. September 2010.
  5. Zittern vor der Spaltung. In: Frankfurter Rundschau. 7. Oktober 2010, abgerufen am 7. Oktober 2010.
  6. Wer ist aus dem Süden, und wer nicht? In: taz.de. Abgerufen am 9. Januar 2011.
  7. Southern returnee deluge leaves aid workers in a quandary. In: IRIN News vom 28. Dezember 2010. Abgerufen am 4. Januar 2011.
  8. Weltspiegel-Reportage: Neue Völkerwanderung im Sudan. (Memento vom 19. Dezember 2010 im Internet Archive) 18. Dezember 2010. Abgerufen am 9. Januar 2011.
  9. Simone Schlindwein: Ich möchte die Freiheit noch erleben. In: Die Tageszeitung. 8. Dezember 2010, abgerufen am 9. Dezember 2010.
  10. 1 2 3 Vorfreude auf einen neuen Sudan. In: tagesschau.de. 9. Januar 2011, archiviert vom Original am 12. Januar 2011; abgerufen am 11. Januar 2011.
  11. Josh Kron: Referendum Logos Accent Challenges Facing Sudan. In: The New York Times vom 13. Januar 2011.
  12. Wikileaks: US ‘aware of’ Kenya-Southern Sudan arms deal. In: BBC News vom 9. Dezember 2010. Abgerufen am 4. Januar 2011.
  13. Khartoum denies arming militias. In: BBC News vom 13. August 2009. Abgerufen am 4. Januar 2010.
  14. 1 2 3 Ansturm auf die Wahllokale. In: Die Tageszeitung. 9. Januar 2011, abgerufen am 11. Januar 2011.
  15. Die Welt schaut zu. In: ORF. 30. Dezember 2010, abgerufen am 30. Dezember 2010.
  16. 1 2 20 Polizisten in Sudan getötet. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 10. Januar 2011, abgerufen am 10. Januar 2011.
  17. vgl. Referendum im Südsudan abgeschlossen bei derstandard.at, 15. Januar 2011 (aufgerufen am 16. Januar 2011)
  18. Krawalle in Grenzregion zwischen Nord- und Südsudan. In: Neue Zürcher Zeitung. 10. Januar 2011, abgerufen am 11. Januar 2011.
  19. Nötige Wählerquote bei Volksabstimmung im Sudan erreicht. In: ORF. 12. Januar 2011, abgerufen am 12. Januar 2011.
  20. Dominic Johnson: Südsudan stimmt für Unabhängigkeit. auf taz.de, 21. Januar 2011.
  21. Weg frei für Unabhängigkeit. In: Domradio, 25. Januar 2011.
  22. Südsudan feiert Unabhängigkeit. In: Süddeutsche Zeitung. 9. Juli 2011, abgerufen am 10. Juli 2011.
  23. Südsudanesen stimmen klar für Unabhängigkeit. In: Neue Zürcher Zeitung. 7. Februar 2011, abgerufen am 9. Februar 2011.
  24. Al-Baschir erkennt Unabhängigkeit des Südsudan an. In: ORF. 7. Februar 2011, abgerufen am 7. Februar 2011.
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