Walter Stahlecker (* 10. Oktober 1900 in Sternenfels; † 23. März 1942 bei Krasnogwardeisk, Sowjetunion) war ein deutscher Jurist, Polizist und SS-Führer, zuletzt SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei. Stahlecker amtierte unter anderem als Leiter des Württembergischen Politischen Landespolizeiamtes (1934–1936) sowie als Befehlshaber der Einsatzgruppe A und als Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im Bereich des Reichskommissariats Ostland.

Leben

Jugend und Ausbildung

Walter Stahlecker war das zweite von vier Kindern des Sternenfelser Pfarrers und späteren Oberstudiendirektors Eugen Stahlecker und seiner Ehefrau Anna Zaiser. Sein älterer Bruder war Rudolf Stahlecker.

Stahlecker wuchs ab seinem 6. Lebensjahr in Tübingen auf, nachdem sein Vater die Leitung der dortigen Mädchenrealschule übernommen hatte. Vom 21. September bis 7. Dezember 1918 leistete er Militärdienst. Er besuchte ein Gymnasium in Tübingen, das er 1920 mit der Reifeprüfung verließ. Anschließend studierte er Rechtswissenschaft an der Universität Tübingen. Während seines Studiums gehörte er der Studentenverbindung Lichtenstein, dem freiwilligen Tübinger Studentenkorps und der Polizeiwehr an. Außerdem bewegte er sich in den frühen 1920er Jahren im Umfeld des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes und der Organisation Consul. 1924 schloss Stahlecker sein Studium mit der ersten juristischen Staatsprüfung ab. Anschließend leistete er von Dezember 1924 bis November 1927 den Juristischen Vorbereitungsdienst bei den Amtsgerichten Reutlingen und Tübingen, beim Landgericht Tübingen und in einer Reutlinger Rechtsanwaltskanzlei ab. 1927 bestand er die Große Juristische Staatsprüfung. Kurz zuvor promovierte er zum Dr. jur.

Vom 7. März 1928 bis zum 27. August 1930 amtierte Stahlecker als Amtmann in den Oberämtern Ehingen und Saulgau. Anschließend bekleidete er vom 28. August 1930 bis zum 28. Mai 1933 den Posten des Arbeitsamtsdirektors in Nagold. Während dieser Zeit heiratete er am 14. Oktober 1932 Luise-Gabriele Freiin von Gültlingen, die später – nach dem Tod Stahleckers – Otto Bittelmann ehelichte. Aus der Ehe Stahleckers gingen vier Kinder hervor.

Zeit des Nationalsozialismus

Einige Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten trat Stahlecker im Mai 1933 in die NSDAP (Mitgliedsnummer 3.219.015) ein. Sein Eintritt wurde später aus optischen Gründen auf das Jahr 1932 rückdatiert (Mitgliedsnummer 1.069.130). Zum 23. November 1933 wechselte Stahlecker als Oberregierungsrat zur Vertretung Württembergs bei der Reichsregierung in Berlin.

Am 29. Mai 1933 wurde Stahlecker zum stellvertretenden Leiter des Württembergischen Politischen Landespolizeiamtes ernannt. Leiter des Amtes war Hermann Mattheiß, zu dem Stahleckers Verhältnis gespannt war. Am 14. Mai 1934 wurde Stahlecker Mattheiß’ Amtsnachfolger und wurde am 11. Mai 1937 an die Staatspolizeistelle Breslau versetzt.

Kurz nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde Stahlecker zum 20. Mai 1938 zum Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD in Österreich ernannt. Der für das „angeschlossene“ Österreich zuständige Reichskommissar Josef Bürckel richtete am 20. August 1938 die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien ein, die formell Stahlecker unterstand, tatsächlich jedoch von Adolf Eichmann geleitet wurde. Als Vertrauensmann von Reinhard Heydrich war Stahlecker dort der Antipode von Ernst Kaltenbrunner. Ein Jahr später, nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei, wurde er zum 2. Juni 1939 zum Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) im Protektorat Böhmen und Mähren ernannt.

Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Stahlecker im Mai 1940 als BdS nach Oslo geschickt, wo er bis November 1940 tätig war. Vom 14. November 1940 bis zum 18. Juni 1941 war er Ministerialrat im Auswärtigen Amt.

In der Hoffnung auf eine Karriere im RSHA übernahm Stahlecker im April 1941 als SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei die Leitung der Einsatzgruppe A für die zu besetzenden Gebiete in der Sowjetunion. Die etwa 1000 Mann große Einsatzgruppe folgte nach dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni desselben Jahres der Heeresgruppe Nord in die baltischen Staaten bis vor Leningrad, um im Sinne der Rassenideologie des NS-Regimes Massenexekutionen im rückwärtigen Frontgebiet durchzuführen. Am 4. Juli 1941, fünf Tage nach der Einnahme Rigas, ließ er – mit Ausnahme der Peitav-Synagoge – alle Synagogen der Stadt niederbrennen, als Signal für den beginnenden Massenmord. Dazu stellte er das Kommando Arājs auf.

Stahleckers Einsatzgruppe erwies sich im folgenden halben Jahr als die „effektivste“ aller zu dieser Zeit eingesetzten Einheiten beim Massenmord: Bis zum Winter 1941 meldete er nach Berlin die Tötung von 249.420 Juden.

Ab Herbst 1941 war Stahlecker BdS im Reichskommissariat Ostland. In dieser Eigenschaft ließ er Ende 1941 das Lager Jungfernhof bei Riga einrichten.

Am 22. März 1942 erlitt Stahlecker bei einem Partisanenangriff in der Nähe seines Hauptquartiers eine Schussverletzung an einer Hauptarterie im Oberschenkel. Er wurde in einem Lazarett in Riga behandelt, verstarb aber infolge seines Blutverlustes auf dem Flug nach Prag, wo seine Familie lebte. In Prag wurde Stahlecker ein offizielles Staatsbegräbnis ausgerichtet, bei dem Reinhard Heydrich die Totenrede hielt und zu dem Himmler und Ribbentrop Totenkränze schickten.

Beförderungen

Beförderungen in der SS:

  • 1938: SS-Standartenführer
  • 6. Februar 1941: SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei

Literatur

  • Lutz Hachmeister: Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six. Beck, München 1998, ISBN 3-406-43507-6.
  • Heinz Höhne: Der Orden unter dem Totenkopf. S. Mohn, Gütersloh 1967.
  • Helmut Krausnick, Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938–1942. DVA, Stuttgart 1981, ISBN 3-421-01987-8.
  • Hans-Joachim Lang: Die mörderische Karriere des Walter Stahlecker. In: Schwäbisches Tagblatt. 18. Mai 1996.
  • Jürgen Schuhladen-Krämer: Die Exekutoren des Terrors. Hermann Mattheiß, Walter Stahlecker, Friedrich Mußgay. Leiter der Geheimen Staatspolizeileitstelle Stuttgart. In: Michael Kißener, Joachim Scholtyseck (Hrsg.): Die Führer der Provinz. Konstanz 1999, S. 405–443.
  • Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes. Hamburger Edition, Hamburg 2002, ISBN 3-930908-75-1.
  • Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945. Band 4: S. Herausgegeben vom Auswärtigen Amt, Historischer Dienst, Bearbeiter: Bernd Isphording, Gerhard Keiper, Martin Kröger. Schöningh, Paderborn u. a. 2012, ISBN 978-3-506-71843-3.
  • Sigrid Brüggemann: Walter Stahlecker, Chef der Gestapo in Stuttgart und Massenmörder. In: Hermann G. Abmayr (Hrsg.): Stuttgarter NS-Täter. Vom Mitläufer bis zum Massenmörder. Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-89657-136-6, S. 126–133.
  • Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier (Hrsg.): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern. Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 3-89657-138-9.

Einzelnachweise

  1. Hans Safrian: Eichmann und seine Gehilfen. Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-596-12076-4, S. 41.
  2. Marģers Vestermanis: Juden in Riga. Auf den Spuren des Lebens und Wirkens einer ermordeten Minderheit. 3. verbesserte und erweiterte Ausgabe in deutscher Sprache. Edition Temmen, Bremen 1995, ISBN 3-86108-263-2, S. 18.
  3. Marģers Vestermanis: Juden in Riga. Auf den Spuren des Lebens und Wirkens einer ermordeten Minderheit. 3. verbesserte und erweiterte Ausgabe in deutscher Sprache. Edition Temmen, Bremen 1995, S. 19.
  4. Walter Stahlecker: Einsatzgruppe A – Gesamtbericht zum 15. Oktober 1941. (PDF abgerufen auf der Library of Congress) In: Vol. XXXVII, S. 677 ff. Trial of the Major War Criminals before The International Military Tribunal, Nuremberg, 14 November – 1 October 1946, 1949, abgerufen am 19. Mai 2020.
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