Als Wiege bezeichnet man ein meist hölzernes schaukelndes Bett für Babys und Kleinkinder. Charakteristisch ist, dass man dieses Bett von außen schaukeln kann und es auch durch die Eigenbewegungen des Kindes bewegt wird. Allgemein wird angenommen, dass die schaukelnde Bewegung das Kind beruhigt.
Das Wort "Wiege" kann auch im übertragenen Sinn verwendet werden und bezeichnet dann den Ursprungsort einer Sache oder sozialer Phänomene.
Geschichte und Formen
Bestimmte Formen der Wiege sind schon aus vormodernen Kulturen belegt, wobei es sich meist um Tragewiegen handelt. Bewegliche Wiegen (z. B. Rollwiegen) wurden bereits in der Antike verwendet. Zahlreiche mittelalterliche und frühneuzeitliche Abbildungen zeigen, dass die Babys gewickelt, d. h. also fest eingeschnürt, in diese Wiegen gelegt wurden. Zusätzlich wurden sie oftmals mit Bändern festgehalten, die über die Wiege geführt wurden, wie es der Arzt Felix Würtz im 16. Jahrhundert beschrieb. Zglinicki zeigt in seiner Monographie zur Wiege zahlreiche Abbildungen, die entsprechende Vorrichtungen zum Festbinden der Babys aufweisen. Die Bänder zum Festbinden der Babys in der Wiege werden mittellateinisch als cunarum vincula, also als Wiegenfesseln bezeichnet. Um 1800 setzte eine Kontroverse über das gesundheitliche Für und Wider des Schaukelns ein und mit dem Aufkommen von Rollbettchen und Kinderwagen verschwand die Wiege aus dem Bürgerhaus, auf dem Lande blieb sie weiter in Gebrauch. Als Puppenmöbel blieben Wiegen auch bis ins 20. Jahrhundert hinein beliebt.
Es gibt zahlreiche Formen der Wiege im Sinne einer Tragevorrichtung. Diese Tragewiegen werden beispielsweise bei den indigenen Völkern Amerikas als cradleboard (deutsch: Wiegenbrett) bezeichnet. Das cradleboard hat einige Entsprechungen bei asiatischen Gruppen und auch bei den Samen, wo diese Vorrichtung als Komse bezeichnet wird.
Eine Sonderform der Wiege stellt die japanische Ejiko dar, ein korbartiger Behälter, in den der Säugling gebunden hineingesetzt wurde. Die Ejiko enthält mehrere Materiallagen zur Aufnahme von Urin und Kot des Kindes. Manche europäischen und nahöstlichen Wiegen hatten Abfluss- bzw. Drainagevorrichtungen, die dafür sorgten, dass der Urin der Babys abfließen konnte.
Auf zahlreichen europäischen Wiegen waren Pentagramme oder religiöse Zeichen angebracht, wie sie auch sonst zur Dämonenabwehr vielfach an Betten, Türen, Fenstern, Bauwerken etc. vorkamen. Das Wappen von Groß Schwechten zeigt eine Wiege.
Ein modernes Wiegen-Design entwickelte der Bauhaus-Schüler Peter Keler 1922, als er die Bauhaus-Wiege als Bett mit rundem Stahlrohrrahmen entwarf. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts galten Wiegen eine Zeit lang als altmodisch und überholt, in den letzten Jahren erleben sie allerdings eine Renaissance.
Eine Federwiege ist eine Wiege, die an einer Stahlfeder aufgehängt wird und im Unterschied zu klassischen Wiegen oder Stubenwagen nicht vor und zurück, sondern auf und ab wippt.
- Antike Darstellung eines Kindes in der Wiege in Paestum
- Indische Wiege (Zeichnung von 1820)
- Wiege Heinrich V (1386)
- Wiege von Karl XII.
- Wiege mit Pentagramm auf Gängel (ca. 1770)
- Empire-Zimmer mit Kinderwiege in Schloss Hinterglauchau (Wiege vor 2021 restituiert an Haus Schönburg)
- Samische Mutter mit Säugling in der Komse, 1917
- Indische Wiege
Literatur
nach Autoren / Herausgebern alphabetisch geordnet
- Ralph Frenken: Gefesselte Kinder: Geschichte und Psychologie des Wickelns . Wissenschaftlicher Verlag Bachmann. Badenweiler 2011.
- Mary Rosario Gorman: The nurse in Greek life (Dissertation). Boston 1917.
- Peter Keller: Die Wiege des Christuskindes. Ein Haushaltsgerät in Kunst und Kult (= Manuskripte für Kunstwissenschaft in der Wernerschen Verlagsgesellschaft 54). Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 1998. ISBN 978-3-88462-953-6
- Michio Kitahara: Childhood in Japanese Culture. In: The Journal of Psychohistory 17 (1/1989), S. 43–72.
- Goro Kohno: History of Diapering in Japan. Pediatrician, 14 (Supplement 1/1987), S. 2–5.
- Earle L. Lipton, Alfred Steinschneider, Julius B. Richmond: Swaddling, a Child Care Practice: Historical, Cultural, and Experimental Observations. In: Pediatrics, 35 (1965), S. 521–567.
- Hermann Heinrich Ploß: Das Kind in Brauch und Sitte der Völker. Völkerkundliche Studien 1. 3. Aufl. Leipzig 1911.
- Felix Würtz: Weiland des berühmten Wundarztes zu Basel Wund-Artzney / darinnen allerhand schädliche Missbräuche (...)aussführlich angedeutet und um vieler erheblichen Ursachen willen abgeschafft werden (...). Darin: Hebammen- und Kinder-Büchlein. Basel 1675, S. 674–730.
- Friedrich v. Zglinicki: Die Wiege. Volkskundlich – kulturgeschichtlich – kunstwissenschaftlich – medizinhistorisch. Eine Wiegen-Typologie mit über 500 Abbildungen. Regensburg 1979. ISBN 3-7917-0622-5
Siehe auch
Weblinks
- Literatur von und über Wiege im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. Zglinicki (1979), S. 50. Vgl. Abb. 451 eines griechischen Wickelkindes der Antike in einer Rollwiege, ferner Abb. 404, ebenfalls aus der griechischen Antike. Gorman (1917), S. 22 f. beschreibt mehrere antike Wiegenformen und ihren Gebrauch.
- ↑ Vgl. Frenken (2011), S. 14, 69, 167, 217 u. 219
- ↑ Vgl. Würtz (1563), S. 706.
- ↑ Vgl. Zglinicki (1979), S. 51 ff. zum Wickeln in der Wiege und Abbildungen u. a. 28, 44, 58 (mit entsprechenden Bohrungen in der Wiege), Abb. 195, 198, 200–205 mit strammer Wicklung über dem Bettzeug und Abb. 48–53 mit Knäufen zur Befestigung der Wiegenbänder.
- ↑ Vgl. Frenken (2011), S. 9.
- ↑ Vgl. Ploß (1911), S. 277 u. Abb. S. 278. Zglinicki (1979), Abb. 151 zeigt eine Hängewiege der Samen, die sehr einem cradleboard ähnelt.
- ↑ Vgl. Kohno (1987), S. 3 (mit Abbildung), Kitahra (1989), S. 43 ff., Lipton et al. (1965), S. 524 f.
- ↑ Vgl. Dingwall (1931), S. 84, Zglinicki (1979), S. 48 f. Vgl. hier auch die Abbildungen 2–6, die Abflusssysteme in Wiegen zeigen.
- ↑ Zglinicki (1979) zeigt Wiegen mit zeichenhafter Dämonenabwehr. Wiegen mit Pentagramm (Drudenfuß): Abb. 48–55; mit dem IHS-Zeichen (Iesus Hominum Salvator = Jesus, Retter der Menschen) oder anderen religiösen Symbolen wie etwa dem brennenden Herz: Abb. 19–45, 331, 463, 468.