Wolfgang Fürstner (* 4. April 1896 in Posen; † 19. August 1936 in Döberitz) war ein deutscher Offizier und Sportfunktionär. Während der Olympischen Sommerspiele 1936 war er stellvertretender Kommandant des Olympischen Dorfes.

Leben

Wolfgang Fürstner war ein Neffe des Hirnforschers Carl Fürstner. Er nahm als Leutnant am Ersten Weltkrieg teil und führte 1921 bei den Aufständen in Oberschlesien ein Freikorps. Als Beisitzer des Vorstandes des Deutschen Offizier Bundes (DOB) gründete er 1928 in Berlin die erste Sportvereinigung des DOB. Karl von Halt bestimmte ihn im April 1933 zum Vorsitzenden des Verbandes der Brandenburger Athletik-Vereine (VBAV). Im Mai 1933 wurde er in die Reichswehr übernommen.

Von 1934 bis 1936 war Fürstner verantwortlich für den in Wehrmacht-Regie erfolgenden Bau des Olympischen Dorfes für die 11. Sommerspiele in Berlin. Anfang 1935 wurde er in das Organisationskomitee für die Olympischen Spiele berufen. Als Kommandant des Sportlerquartiers wurde er am 27. Mai 1936 durch Oberstleutnant Werner Albrecht Frhr. v. Gilsa abgelöst; als Platzmajor war er nur noch Vizekommandant. Offiziell hieß es, Fürstner habe „nicht mit der nötigen Energie durchgegriffen“, als ca. 370.000 Besucher an den Tagen der offenen Tür vom 1. Mai bis 15. Juni durch das Dorf strömten und Schäden anrichteten.

Wahrscheinlich war dies nur ein Vorwand, um ihn als Kommandanten abzuberufen. Zuvor waren angeblich Gerüchte aufgekommen, Fürstner sei ein „Vierteljude“. Tatsächlich war Fürstners Großvater väterlicherseits ein zum Christentum konvertierter Jude, Fürstners Vater war bereits von Geburt an getauft. Drei Tage nach der Schlussfeier der Spiele erschoss sich Fürstner – nachdem er zuvor noch mit dem Olympia-Ehrenzeichen I. Klasse ausgezeichnet worden war. Da kein Abschiedsbrief Fürstners vorliegt, ist das Motiv für die Tat nicht eindeutig: Naheliegend wäre der Umstand, dass ihm gemäß den Nürnberger Gesetzen aufgrund des fehlenden Ariernachweises die Entlassung aus der Wehrmacht hätte drohen können. Ob dies seitens der Verantwortlichen tatsächlich geplant war, ist jedoch unbekannt. Aufgrund seiner herausragenden Stellung wäre ein stillschweigendes Unterlaufen der Bestimmungen indes schwierig gewesen. Inwieweit die Kritik an seiner Amtsführung als Dorfkommandant durch obere Stellen oder aber Fürstners Eheprobleme mögliche Motive für die Tat lieferten, muss Spekulation bleiben: Fürstners Frau Leonie (bis zur Hochzeit 1925 geb. von Schlick) wollte angeblich die Scheidung und heiratete später Fürstners ehemaligen Adjutanten, Joachim Bernau.

Um Schaden für das internationale Ansehen Deutschlands abzuwenden, wurde der Freitod als Unglücksfall dargestellt und Fürstner auf dem prominenten Invalidenfriedhof beigesetzt. Das Grab wurde in den Friedhofsführer Der Invalidenfriedhof in Berlin – Ein Ehrenhain preußisch-deutscher Geschichte aufgenommen; zwischen 1936 und 1940 erschien er in mehreren Auflagen.

Familie

Fürstners Sohn emigrierte nach dem Krieg in die USA. Wegen beginnender Alzheimer-Erkrankung erschoss er sich dort ebenfalls. Zu seinen Mitschülern von der Ritterakademie (Brandenburg an der Havel) hielt er bis zum Schluss freundschaftlichen Kontakt, am engsten zu Otto Graf Lambsdorff.

Der Jurist und Verbandsfunktionär Wolfgang Fürstner ist ein Großneffe Wolfgang Fürstners.

Erinnerungsstein

Auf dem Invalidenfriedhof erinnert ein Gedenkstein an Wolfgang Fürstner. Er wurde vom Nationalen Olympischen Komitee (NOK) gestiftet und im Juni 2002 durch den damaligen NOK-Präsidenten Walther Tröger eingeweiht.

Biografischer Film

In dem Doku-Drama „Der Traum von Olympia – Die Nazispiele von 1936“ (Regie: Mira Thiel und Florian Huber, WDR, 2016) wurde sein Leben verfilmt. Wolfgang Fürstner wird hier dargestellt von Simon Schwarz.

Belletristische Verarbeitung

In Volker Kutschers Olympia (2020) nimmt Fürstners Sohn als Mitglied des Jugend-Ehrendienstes an den Olympischen Spielen teil.

Literatur

  • Susanne Dost: Das Olympische Dorf 1936 im Wandel der Zeit. Neddermeyer, Berlin 2003, ISBN 3-933254-12-4.
  • Roland Kopp: Wolfgang Fürstner (1896–1936). Der erste Kommandant des Olympischen Dorfes von 1936 (= Militärhistorische Untersuchungen, Bd. 10). Lang, Frankfurt am Main u. a. 2009, ISBN 978-3-631-59216-8.
  • Roland Kopp: Der „Unglücksfall“ des Hauptmanns Wolfgang Fürstner. Ein Lehrstück zum Janusgesicht der Olympischen Spiele von 1936. In: Diethelm Blecking, Lorenz Peiffer (Hrsg.): Sportler im „Jahrhundert“ der Lager – Profiteure, Widerständler und Opfer. Göttingen 2012, S. 248–254.
Commons: Wolfgang Fürstner – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Roland Kopp: Der „Unglücksfall“ des Hauptmanns Wolfgang Fürstner. Ein Lehrstück zum Janusgesicht der Olympischen Spiele von 1936, in: Diethelm Blecking/ Lorenz Pfeiffer (Hg.): Sportler im „Jahrhundert“ der Lager – Profiteure, Widerständler und Opfer. Göttingen 2012, S. 248.
  2. Roland Kopp: Der „Unglücksfall“ des Hauptmanns Wolfgang Fürstner. Ein Lehrstück zum Janusgesicht der Olympischen Spiele von 1936, in: Diethelm Blecking/ Lorenz Pfeiffer (Hg.): Sportler im „Jahrhundert“ der Lager – Profiteure, Widerständler und Opfer. Göttingen 2012, S. 250.
  3. Saul Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden. Sonderausgabe München 2007, ISBN 978-3-406-56681-3, S. 675. Dass der jüdische Großvater christlich getauft war, spielte bei der Einstufung auf Grund des Gesetzes keine Rolle.
  4. vgl. Arnd Krüger: Die Olympischen Spiele 1936 und die Weltmeinung. Ihre außenpolitische Bedeutung unter besonderer Berücksichtigung der USA. Bartels & Wernitz, Berlin 1972, ISBN 3-87039-925-2.
  5. Roland Kopp: Wolfgang Fürstner (1896–1936). Der erste Kommandant des Olympischen Dorfes von 1936. Lang, Frankfurt am Main u. a. 2009, Militärhistorische Untersuchungen, Bd. 10, vgl. Volker Kluge, Buchbesprechung, S. 2 (Memento vom 19. August 2016 im Internet Archive)
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