Ying Chen (chinesisch 应晨; * 20. Februar 1961 in Shanghai, Volksrepublik China) ist eine kanadische Schriftstellerin chinesischer Herkunft. Ihre Werke verfasst sie in französischer Sprache, bisher wurde nur eines in ihrer Muttersprache, Chinesisch, veröffentlicht.

Leben

Ying studierte an der Fudan-Universität in Shanghai Sprachen und französische Literatur. Neben Französisch und Mandarin spricht sie Englisch, Russisch, Japanisch und Italienisch. Von 1983 bis 1989 arbeitete sie als Übersetzerin am Institute of Astronautical Research in Shanghai. 1989 zog sie nach Montréal und studierte dort an der McGill University. 1991 erhielt sie ihren Abschluss im Fach Kreatives Schreiben. Im Jahre 1992 wurde ihr erster Roman veröffentlicht. Vor der Abreise aus China hat Ying nicht auf Chinesisch geschrieben. Bis heute hat sie noch keine Texte in China publiziert oder auf Chinesisch geschrieben, aber ihren dritten Roman, L'Ingratitude, selbst ins Chinesische übersetzt. Bis zum Jahr 2003 lebte Ying, Mutter von zwei Kindern, mit ihrer Familie in Magog (Québec). Ihr momentaner Wohnsitz liegt in Vancouver.

Schreibstil

Ihre Werke zählen in Québec zum Genre der Migrantenliteratur. Ihr Schreibstil unterscheidet sich von anderen Autoren der Region, wie zum Beispiel Michel Tremblay oder Réjean Ducharne, die das Quebecer Französisch vertreten. Sie wiederum hegt eine rege Faszination für die klassische französische Sprache. Ihr Buch Les Lettres chinoises verdeutlicht dies durch die Nutzung des Vokabulars und der Syntax eines einfachen und korrekten Französisch (français soutenu).

Über die Rolle von Erinnerungen und Wasser in ihrem Roman La mémoire de l’eau sagt Ying Chen selbst: „Das Bild des Wassers ist in fast allen meinen Büchern, es ist manchmal eine Quelle, ein anderes Mal ein Strom – es kann ein Teich oder das Meer sein. Ihre gemeinsamen Merkmale sind die Unpfändbarkeit und Stärke. Alles ist schriftlich hinterlegt, so zu sagen.“ Sie favorisiert die Briefform als Schreibstil. Ying ist davon überzeugt, dass dieser Schreibstil es ermöglicht, sehr offen, direkt und spontan zu kommunizieren. In ihren sechs ersten Romanen lag ihr Schwerpunkt auf China, Québec, der Immigration oder Ereignissen, die das Leben der Autorin stark geprägt haben. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Autobiografien: „Es ist wahr, dass ich keine autobiographische Literatur im engen Sinne verfasse, um der Realität zu entfliehen durch den Gebrauch von Metaphern, Dramatisierung und Dynamik der Sprache um eine wahrhaftere Realität zu schaffen.“ In ihrem neuesten Roman hat sich ihr Stil und ihr Fokus verändert, die Raum-Zeit-Teilung ist verschwommen und die Protagonisten verlieren an Materialität.

Die Wahl der französischen Sprache

Ying Chen möchte die französische anstatt der chinesischen Leserschaft ansprechen, um ihr Heimatland China den Weststaatlern nahezubringen. („Il apparait naturel d’écrire dans une langue étrangère pour donner un poids à la notion fondamentale d’étranger, comme pour interroger l’importance et de la signification des mots différents entre deux langues“). Ihr Bezug zur französischen Sprache ist etwas Besonderes, da die Sprache ein Ausdruck und eine Erklärung dafür ist, wie schwierig es in der heutigen Zeit ist, Chinese zu sein – ein Hin und Her zwischen der Tradition und der Moderne.

Werke (Inhalt)

In ihrem ersten Roman La mémoire de l’eau erzählt sie die moderne Geschichte des 20. Jahrhunderts in China aus Sicht der Frauen verschiedener Generationen.

Ihr zweites Werk Les lettres chinoises, der Briefroman, der aus 57 Briefen zwischen den Hauptfiguren Sassa und Yuan, zwei Verliebte und Sassa und Da Li, zwei Freundinnen. Ein zentrales Thema des Romans ist die Gegenüberstellung von chinesischer Tradition und nordamerikanischer Modernität und das Leben im Exil.

Ihr drittes Werk L’ingratitude ist zu Beginn in Form eines Journals verfasst, wird zum Ende hin ein Monolog. Der Roman ist eine Revolte gegen die Tradition, gegen den Status der Mutter und der Eltern und die Heimat. Für dieses Buch erhielt sie den Prix Québec-Paris, außerdem verlieh ihr das Magazin La Presse den Titel Personnalité de la semaine.

Ihr viertes Werk Immobile beschreibt die Zeit und die Erinnerungen, die omnipräsent sind.

Ihr sechster Roman Querelle d´un squelette avec son double ist ein Dialog zwischen einem lebendigen Phantom und einem Toten, die wahrscheinlich miteinander verwandt oder sogar ein und dieselbe Person sind. Es werden mehrere Themen behandelt, wie zum Beispiel die Identität, die soziale Gerechtigkeit, Zweifel an der Ewigkeit und der Kampf ums Leben. Ying wollte damit eine Art Theaterroman schreiben.

Ihr siebter Roman Quatres milles marches, un rêve chinois befasst sich mit einer Vielzahl persönlicher Texte der Autorin und dessen Lebensstil. Es ist eine Art Schreibheft (carnet d’écriture).

Nominierungen

  • 1995 Prix Fémina: L’ingratitude
  • 1996 Prix du Gouverneur général: L’ingratitude

Auszeichnungen

  • 1995 Prix Québec-Paris: L’ingratitude
  • 1996 Prix des Libraires du Québec: L’ingratitude
  • 1999 Prix Alfred Desrochers: L’immobile

Werke

  • 1992: La mémoire de l’eau , Leméac
  • 1992: Les lettres chinoises, Leméac
  • 1995: L’ingratitude, Leméac; Actes Sud, 1995
    • Auszug, Übers. Uli Aumüller: Die Undankbarkeit. In: Anders schreibendes Amerika. Literatur aus Quebec. Wunderhorn, Heidelberg 2000, S. 32–44
  • 1998: L’immobile, Boréal
  • 2002: Le champ dans la mer, Boréal; Seuil, 2002
  • 2003: Querelle d’un squelette avec son double, Boréal; Seuil, 2003
  • 2004: Quatre milles marches: Un rêve chinois, Boréal; Seuil, 2004
  • 2006: Le mangeur, Boréal; Seuil, 2006
  • 2008: Un enfant à ma porte, Boréal; Seuil, 2009
  • 2010: Espèce, Boréal; Seuil, 2010

Literatur

  • Brigitte Aubonnet: Ying, Chen. In Encres Vagabondes, Juli 2011 online
  • Francine Bordeleau: Ying Chen: la dame de Shanghai. In. Lettres québécoises: la revue de l’actualité littéraire, Nr. 89, 1998, S. 9–10 online
  • Virginie Guibert: Biographie sommaire: Ying Chen. In Littérature du Québec Catherine Pont-Humbert, Editions Nathan, Paris, 1998 online
  • Marie Claire Huot: Un itinéraire d’affiliations : l’écrivaine francophone, Ying Chen. In: Culture française d’Amérique, 2002, S. 71–89
  • Christine Lorre: Ying Chen’s ‘Poetic Rebellion’. Relocating the Dialogue, In Search of Narrative Renewal. In: Asian Canadian Writing Beyond Autoethnography, Hg. Eleanor Ty, Christl Verduyn. Wilfrid Laurier University Press, Waterloo ON 2008, S. 267–295
  • Johanne Paquette, Gabrielle Cauchy: Trois questions à Ying Chen In Boreal, Éditions du Boréal, Montréal 8 septembre 2010 online
  • Éric Paquin: Ying Chen, Madame et son fantôme. In Querelle d’un squelette avec son double de Ying Chen. Édítions du Boréal, Montréal 2003, S. 162 online
  • Georges Survenant (d. i. Hans-Jürgen Greif): Kein Lotus in Quebec: Ying Chen, in: Dokumente - Documents. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog. Jg. 52, H. 4. Europa-Union, Bonn 1996, S. 305–308
  • Marie Carrière, Curtis Gillespie, Jason Purcell Hgg.: Ten Canadian Writers in Context. Robert Kroetsch Series. University of Alberta Press, Edmonton 2016, darin Kap. zu Ying: S. 1 – 18, von Julie Rodgers (mit Auszügen aus Le mangeur, S. 10 – 14, und L'ingratitude, S. 14 – 18) In Google books einsehbar

Einzelnachweise

  1. Guibert, Virginie: Biographie sommaire: Ying Chen. In Littérature du Québec Catherine Pont-Humbert, Editions Nathan, Paris, 1998.(online verfügbar).
  2. Aubonnet, Brigitte: Ying, Chen. In Encres Vagabondes, Juli 2011. (online verfügbar).: "L'image de l'eau est présente dans presque tous mes livres, elle est quelquefois une source, d'autre fois un courant, elle peut être un étang ou un océan. Leurs traits communs sont insaisissabilité et force. Tout est mémoire dans l'écriture, si l'on peut dire."
  3. Paquin, Éric: Ying Chen, Madame et son fantôme. In Querelle d’un squelette avec son double de Ying Chen, Édítions du Boréal, Montréal, 2003, S. 162. https://voir.ca/publishing/article.aspx?zone=1&section=10&article=26384 (Link nicht abrufbar): "Il est vrai que je n´écrit pas une littérature autobiographique au sens strict, par pudeur, et aussi par besoin de sortir de la réalité brute en recourant à la Métaphore, à la dramatisation et au dynamisme du langage, afin d´atteindre une réalité plus vraie".
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