Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization
Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization ist ein am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten verhandelter Fall zur Frage, ob ein Gesetz des Bundesstaats Mississippi, das (mit einigen Ausnahmen) Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet, gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten verstößt. Diese Fristenregelung war mit Bedacht gewählt worden: sie gestaltet den Zugang zur Abtreibung immer noch erheblich liberaler, als es in den meisten europäischen Staaten der Fall ist, stellte aber einen offensichtlichen Verstoß gegen die früheren Grundsatzentscheidungen Roe v. Wade 410 U.S. 113 (1973) und Planned Parenthood v. Casey 505 U.S. 833 (1992) dar, in denen der Oberste Gerichtshof die Auffassung vertreten hatte, dass der 14. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten der schwangeren Frau ein „Recht auf Abtreibung“ einräume, das es den einzelnen Bundesstaaten bis zum Zeitpunkt der angenommenen Lebensfähigkeit des ungeborenen Kindes außerhalb des Mutterleibes (sog. viability) verbiete, die Abtreibung zu untersagen.
Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization | |
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Verhandelt: | 1. Dezember 2021 |
Entschieden: | 24. Juni 2022 |
Name: | Dobbs, State Health Officer of the Mississippi Department of Health, et al. v. Jackson Women’s Health Organization et al. |
Zitiert: | 597 U.S. ___ (2022) |
Sachverhalt | |
Klage gegen das Verbot von Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche des Staats Mississippi | |
Entscheidung | |
Das Verbot ist verfassungskonform (6-3). Die Verfassung der Vereinigten Staaten enthält kein implizites Recht auf Schwangerschaftsabbruch, Roe v. Wade und Planned Parenthood v. Casey werden aufgehoben (5-4). | |
Positionen | |
Mehrheitsmeinung: | Alito, Thomas, Gorsuch, Kavanaugh, Barrett |
Abweichende Meinung: | Thomas Kavanaugh Roberts |
Mindermeinung: | Breyer, Sotomayor, Kagan |
Angewandtes Recht | |
1., 4., 5., 9. und 14. Zusatzartikel der Verfassung; Miss. Code Ann. § 41–41–191 (2018) |
In seiner Entscheidung vom 24. Juni 2022 erklärte das Gericht das streitgegenständliche Gesetz mit 6 zu 3 Stimmen für verfassungskonform. Zusätzlich verurteilte das Gericht Roe v. Wade und Planned Parenthood v. Casey mit 5 zu 4 Stimmen ausdrücklich und bezeichnete Roe als „von Beginn an völlig verfehlt“ (“egregiously wrong from the start”): Die Argumentation sei außergewöhnlich schwach gewesen und habe zu schädlichen Konsequenzen geführt; statt zu einer endgültigen und allgemein akzeptierten Klärung der Abtreibungsfrage beizutragen, habe sie nur Streit und Spaltung bewirkt. Im Hinblick auf die Frage, ob der 14. Verfassungszusatz auch solche Rechte schütze, die (wie das „Recht auf Abtreibung“) nicht ausdrücklich in der US-Bundesverfassung erwähnt sind (sog. unenumerated rights), verweist das Höchstgericht auf das in der Entscheidung Washington v. Glucksberg 521 U.S. 702 (1997) entwickelte Kriterium: ein solches Recht ist von der Verfassung nur dann geschützt, wenn es „tief in der Geschichte und Tradition dieser unserer Nation verwurzelt“ (“deeply rooted in this Nation’s history and tradition”) und „aus dem Konzept der geordneten Freiheit abzuleiten“ (“implicit in the concept of ordered liberty”) sei. Für die Abtreibung, die ausdrücklich als „Zerstörung eines ungeborenen menschlichen Lebens“ beschrieben wurde, sei dies zu verneinen.
Die Entscheidungen in Roe v. Wade und Planned Parenthood v. Casey wurden damit formell außer Kraft gesetzt. Somit ist fortan davon auszugehen, dass die amerikanische Bundesverfassung ein Recht auf Abtreibung nicht enthält. Sowohl die Legislativen der einzelnen Bundesstaaten als auch der Kongress können Abtreibung somit per Gesetz erlauben, verbieten oder anderweitig regeln. Einziges Bundesgesetz zum Thema ist der Partial-Birth Abortion Ban Act von 2003, der gewisse Abtreibungsmethoden nach dem ersten Trimester mit Ausnahmen unter Strafe stellt.