Fragmente von Autun

Die anonymen Fragmente von Autun (auch: Gaius von Autun, beziehungsweise Fragmenta Interpretationis Gai Institutionum Augustodunensia, verkürzt Fragmenta Augustodunensia, in Quellenangaben kurz: FA) sind eine auf 15 Palimpsestblättern fragmentarisch erhalten gebliebene und in der französischen Stadtbibliothek von Autun aufbewahrte Paraphrase zu den hochklassischen Institutionen des Gaius, mutmaßlich aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. (ausgewählte Kommentarliteratur).

1899 publizierte der französische Paläograf Émile Chatelain sechs Blätter des Palimpsests, nachdem es ihm im Vorjahr gelungen war, die scriptura inferior als Verarbeitung des gaianischen Anfängerlehrbuchs zu identifizieren. Palimpsestiert war die getilgte Handschrift durch eine bis heute augenscheinliche, halbunziale und wohl im 6. oder 7. Jahrhundert entstandene Abschrift der ihrerseits gegen etwa 420 n. Chr. entstandenen Achtlasterlehre De institutis coenibiorum et de octo principalibus vitiis („Über die Grundsätze der Koinobiten und die acht Hauptlaster“) von Johannes Cassianus. Die Schrift trägt deshalb auch den Namen Instituta Cassiani. Darauf gestoßen war Chatelain aufgrund einer beiläufigen Bemerkung Guglielmo Libris. Als der gerade französische Handschriften katalogisierte, verwunderte ihn die dünne Erscheinung des Pergaments, was ihn an eine Wiederverwendung des Werkstoffs denken ließ (codex rescriptus). Die anschließende Entzifferung des fragmentarischen Textes gestaltete sich für alle involvierten Forscher als äußerst diffizil, denn seiner Erscheinung nach handelte es sich bei der Handschrift um einen codex sepultus, Tintenspuren fehlen zumeist gänzlich. Paul Krüger edierte die vorzüglich ausradierte Paraphrase 1912 vollständig. Spätere Editionen basieren auf seiner Ausgabe.

Es wird davon ausgegangen, dass die ursprüngliche Handschrift aus der spätnachklassischen Epoche der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts stammt und in Italien oder in Südfrankreich, möglicherweise sogar in Autun selbst, hergestellt wurde. In der Forschungsliteratur wurde und wird darüber diskutiert, ob ein früheres Entstehungsdatum in Erwägung gezogen werden muss. Vorherrschend wird die Ansicht vertreten, dass dem Verfasser bisweilen Unkenntnis über die Bedeutung tradierter klassischer Rechtsbegriffe nachweisbar sei. Das lege dann auch den Schluss nahe, dass die Auseinandersetzungen mit den großen Rechtsgelehrten Papinian, Paulus, Ulpian und Modestin recht weit schon in Vergangenheit gelegen haben müssen, mindestens wohl ein bis zwei Menschenalter. Andererseits wird ein späterer, jenseits der Mitte des 4. Jahrhunderts liegender, Entstehungszeitpunkt des Werkes zurückgewiesen, da die sprachliche und didaktische Nähe zum Rechtsunterricht der Klassiker noch hinreichend gut erkennbar sei. Zwar teilweise unleserlich, sind insgesamt aber sieben Bruchstücke des gaianischen Elementarwerkes nachweisbar. Die entzifferten Passagen deuten auf Fundstellen aus drei der vier Gaiusbücher hin: I, II und IV (Gai inst. 1, 93–99; 124–129; 2, 162–171; 247–271; 4, 80–109; 4, 39 und 45/46.). Inhaltlich beschäftigen sie sich mit zivil- und zivilprozessualen Tatbeständen. Mit der Gaiusparaphrase konnten Erkenntnisse zu den Stipulationswortlauten igewonnen werden, die m Zusammenhang mit Erbschaftskäufen stehen. Die moderne Forschung an den Blättern bringt zwar schmale – bislang unbekannte – Schriftmasse zum Vorschein, aber keine inhaltliche Erhellung.

Einigkeit besteht in der Forschung darüber, dass das Werk im Rahmen eines juristischen Lehrgangs verfasst worden sein muss. Die Darbietung des Urtextes erfolge wortgetreu, sodass kaum anzunehmen sei, dass redaktionell darauf eingewirkt wurde.

Der Neuzeit ist das gaianische Werk weitestgehend indirekt überliefert. Die insgesamt wenig ergiebige augustodunensische Handschrift bildet dabei einen nur kleinen Baustein für den Erkenntnisgewinn. Auch zur Behebung von Textlücken der Gaius Veronensis, einer weiteren Kommentarliteratur zur gaianischen Handschrift, konnten die Fragmente nicht dienen. Deutlich größere Bedeutung für die Forschung erlangten deshalb die spätantiken Manuskripte der Collatio, der Epitome Gai (enthalten in der lex Romana Visigothorum). Die Institutiones Iustiniani und die Digesten sind ebenfalls ergiebiger, sie wurden im Rahmen der justinianischen Rechtsordnung des Corpus iuris civilis geschaffen wurden.

This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.