Johanna (ductrix)
Johanna (* in Ravenna (?); † in Venedig), später Giovanna, war von 959 bis 963 oder 966, nach anderen 967/68 (auch um 960 wurde vermutet), jedenfalls bis zu ihrer Verstoßung, die erste Ehefrau des venezianischen Dogen Petrus IV. Mit ihm hatte sie eine Tochter und einen Sohn. Sie ging, nachdem ihr Mann sie dazu ‚gezwungen‘ hatte, wie es in der zeitlich nächsten Quelle heißt, ins Frauenkloster San Zaccaria, dessen Äbtissin sie bald wurde.
Der Doge erwarb durch die zweite Ehe, nämlich mit Waldrada, einer Verwandten Kaiser Ottos I., umfangreiche Güter in Oberitalien. Diese Erwerbungen brachten ihn bald in Konflikte auf Reichsboden, jedoch unterstützte ihn Kaiser Otto I. und auch sein Sohn und Nachfolger Otto II. Dennoch wurde Petrus im Jahr 976 in einem Aufstand, in dessen Verlauf es zu einem verheerenden Stadtbrand kam, ermordet, womit der Jahrzehnte währende Versuch scheiterte, eine Dynastie seiner Familie, der Candiano, durchzusetzen.
An der Frage der Motive des Dogen, Johanna zu verstoßen und Waldrada zu heiraten, orientierte sich die Geschichtsschreibung bei der Deutung der Rolle Johannas ebenso, wie an der Frage des Tyrannenmordes, der Anlehnung an eine auswärtige Macht, des Einflusses der Ottonen, der Schaffung einer Privatarmee aus Nichtvenezianern. Die Rolle Johannas wurde dabei mehrfach umgedeutet.
Jüngere Forschungen deuten darauf hin, dass die Landerwerbspolitik der weitverzweigten Candiano-Familie nicht einheitlich war. Im Gegenteil führte die Politik um Petrus innerhalb dieses Großklans zu schweren Konflikten, also nicht nur zu Kämpfen mit anderen Klans oder Mächten auf dem benachbarten italienischen Festland, wie man lange annahm. Inzwischen wird angenommen, dass die Politik des Landerwerbs auf dem oberitalienischen Festland bereits während Petrus' erster Ehe mit Johanna begonnen worden war, die als Äbtissin gleichfalls Ländereien auf dem Festland für ihr Kloster San Zaccaria erwarb. Demnach stand nicht die Frage nach dem Verhalten gegenüber Berengar II. und Otto I. im Mittelpunkt des politischen Schwenkes des Dogen, wie lange angenommen, oder die einer Fraktion, die für Venedig nach einem autonomen Weg verlangte, sondern der Versuch des vierten Candiano, sich ein eigenes Territorium zu schaffen. Es könnten also die Spannungen innerhalb der Candiano zur Katastrophe von 976 geführt haben, worin Johanna von Anfang an eine entscheidende Rolle gespielt hätte.
Dass durch Johannes Diaconus nicht nur die älteste venezianische Chronik, die Istoria Veneticorum entstand, sondern diese nur wenige Jahrzehnte nach der Katastrophe von 976 abgefasst wurde, ist einerseits eine wesentliche Ursache für die ungewöhnlich dichte Überlieferung der Vorgänge. Aber sie sorgte andererseits auch für eine große Kontinuität seiner persönlichen Deutungsmuster. Aufgrund seiner offenkundigen Loyalität wurde er als „Hauschronist der Orseoli“ bezeichnet, der dritten Familie, die einen Versuch unternahm, Venedig als Dynastie zu beherrschen, nachdem die Candiano unter Petrus IV. gescheitert waren. In seiner Chronik nennt der Verfasser nur Maria († 1007), die Ehefrau des Mitdogen Giovanni Orseolo, ausdrücklich ductrix, jedoch weder Johanna noch Waldrada.
Dabei handelt es sich um die weibliche Form von dux, ein Titel, von dem sich wiederum der Dogentitel ableitet. Die Entwicklung zu einer eigenen staatlichen Amtsauffassung für die Ehefrauen der Dogen, die dann als Dogaresse bezeichnet wurden, war um 1000 bereits eingeschlagen.