Kanonische Exegese
Als Kanonische Exegese (oder Kanonische Schriftauslegung) wird eine Exegese von Bibeltexten bezeichnet, welche „den kirchlich rezipierten Bibelkanon theologisch ernst nimmt und zum Auslegungshorizont macht.“ Als Begründer gilt Brevard Childs. Sein Canonical approach ist ein synchroner Bibelzugang. Der von James A. Sanders vertretene Canonical criticism dagegen ist mit der diachronen historisch-kritischen Bibelexegese kompatibel.
Während die historisch-kritische Methode die Entstehung des Textes aufzuhellen sucht, befasst sich die Kanonische Exegese mit dem Endtext und weist den Rezipienten eine aktive Rolle zu. Sie interagieren mit den innerhalb des Kanons vielfach miteinander verbundenen und verwobenen Texten, welche das Potential haben, die Lesenden zu lenken. Hier besteht eine Nähe zur literaturwissenschaftlichen Rezeptionsästhetik. Der Kanon schafft allerdings privilegierte Intertexte, d. h. Texte aus der Umwelt des Alten oder Neuen Testaments bleiben bei der kanonischen Lektüre außer Betracht.
Die Impulse von Childs und Sanders wurden vor allem in der alttestamentlichen Exegese rezipiert, weniger von Neutestamentlern. Nachdem Peter Brandt 2001 die verschiedenen Kanonarrangements im Judentum und Christentum detailliert aufgearbeitet hatte, wurde das Thema der Grenzen des Kanons (die Stellung deuterokanonischer bzw. apokrypher Schriften) in der deutschsprachigen kanonischen Exegese kaum behandelt, und als weitgehend von Alttestamentlern getragene Fachdiskussion wird auch der Rahmen des Tanach nur selten in Richtung auf das Neue Testament überschritten.