Muʿtazila

Die Muʿtazila (arabisch المعتزلة ‚die sich Absetzenden‘) war eine hauptsächlich in Basra und Bagdad vertretene theologisch-rationalistische Strömung des Islam, die ihre Blütezeit vom 9. bis zum 11. Jahrhundert erlebte. Sie war stark von der griechischen Philosophie beeinflusst und trat besonders im Kalām hervor, einer Form des theologischen Streitgesprächs mit rationalen Argumenten. Anders als die traditionalistischen Muslime waren Muʿtaziliten der Auffassung, dass Gut und Böse nicht durch die Scharia begründet werden, sondern in der Natur der Dinge liegen, und die Scharia nur der Ausdruck dieser natürlichen Ordnung ist, die der Scharia vorausgeht. In der Nachfolge der Qadariten betonten die Muʿtaziliten außerdem die Willensfreiheit des Menschen und sprachen dem Menschen eine eigene „Macht“ (qudra) zu, die es ihm ermöglicht, absolut gesehen „Schöpfer“ seiner Handlungen zu sein. Weitere Lehrpunkte waren das Bekenntnis zur Erschaffenheit des Korans und die Ablehnung der Schau Gottes.

Innerhalb der Muʿtazila gab es verschiedene Lehrrichtungen, die jeweils nach ihrem Haupttheologen benannt waren. Die muʿtazilitische Theologie wurde über das 11. Jahrhundert hinaus in schiitischen Kreisen, insbesondere bei den Zaiditen, weiter gepflegt. In der Moderne gab es einige muslimische Theologen, die die Ideen der Muʿtazila wiederbelebt haben. Im Mittelalter hat die muʿtazilitische Theologie auch auf das Judentum ausgestrahlt, insbesondere auf die karäische Theologie.

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